Die europäischen Eliten und ihr Dilemma mit der Realität

Braucht der Euro eine starke zentrale Wirtschaftsregierung? Ja, natürlich – aber ohne breite Zustimmung der Bevölkerung wird das nicht funktionieren.

Vor wenigen Tagen erst hat sich Deutschlands Finanzminister, Wolfgang Schäuble, für eine EU-Steuer samt Euro-Finanzminister, also für einen umfassenden Transfer wichtiger Kompetenzen nach Brüssel, ausgesprochen. Gestern hat er de facto eine Kompetenzbeschneidung der EU-Kommission gefordert. Zwei ziemlich gegensätzliche Vorstöße zur Zukunft der Europäischen Union innerhalb weniger Tage.

Seltsam, aber charakteristisch für den aktuellen Zustand Europas: Selbst die politischen Eliten wissen nicht mehr, wo genau sie hinwollen. Das heißt, sie wissen es im Prinzip wahrscheinlich schon, haben aber keine Idee, wie sie das ihren Bevölkerungen klarmachen sollen.

Das ganze Dilemma, das aus den Schäuble-Volten spricht, lässt sich mit zwei Fragen zusammenfassen. Erstens: Kann die Währungsunion ohne weitere politische Integration, die zumindest in einer Art europäischer Wirtschaftsregierung mündet, auf Dauer überleben? Und zweitens: Wollen die Bevölkerungen der Euroländer diese Art von Zentralstaat?

Frage zwei ist schnell beantwortet: Nein, wollen sie nicht. Die Vereinigten Staaten von Europa als Bundesstaat, in dem wichtige Bereiche wie die Außenpolitik, Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie Verteidigungspolitik den Nationalstaaten entzogen sind, würden bei Volksabstimmungen derzeit nicht nur bei uns keine Zustimmung finden. Die nationalen Regierungen unternehmen auch alles, um diese Stimmung noch zu festigen: Alles, was schiefläuft, wird auf Brüssel geschoben.

Das macht die Beantwortung von Frage eins kompliziert. Denn selbstverständlich war die Konstruktion des Euro darauf ausgerichtet, dass es früher oder später zumindest eine zentrale Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt. Dass sich eine echte Währungsunion nicht durch vergleichsweise zahnlose Vereinbarungen wie die Maastricht-Kriterien umsetzen lässt (zumal, wenn die gleich zu Beginn von den größten Teilnehmern der Währungsunion selbst missachtet und gebrochen werden), hat sich unterdessen ja eindrucksvoll herausgestellt.

Das war den Baumeistern des Europa der Eliten natürlich auch von Anfang an klar. Statt das freilich so zu kommunizieren (und dabei zu riskieren, dass der Euro schon vor dem eigentlichen Start am Widerstand der europäischen Bevölkerungen scheitert), hat man offenbar versucht, Fakten zu schaffen. Nach der Devise „Wenn wir einmal den Euro haben, kommt die politische Union zwingend von selbst“. Das war, wie man sieht, leider ein Irrtum.

Einer mit fatalen Folgen. Denn selbstverständlich ist eine aus Regionen unterschiedlicher wirtschaftlicher Stärke gebildete Währungsunion zwingend auch eine Transferunion. Anders geht das ja gar nicht. Aber ebenso selbstverständlich kann eine Transferunion nicht funktionieren, wenn jeder Teilnehmer Wirtschaftspolitik nach seinem Gusto betreibt – und die Rechnung am Ende immer bei Deutschland landet.


Statt über kleine Kompetenzverschiebungen und gesamteuropäische Bagatellsteuern nachzudenken, sollten sich zumindest die Regierungen der Eurozone einmal klar darüber werden, wohin sie wirklich wollen: Soll am Ende ein politisch und wirtschaftlich starkes Europa mit einer starken gemeinsamen Währung stehen, dann muss ein glaubwürdiges, demokratisch legitimiertes Modell mit starken supranationalen Institutionen in den angesprochenen Bereichen (Wirtschaft, Finanzen, Außenpolitik, Verteidigung) entwickelt – und den Menschen auch glaubhaft kommuniziert werden. Denn gegen die nationalen Bevölkerungen wird Europa nicht funktionieren.

Wenn das nicht klappt, dann muss man wohl überlegen, wie man die bisher erreichte monetäre Integration möglichst schmerzfrei wieder zurückfährt. Mit der Konsequenz natürlich, dass ein nationalstaatelndes Europa dann nicht nur wirtschaftlich in die globale Bedeutungslosigkeit zurückfällt. Keine Option sollte eine Weiterführung des bisherigen Herumlavierens sein. Das führt nämlich wirklich geradewegs in die Katastrophe, wie man an der Griechenland-Krise sehr schön sehen kann – wenn man will.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

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