Olympia: Die hohe Kunst der Diplomatie

Rio de Janeiro hat sich herausgeputzt, das Olympiastadion überstrahlt alle Probleme.
Rio de Janeiro hat sich herausgeputzt, das Olympiastadion überstrahlt alle Probleme.(c) REUTERS (PAWEL KOPCZYNSKI)
  • Drucken

Russland darf als Nation in Rio de Janeiro trotz des Dopingskandals teilnehmen. Die Auswahl der Athleten nehmen die Weltverbände vor.

Lausanne/Wien. Womöglich war es ein Brief von Michail Gorbatschow, der das Internationale Olympische Komitee in letzter Minute umdenken und von der Komplettsperre Russlands bei den Sommerspielen 2016 aufgrund der Dopingproblematik Abstand nehmen ließ. Doch die Option, dass Zivilgerichtsklagen von gleich 387 Russen drohten, liefert eine plausiblere Erklärung.

Wie zu erwarten, wälzte die IOC-Exekutive rund um Präsident Thomas Bach die Entscheidung auf die Weltverbände ab, die nun – wie im Fall der Leichtathletik – darüber befinden müssen, welcher russische Sportler „unsere strikten, harten Kriterien“, sagte Bach bei einer Telefonkonferenz, „denn erfüllt“. Nicht die Olympia-Granden entscheiden und liefern sich damit der Gefahr aus, geklagt zu werden und starke Geldgeber zu verlieren, sondern ihre 28 „Filialen“.

Die „ethischen Anforderungen“

Sportler, die gegenüber ihren Weltverbänden den Nachweis erbringen, „nicht in das russische Staatsdopingsystem involviert gewesen zu sein, dürfen in Rio starten“, sagte Bach. „Russland darf keinen Athleten nominieren, der bereits einmal wegen Dopings gesperrt war.“ Selbst dann nicht, wenn die Strafe längst verbüßt ist.

Das IOC zeigte sich gesondert bemüht, zwischen Kollektivstrafe und der Wahrung von Indivualrechten zu unterscheiden. Jemanden für bereits Verbüßtes nicht zuzulassen entspricht zwar nicht den Prinzipien eines Rechtsstaates, der Milliardenshow Olympia erspart es aber Diskussionen in Rio. Somit darf etwa auch Whistleblowerin Julia Stepanowa nicht in Rio starten. Ihr hatte man aufgrund ihrer Aussagen das Startrecht als „Belohnung“ zugesagt, davon ist keine Rede mehr, sie sei schließlich bereits mit „Dopingregeln in Konflikt geraten, sie erfüllt die ethischen Anforderungen des IOC nicht“. Man werde sie aber nach Rio einladen. Das ist eine Farce.

Bach bemühte Begriffe wie „Balance“, er wusste doch um die Tragweite der Entscheidung nach dem alles entlarvenden McLaren-Report der Welt-Antidoping-Agentur, die klar für einen Gesamtausschluss votiert hatte – im Sinne des „Fair Play“, zur Wahrung der Glaubwürdigkeit im Antidopingkampf; vergebens. Bach: „Wir mussten die Konsequenzen aus dem Report ziehen. Wir mussten die Balance finden zwischen Gesamtverantwortung und dem Recht des Einzelnen. Jeder muss die Chance haben, auf Anschuldigungen zu reagieren. Es gilt immer die Unschuldsvermutung.“

„Entscheidung ist skandalös!“

Diese Worte hatte der ehemalige Sowjetpräsident und Friedensnobelpreisträger Gorbatschow gewählt, „das Prinzip der Kollektivstrafe ist für mich inakzeptabel“. Demonstrativ hatte Kreml-Chef Wladimir Putin die Gründung einer neuen Antidopingkommission angekündigt – und die Leitung dem 81-jährigen IOC-Mitglied Witali Smirnow übertragen. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass er für den KGB tätig war – jenen Geheimdienst, der in Sotschi 2014 die Koordination bei der Manipulation übernommen hatte.

Während sich in der Sportwelt Unverständnis ausbreitet, herrscht Freude in Russland. Dem McLaren-Report glaubte man in Moskau ohnehin nicht, staatlich-systematisches Doping habe es nie gegeben. „Das ist eine rechtmäßige Lösung“, sagte der Chef des Sportausschusses im russischen Parlament, Dmitri Swischtschjow. „Solche Entscheidungen sollten nicht nur in Bezug auf russische Athleten, sondern auf Sportler weltweit getroffen werden.“ Und auch in diesem Punkt gibt es eine Pointe, die eine Unverhältnismäßigkeit aufwirft: Leichtathleten unter russischer Flagge dürfen in Rio nicht antreten. Die IAAF-Sperre wurde vom Sportgerichtshof vergangene Woche bestätigt.

Die IOC-Entscheidung zieht nun einen sehr tiefen Graben zwischen Sport, Fair Play, Antidopingkampf, Russland und dem Rest der Welt. Michael Cepic, Geschäftsführer der Nationalen Antidopingagentur Österreichs, sagt: „Wir sind maßlos enttäuscht vom IOC. Natürlich hätte es unschuldige Sportler getroffen, aber in erster Linie geht es um die restlichen 10.000, die in Rio teilnehmen. Die schützt man mit dieser Nachricht sicher nicht. Skandalös ist, dass Frau Stepanowa nicht teilnehmen darf, das ist heftig.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Russlands großes Rio-Team wird täglich kleiner.
Olympia

Rio-Start oder Olympia-Bann?

Das IOC will nachweislich saubere Russen in Brasilien zulassen. Die Fachverbände filtern nun ihre Athleten, alle Positionen im Überblick.
Olympia Media Day Robert Harting Olympiasieger Robert Harting auf der Pressekonferenz 26 07 16
Olympia

Harting attackiert IOC-Chef Bach: "Ist Teil des Doping-Systems"

Von Entscheidung des IOC, Russland nicht komplett auszuschließen, zeigt sich der Olympiasieger schwer enttäuscht. Bach spricht von einer "nicht akzeptablen Entgleisung".
DLV Praesident Clemens Prokop
Mehr Sport

Olympia: Das Tauziehen um „saubere“ Russen

Während viele Verbände russischen Athleten nach der IOC-Entscheidung die Freigabe erteilen, herrscht weiterhin Skepsis. DLV-Präsident Prokop hält die Sachlage sogar für rechtswidrig.
FILES-OLY-2016-DOPING-RUS
Olympia

Wie Russland es doch zu Olympia schaffte

Der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach gilt für Russland als Retter in der Not.
ITAR TASS SOCHI KRASNODAR TERRITORY FEBRUARY 4 2014 IOC chief Thomas Bach L and Russia s pres
Olympia

IOC schließt Russland nicht von Rio-Spielen aus

Die Entscheidung, ob Athleten an den Rio-Spielen teilnehmen können, obliegt den internationalen Fachverbänden. "Whistleblowerin" Stepanowa erhält keine Startberechtigung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.