Europas Konzerne verlieren an Wert

(c) REUTERS
  • Drucken

Apple, Google und Microsoft bleiben auch 2016 die Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung. Unter den teuersten 100 Konzernen der Welt finden sich nur 23 europäische.

Wien. Vergangenes Jahr war es die Diskussion um einen möglichen Grexit, die europäische Konzerne besonders traf. Dieses Jahr sind es die Marktturbulenzen nach dem Brexit, der nicht nur europäischen, sondern Unternehmen weltweit zugesetzt hat. Das ergab eine Analyse von Ernst & Young (EY) zu den 100 teuersten Unternehmen der Welt. Seit dem 22. Juni – dem Tag vor dem Briten-Referendum – sank der Gesamtwert der Top 100 um knapp 340 Milliarden US-Dollar. Allein rund 119 Mrd. US-Dollar des Verlusts gehen auf die Kappe europäischer Konzerne.

Das Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung ist, wie 2015, Apple. Der Börsenwert des Konzerns ist zwar seit Anfang des Jahres um etwa 74 Milliarden US-Dollar (13 Prozent) gesunken, hat aber noch immer einen Wert von 513 Mrd. US-Dollar. Zweiter auf der Liste ist der Google-Mutterkonzern Alphabet, der 2016 mit 471 Mrd. US-Dollar um elf Prozent weniger wert ist als im Vorjahr.

Schweizer Nestlé auf Rang 14

Aus europäischer Sicht sind die Ergebnisse der diesjährigen EY-Publikation eher eine deprimierende Angelegenheit: Unter den wertvollsten Unternehmen der Welt haben nur mehr 23, also nicht einmal ein Viertel, ihre Headquarters in Europa. Vergangenes Jahr waren es noch 25. Und unter den wertvollsten ersten zehn finden sich überhaupt nur Konzerne aus den USA. Erst auf Platz 14 gibt es einen Europäer, nämlich den Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé mit einer Marktkapitalisierung von immerhin 229 Mrd. US-Dollar.

Der Börsenwert von US-Konzernen entwickelte sich 2016 klar besser als jener der europäischen. Insgesamt finden sich 57 US-Unternehmen im EY-Ranking unter den ersten 100. Von diesen konnten mehr als die Hälfte (58 Prozent) seit Jahresbeginn ihren Marktwert steigern. Von den europäischen Gesellschaften (siehe Grafik) gelang das nur 35 Prozent. „Europa verkauft sich derzeit unter seinem Wert“, resümiert EY-Partner Gerhard Schwartz. „Trotz des robusten Konjunkturaufschwungs, der sinkenden Arbeitslosigkeit und einer insgesamt guten Umsatz- und Gewinnentwicklung verzeichnet die Mehrzahl der europäischen Topkonzerne sinkende Aktienkurse.“

Überrascht ist Schwartz über diese Entwicklung nicht. Die vielen Negativschlagzeilen der vergangenen Monate – ob Grexit, Brexit, Schulden- oder Flüchtlingskrise – hätten Ambitionen der Investoren, auf dem Kontinent tätig zu werden, stark gemindert. An einen baldigen Aufwärtstrend glaubt Schwartz nicht. In den kommenden Monaten werde die Volatilität auf den Kapitalmärkten, die der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der Eurozone verursacht hat, anhalten.

Europa fehlt Risikobereitschaft

Aufschlüsse geben die Ergebnisse auch darüber, welche Unternehmenssparten dieses Jahr hoch im Kurs sind. 16 Konzerne der „Top Hundred“ sind im Bereich IT (Computer, Internet, Software) tätig. Zehn davon haben ihren Sitz in den USA. SAP aus Deutschland ist das einzige europäische IT–Unternehmen, das sich unter den wertvollsten 100 findet. Asien macht mit vier IT-Riesen den Nordamerikanern Konkurrenz. „In den USA hat sich die IT-Industrie zur Leitbranche entwickelt, während in Europa nach wie vor klassische Industriekonzerne den Ton angeben“, sagt Schwartz. Die starke Entwicklung in den USA und auch in Asien führt er auf die höhere Risikobereitschaft amerikanischer und asiatischer Unternehmensgründer zurück. Die gesellschaftliche Akzeptanz des Unternehmertums sowie die teilweise deutlich besseren Finanzierungsbedingungen seien weitere Gründe. „Europa schaut Asien und den USA derzeit nur von der Seitenlinie aus zu“, sagt er. Wenngleich, Bemühen spricht er dem Kontinent nicht ab, denn europäische Konzerne arbeiten daran, ihre Geschäftsmodelle und ihre Prozesse für die digitale Wirtschaftswelt fit zu machen. „Doch es wird ein hartes Stück Arbeit, im Wettbewerb mit den Technologiegiganten wieder in die Offensive zu kommen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.