Julian Assange, der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, erhält Rückendeckung von UN-Experten. Sein Anwalt fordert die Freilassung.
London. Vor den Toren der ecuadorianischen Botschaft in London bauten sich am Donnerstag schon einmal Polizisten und Kamerateams auf, Augen und Linsen auf den roten Backsteinbau gerichtet. Irgendwo dort drinnen, in einem Zimmer von 20 Quadratmeter Größe, haust seit dreieinhalb Jahren Julian Assange, umstrittener Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, der mit einem europäischen Haftbefehl gesucht wird. Lange war es ruhig um den Australier gewesen, dann hatte eine Nachricht auf Twitter am Donnerstag ein kleines Erdbeben ausgelöst.
In wenigen Zeilen hatte Assange darin angekündigt, sich heute, Freitag, um die Mittagszeit den Behörden zu stellen – sollte ein UN-Expertengremium ihn in seiner Version des Falls nicht unterstützen. Der 44-Jährige sieht sich in „willkürlicher Haft“, weil er die Botschaft Ecuadors nicht verlassen könnte, ohne von der Londoner Polizei festgenommen zu werden. Deshalb hatte er die UN-Kommission zu willkürlichen Festnahmen angerufen, die solche Fälle prüfen kann. Sie will am heutigen Freitag ihre – rechtlich nicht bindende – Entscheidung bekannt geben.
UNO sieht „unrechtmäßige Haft“
Doch Menschen, die den als autoritär und rechthaberisch geltenden Assange kennen, hatten schon bei seiner Twitter-Ankündigung den Verdacht geäußert, dass er über das Urteil der Kommission bereits im Bilde sei. Es sei kaum vorstellbar, hieß es, dass er sich der britischen Polizei aushändigen werde. Und so meldeten auch wenig später mehrere britische Medien in Berufung auf die UN-Experten, dass das Gremium Assanges Festsitzen als „unrechtmäßig“ beurteile. Schweden bestätigte die Berichte am Abend. Damit dürfte ausgeschlossen sein, dass Assange sich stellt.
Der schwedische Anwalt des WikiLeaks-Chefs, Per Samuelson, forderte, „ihn sofort freizulassen und den Fall einzustellen“. Schweden hatte den Haftbefehl gegen Assange angestrengt: Dort wurde ihm in zwei Fällen sexuelle Belästigung und Nötigung vorgeworfen, in einem Fall eine minder schwere Vergewaltigung. Bis auf letzteren Vorwurf ist inzwischen alles verjährt.
„Haftbefehl wird in Kraft gesetzt“
Die britische Regierung wollte sich durch das Urteil der UN-Kommission zunächst aber nicht von ihrem Standpunkt abbringen lassen. Die Entscheidung sei rechtlich nicht bindend, so ein Sprecher von Premier David Cameron. „Sollte Assange die ecuadorianische Botschaft in London verlassen, wird der Haftbefehl in Kraft gesetzt.“
Eine Anklage gegen Assange liegt in Schweden nicht vor, die Behörden in Stockholm wollten ihn zu den Vorwürfen aber befragen. Erst im Dezember hatten Ecuador und Schweden eine Übereinkunft erzielt, die eine Befragung in der Botschaft in London ermöglicht. Assange allerdings fürchtet, dass er im Zuge eines Verfahrens in Schweden an die USA ausgeliefert werden könnte. Dort wird er nämlich wegen Geheimnisverrats gesucht und könnte lebenslange Haft ausfassen. Hintergrund ist, dass er über WikiLeaks geheime US-Dokumente veröffentlicht hatte, darunter Tausende Botschaftsdepeschen und Berichte aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan.
Den ersten weltweiten Scoop hatte WikiLeaks 2010 mit einem Video erzielt, das einen US-Hubschrauberangriff im Irak zeigt, bei dem vermutlich über zehn Menschen erschossen wurden, darunter Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Die US-Soldatin Chelsea Manning, von der die Dokumente überwiegend stammten, verbüßt eine 35-jährige Haftstrafe. (raa/red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2016)