Jürgen Klopp: Kulttrainer trifft Kultverein

An der Anfield Road soll Jürgen Klopp das Dortmund-Märchen wiederholen.
An der Anfield Road soll Jürgen Klopp das Dortmund-Märchen wiederholen.(c) APA/EPA/ANDREAS GEBERT (ANDREAS GEBERT)
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Reich an Geschichte, arm an Erfolgen: der Liverpool FC erwartet sich nicht weniger als einen Heilsbringer, Jürgen Klopp soll an der Anfield Road neue Euphorie entfachen.

Klopp at The Kop. Sollten sie dereinst dem neuen Manager des Liverpool FC ein Denkmal setzen wollen, müssen sie nur ein paar Buchstaben hinzufügen. „The Kop“ heißt die legendäre Tribüne im Stadion an der Anfield Road, auf der sich die Treuesten der Treuen versammeln, und Jürgen Klopp heißt seit gestern, Donnerstag, der neue sportliche Leiter des nordenglischen Traditionsvereins. Von einer „fantastischen Wahl“ sprach sein ehemaliger Dortmund-Schützling Matts Hummel: „Klopp lebt, isst, atmet und denkt jeden Tag Fußball.“

Das wird er auch brauchen, denn die Erwartungen an der Anfield Road könnten kaum größer sein. Die Fans des Traditionsvereins suchen weniger einen Manager als einen Heilsbringer, schließlich datiert der letzte Meistertitel von 1990 aus einer Zeit, zu der ein Gutteil der heutigen Stammelf noch nicht einmal geboren war.

Liverpool vergisst niemals

Ungebrochen aber ist die Faszination des Vereins. In den 123 Jahren ihres Bestehens haben „The Reds“ eine Vereinskultur herausgebildet, die zu Recht das Wort vom Kultverein verdient.

Dazu gehören Triumphe ebenso wie Tragödien: 18 Meistertitel sind bisher im ewigen Buch des Vereins eingetragen und in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren dominierte Liverpool mit Spielern wie Keegan, Toshack, Dalglish, Souness oder Rush auch den europäischen Fußball mit sieben Cupsiegen. Das alles kam zu einem schrecklichen Ende mit der Tragödie von Heysel, als randalierende britische Hooligans am 29. Mai 1985 in Brüssel beim Meistercup-Finale eine Massenpanik auslösten, bei der 39 Fans von Juventus Turin getötet wurden.

Aus dem Siegerverein wurde ein Geächteter, der Liverpool FC blieb sechs Jahre für alle internationalen Bewerben gesperrt. In der Zwischenzeit musste der Verein eine weitere Tragödie einstecken: In Hillsborough wurden am 15. April 1989 bei einem Cupspiel 96 Fans buchstäblich zu Tode getrampelt. Bis heute gedenkt man des Jahrestages der Katastrophe mit großem Ernst, arbeitet aber noch immer an der Bewältigung. Man sagt über die Menschen aus Liverpool, dass sie niemals vergessen. Doch auch England hat es nie vergessen, nach diesem Unglück wurden Stadionreformen umgesetzt.

Daraus entsteht jenes dichte Beziehungsgeflecht zwischen Verein, Spielern und Fans, das Liverpool so einzigartig macht. Es ist eine riesige Familie, in der Scheitern mit Trost belohnt wird, der so süß wie Siegen ist. Niemand hat „The Kop“, wo man eine Haaresbreite vom Spielfeldrand entfernt sitzt, besucht, ohne Gänsehaut zu bekommen, wenn 45.000 Menschen zur Hymne „You'll never walk alone“ anstimmen. Dieses Lied hatte sich übrigens auch Borussia Dortmund ausgeborgt . . .

Sprachbarrieren in Merseyside

Diese Faszination allein erklärt, warum Liverpool trotz fehlender Erfolge einer der wertvollsten Fußballklubs der Welt ist. Auf 982 Millionen Dollar bezifferte im April das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ den Wert der Marke und machte Liverpool damit zum achtgrößten Verein der Welt. Der Eigentümer Fenway Sports Group, der seit 2010 an der Anfield Road das Sagen hat, will aber auch sportliche Erfolge sehen. Klopp erhielt einen Dreijahresvertrag, brachte seine beiden Assistenten mit und zeigte sich zuversichtlich, die Mannschaft schon diese Saison ohne große Einkäufe zu Platz vier und damit in die Champions League zu führen.

Es gab Bedenken, der deutsche Trainer mit seinen Motivationskünsten werde an der Sprachbarriere scheitern. Diese Sorge ist unangebracht: Als am Montag eine Dokumentation über Wayne Rooney im englischen Fernsehen lief, verlangten empörte Seher aus dem ganzen Land Untertitel, da sie den Liverpooler Akzent des Fußballers nicht verstehen konnten. Niemand versteht die „Scousers“ so wie sich selbst. Klopp darf einer werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

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