Superschnellzüge: Debakel für Spaniens schnelle Bahn

Teure Züge, kaum Passagiere: der spanische AVE.
Teure Züge, kaum Passagiere: der spanische AVE.Marco Ansaloni/Science Photo Library/picturedesk.com
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Richter erklären die Ausschreibung von 30 Superschnellzügen für rechtswidrig. Die Politik hält am Ausbau des AVE-Netzes fest. Dabei hat es sich als gigantische Fehlinvestition erwiesen.

Wien. Alles noch einmal von vorn: Spaniens Regierung muss einen Großauftrag für die staatliche Eisenbahngesellschaft Renfe neu ausschreiben. Es geht um 30 AVE-Superschnellzüge, dazu kommt ein Wartungsvertrag für 40 Jahre. Der Gesamtwert des Auftrags: 2,6 Mrd. Euro. Um den gewaltigen Brocken gerittert hatten Siemens, die Franzosen von Alstom, zwei spanische Anbieter und Bombardier. Bis die Kanadier Ende April klagten: Die Ausschreibung sei diskriminierend und verletze die Prinzipien des freien Wettbewerbs in der EU. Etwa, weil in die Bewertung eingeflossen ist, ob der Bieter die Züge in Spanien herstellen will. Ein Verwaltungsgericht hat den Klägern nun recht gegeben. Das Projekt verzögert sich damit um mindestens ein halbes Jahr – ein herber Rückschlag für das Image der Staatsbahn.

Längstes Netz in Europa

Die Ironie dabei: Bombardier hatte sich noch über manch anderes beschwert, was die Richter zurückwiesen. Die Produktion vor Ort war für die Kanadier gar kein wichtiger Punkt, weil sie ohnehin Fabriken in Spanien haben – wie auch Siemens und Alstom. Das ist kein Zufall: Seit über zwei Jahrzehnten können die großen Zughersteller hier auf lukrative Aufträge hoffen, dank des großzügigen AVE-Ausbaus. 47 Mrd. Euro hat der spanische Staat schon in das Netz für Superschnellzüge investiert. Es ist mit 3400 Kilometern Schienen das längste in Europa. Weltweit baut nur China mehr.

Was dabei stutzig macht: Der Intercity in Deutschland, wo fast doppelt so viele Menschen wie in Spanien leben, kommt man mit der Hälfte der Strecke aus. Mehr noch: Kein Land weltweit schafft so wenige Passagiere pro Superschnellzug-Kilometer wie Spanien. Bei Frankreichs TGV sind es fünfmal so viele, in Japan über 13Mal. Man muss also kein Bahnmanager sein, um angesichts solcher Zahlen zu vermuten: Die spanische Bahn hat mit ihrem Aushängeschild ein gröberes wirtschaftliches Problem. Es wird noch anschaulicher, wenn man einen Blick auf die Bahnhöfe wirft, die eigens für den Schnellzug gebaut oder zumindest aufwendig adaptiert werden mussten.

Wie in Tardienta, einem gottverlassenen Dorf im Pyrenäenvorland. Immerhin zweigt von dort eine Lokalbahn ab, und deshalb gibt es dort auch eine AVE-Station. Man kann nicht sagen, dass sie wirklich angenommen wird: Im Schnitt verirrt sich dorthin pro Tag nur ein einziger einsamer Passagier. Ein Extremfall, der aber ins Gesamtbild passt: Jeder vierte AVE-Bahnhof kommt auf weniger als 100 Besucher pro Tag, berichtete am Sonntag „El País“ anhand offizieller Zahlen. Ähnlich schlimm sieht es mit manchen Strecken aus. 2011 stellte die Renfe nach nur einem halben Jahr die Verbindung von Toledo nach Cuenca ein. Sie wurde nämlich nur von neun Menschen pro Tag genutzt. Wie können solche kapitalen Fehlplanungen passieren?

In den Jahren des Baubooms kannte das spanische Verkehrsministerium kein Maß: Man errichtete Straßen ins Nichts, Flughäfen ohne Passagiere – und vor allem teure AVE-Strecken ohne Bedarf, bei zugleich hohen Preisen für die Tickets. Der Superschnellzug war das wichtigste Infrastrukturprestigeprojekt, erst unter der konservativen Regierung Aznar, dann unter dem Sozialdemokraten Zapatero, der eine Verbindung in jede Provinzhauptstadt versprach. Auch das Platzen der Immobilienblase, die Krise und der massive Anstieg der Staatsschulden konnten die Schienenbauwut nicht stoppen. Immer wieder setzen Regionalpolitiker in Madrid neue Strecken für ihre Wähler durch, wie entlegen sie auch leben mögen.

Keine Strecke ist rentabel

Vor einem Jahr stellte die renommierte Forschungsstiftung Fedea dem AVE ein vernichtendes ökonomisches Zeugnis aus: Keine einzige Linie ist rentabel, auch nicht die am stärksten genutzte von Madrid nach Barcelona. Bei einer anderen Hauptachse, von Madrid in den Norden, erzielt nicht einmal der Betrieb einen positiven Deckungsbeitrag. Es wäre also wirtschaftlich sinnvoll, sie sofort einzustellen.

Nun könnte man einwenden: Es geht um mehr als die Bilanz eines Bahnunternehmens. Die Bürger haben Vorteile: Reisende kommen schneller ans Ziel, sie ersparen sich Flugtickets, auf den Straßen gibt es weniger Staus. Aber die Fedea-Ökonomen haben diese indirekten Effekte mitberechnet.

Auch auf Basis der „sozialen Rentabilität“ kommt bei fast allen Strecken nicht einmal die Hälfte der Baukosten herein. Zwar hat die Staatsbahn die Ticketpreise in den vergangenen Jahren drastisch gesenkt, um den AVE attraktiver zu machen. Aber nach den Prognosen wird das Netz dauerhaft ein Verlustgeschäft bleiben – die Nachfrage ist einfach zu gering.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2016)

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