Analyse: Auf der Suche nach einer neuen EU

(c) Bloomberg (Konstantinos Tsakalidis)
  • Drucken

Die Griechenland-Krise hat eine Reformdebatte entfacht. In Berlin denkt man darüber nach, einerseits der EU-Kommission Kompetenzen zu entziehen und anderseits die Währungsunion aufzuwerten.

Brüssel/Wien. Nach Jahren der Reformmüdigkeit ist die Debatte um eine Neuordnung der EU voll entbrannt – und die Rolle des Katalysators spielt dabei das überschuldete Griechenland. Seit der traumatischen Brüsseler Gipfelnacht vom 13.Juli, als erstmals offen über die Option eines Ausscheidens aus der Währungsunion gesprochen wurde, überbieten sich die handelnden Personen mit Vorschlägen, wie in Hinkunft alles besser gemacht werden könnte.

Provokateur der Stunde ist Wolfgang Schäuble. Medienberichten zufolge verfolgt der deutsche Finanzminister eine Doppelstrategie: Einerseits kann sich Schäuble mit der Idee eines Finanzministers für die Eurozone samt eigenen Finanzmitteln durchaus anfreunden. Andererseits möchte er, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am gestrigen Donnerstag vermeldete, die EU-Kommission zurechtstutzen und die Aufsicht über die Funktionsweise des EU-Binnenmarkts an eine unabhängige Behörde auslagern.

Von einer Entmachtung der Brüsseler Behörde könne nicht die Rede sein, es gehe vielmehr um „die richtige Balance zwischen ihrer politischen Funktion sowie der Rolle als Hüterin der Verträge“, hieß es gestern aus dem Finanzministerium in Berlin zu den Vorschlägen und den Debatten.

Antwort auf Präsidentenbericht

Dass die europapolitischen Protagonisten unterschiedliche Interessen verfolgen, ist nicht neu. Diesmal gibt es allerdings mindestens drei verschiedene Fronten: zwischen den europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten, zwischen den einzelnen EU-Mitgliedern und zwischen Großbritannien und dem Rest der Union.

Schäubles Gedankenspiele können als Antwort auf den sogenannten Fünf-Präsidenten-Bericht, den die Chefs von EU-Kommission, Rat, Euro-Gruppe, Europaparlament und Europäischer Zentralbank Ende Juni präsentiert hatten, verstanden werden. Das präsidiale Quintett forderte darin die sukzessive Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion – neben dem bereits erwähnten Euro-Finanzminister und einem eigenen Budget gibt es auch die Idee, eine Art Rückversicherer für die nationalen Arbeitslosenversicherungen zu schaffen.

Vielen Mitgliedstaaten gehen derartige Überlegungen allerdings deutlich zu weit, denn sie würden auf eine Beschneidung der nationalen Budgethoheit hinauslaufen. Brüsseler Proponenten einer enger vernetzten Eurozone entgegnen auf diesen Einwurf, dass eine Währungsunion ohne eine politische Union längerfristig nicht existieren könne und man den Sprung nach vorn wagen müsse.

Eine besondere Rolle kommt in der ganzen Diskussion vor allem zwei Ländern zu: Frankreich und Großbritannien. Frankreichs Staatschef, François Hollande, wünscht sich zwar eine enger verzahnte Eurozone mit eigenem Budget und separater Parlamentskammer. Ob diese Kooperation auch die französische Budgetpolitik umfassen soll, ist offen – denn bis dato hatte sich Paris stets gegen entsprechende Vorgaben aus Brüssel gewehrt.

Deutsches Angebot an David Cameron?

François Hollande werde seine Ideen bis Ende des Sommers konkretisieren, hieß es aus französischen Regierungskreisen. Und dann wird sich weisen, ob die Ideen von Paris mit den Vorstellungen Großbritanniens kompatibel sind.

Premier David Cameron will nämlich bis Ende dieses Jahres das Verhältnis seines Landes zur Europäischen Union neu verhandeln. Den Briten geht es um Ausnahmeregelungen bei der Personenfreizügigkeit, um den Schutz des Finanzsektors vor zu viel Regulierung und eine insgesamt schlankere Union.

Insofern lassen sich die Ideen Wolfgang Schäubles auch als ein Angebot an Großbritannien deuten: eine entpolitisierte Aufsicht über den Binnenmarkt auf der einen, mehr Kooperation innerhalb der Eurozone auf der anderen Seite.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.