Heute vor... im Jänner

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Mayerling: Jagdunfall, Schlaganfall, Schussverletzung – die Nachrichten überschlagen sich, die Wahrheit – Selbstmord - darf nicht geschrieben werden.

Vor 125 Jahren - Peinliche Gerüchte über Mayerling

Neue Freie Presse am 31.1.1889

Die erste Nachricht, welche etwa um 1 Uhr mittags über das düstere Ereignis bekannt wurde, lautete bloß dahin, dass dem Kronprinzen ein großes Unglück auf der Jagd widerfahren und derselbe schwer verwundet worden sei. Um 3 Uhr kam die Meldung: „Von Mayerling nächst Baden, wohin sich seine k. und k. Hoheit vorgestern zu einem Jagdausflug begeben hatte, kommt uns soeben die erschütternde Nachricht zu, das seine Hoheit einem plötzlichen Tode, wahrscheinlich in Folge eines Schlaganfalls erlegen sei.“ Schon begannen die abenteuerlichsten Gerüchte sich zu kreuzen, und die Verwirrung wurde immer größer. Die Telegraphen-Ämter waren belagert, alle Depeschen, welche die Version enthielten, dass der Kronprinz mit einer Schusswunde aufgefunden worden sei, wurden zur Beförderung nicht zugelassen.

''Heute vor...''

Mit 1. Jänner 2014 hat DiePresse.com eine neue Serie gestartet. Was bewegte Österreich vor 50, 100 oder 150 Jahren? Unser Archivchef Günther Haller wühlt sich durch die Zeitungen der letzten 165 Jahre und sucht heraus, worüber die Österreicher gelacht oder sich geärgert haben, wann sie Geschichte gemacht haben und wann sie von ihr überrollt wurden.

Vor 125 Jahren: Ein furchtbares Unglück - Kronprinz Rudolf plötzlich tot

Das „Abendblatt“ der Zeitung meldet eine Nachricht, die die Monarchie erschüttert.

Neue Freie Presse am 30.1.1889

Ein furchtbares, entsetzliches, niederschmetterndes Unglück hat sich ereignet. Kronprinz Rudolf, der Erbe des Thrones, die Hoffnung der Dynastie und des Reiches, ist tot! In der Blüte seiner Jahre, in strotzender Lebenskraft, das jugendliche Haupt voll Entwürfen für die Beglückung seines künftigen Reiches, für die Macht der Monarchie, für die Hebung von Kunst und Wissenschaft, hat einer jener tückischen, meuchlerischen Unfälle, welche der Neid der Götter zu entsenden pflegt, ihn auf unerklärliche Weise gefällt, seinem kaiserlichen Vater, seiner blühenden Gattin, seinem Kind, seinem Land, seinem Volk entrissen! Das Schreckliche ist herniedergefahren wie der Blitz, der im Entstehen vernichtet. Die Träne selbst versiegt von der Unermesslichkeit solchen Schmerzes. Gott tröste den Kaiser, das Reich, uns alle, die wir ihn alle verloren haben.

Vor 100 Jahren: Ein neues Theater für Wien

Das „reizende" Akademietheater ist Teil der Akademie für Musik und darstellende Kunst.

Neue Freie Presse am 29.1.1914

Reizend ist das kleine Theater, das, als Übungsbühne für die Schüler der Anstalt bestimmt, heute nachmittag mit einer Aufführung von Verdis „Maskenball" eröffnet wurde. Mitten im neuen Akademiegebäude liegt der im Empirestil gebaute rot-weiß-gold gehaltene Saal wie ein in den gemessenen Ernst der umgebenden Lehrsäle gezaubertes Kleinod. Parkett, Logen und Galerie fassen wenig mehr als fünfhundert Personen. Dieses Theater, um welches die Akademie wohl von allen Musikschulen der Welt beneidet werden wird, besitzt eine Bühne, die in jeder Hinsicht nach modernsten Prinzipien eingerichtet ist. Die Vorstellung erreichte zuweilen ein ansehnliches Niveau, wenn man nicht vergaß, dass hier Schüler und Zöglinge geschminkt und kostümiert auf der Bühne standen und ohne Souffleur und Inspizienten richtiges Theater spielten!

Vor 125 Jahren: Verfall der journalistischen Sitten

Die Vertreter der öffentlichen Meinung sind niveaulos geworden.

Die Presse am 28.1. 1889

Die Vertreter der öffentlichen Meinung erfreuen sich bekanntlich seit längerer Zeit nicht mehr jener Wertschätzung, auf die gewiss die Mehrzahl derselben gerechten Anspruch erheben darf. Man kann da ausrufen: Am Fall der Journalistik sind die Journalisten mitschuldig. Es hat sich in der Wiener Journalistik, die sich durch die Raschheit ihrer Berichterstattung, die Gediegenheit ihrer Leistungen auf allen Gebieten einen Weltruf erwarb, ein System der Nervosität, der Übertreibung, des Haschens nach Sensationellem herausgebildet, das den Geschmack eines großen Teils des lesenden Publikums verdorben hat. Die Objektivität, alle Vorkommnisse, sie mögen nun soziale, politische oder künstlerische Bedeutung haben, von einem allgemeinen Standpunkte zu schildern und zu beurteilen, scheint einer Anzahl von Federn, die sich in den Dienst der öffentlichen Meinung gestellt haben, verloren gegangen zu sein, und dafür tritt die subjektive Stimmung, die einzelne Meinung mit brutaler Gewalttätigkeit auf.

Vor 100 Jahren: Pragmatisierung - eine sympathische Neuheit

Vor hundert Jahren wurde die Dienstpragmatisierung für Beamte eingeführt.

Neue Freie Presse am 27.1.1914

Im Reichsgesetzblatt wird morgen die Dienstpragmatik für die Staatsbeamten verlautbart werden. Die Beamten, denen die Dienstpragmatik eine Aufbesserung ihrer Bezüge und die Sicherheit der Vorrückung im Gehalte bringt, haben dem Tage der Kundmachung lange entgegengesehen. Seit mehr als einem Jahr ist das Gesetz parlamentarisch erledigt. Während dieser Zeit hat die Beamtenschaft mit Geduld auf die Verwirklichung der Zusicherungen gewartet, die ihr in der Dienstpragmatik gemacht worden sind. Die Öffentlichkeit, welche wohl weiß, unter wie schwierigen Verhältnissen die Beamtenschaft ihren Pflichten obliegt, begrüßt mit Sympathie die Erfüllung der langgehegten Wünsche der Staatsangestellten.

Vor 50 Jahren: Welches Dekolleté! Elizabeth Taylor als Cleopatra

Filmpremiere „Cleopatra“, der Kritiker der „Presse“ outet sich als Taylor-Fan.

Die Presse am 26.1. 1964

Man hat schon länger davon gehört, dass sie die Titelrolle spielt, obwohl man eher den Eindruck gewinnt, Cleopatra habe nur gelebt, um dereinst diesen Film zu ermöglichen. Wem Miss Taylor gefällt (z.B. mir), wird sie auch dieses Mal gefallen, zumal sie fast in allen Einstellungen in Kostümen erscheint, von denen jedes Gelegenheit gibt, den schönen prä-Lollobrigida-Busen der Künstlerin im Anschnitt zu bewundern. Sensationsspezialist Andrew Marton (er inszenierte das Wagenrennen in „Ben Hur“), wartet dieses Mal mit einem Staatsbesuch Cleopatras in Rom auf, gegen den der Triumphmarsch in „Aida“ ein Geigensolo ist. Sogar Miss Taylor selber sieht ernstlich seekrank aus. Und eine Seeschlacht, die für Admirale ebenso lehrreich sein dürfte wie es seinerzeit „Rififi“ für Einbrecher war. Man bekommt was für sein Geld.

Vor 50 Jahren: Wien hat kein Wasser. Skandalös.

Wasser aus Tankwagen: Die Wiener ärgern sich über Wassernot.

Die Presse am 25.1.1964

„Im Sommer kein Wasser, im Herbst kein Wasser und im Winter auch nicht!" ärgern sich viele Bewohner der Bundeshauptstadt, seitdem die Wasserhähne in ihren Wohnungen versiegt sind. Besonders groß ist dieser Ärger bei allen jenen Hausfrauen, die mit Eimern zu den von der Gemeinde Wien eingesetzten Zisternenwagen eilen müssen, um sich mit Wasser zu versorgen. In Hotels musste man sich damit behelfen, dass man die Gäste in tiefer gelegene Stockwerke umquartierte, wo noch Wasser fließt. In manchen Espressi muss ein „Häferlkaffee" mit Wasser gekocht werden, das ebenfalls aus dem Tankwagen stammt. Seine Qualität ist dementsprechend. Friseure mussten den Ärger ihrer Kundinnen über sich ergehen lassen, die gerade den Kopf voller Shampoo-Schaum hatten, als plötzlich kein Wasser mehr rann. Und es dauerte einige Zeit, ehe es in Kannen aus der Nachbarschaft herbeigeholt und erwärmt war, um es dann zum Waschen der Haare zu verwenden.

Vor 100 Jahren: Wer regiert eigentlich in Deutschland?

Herbe Kritik der liberalen Zeitung am politischen System im Deutschen Reich.

Die Neue Freie Presse 24.1. 1914

Wohl ist das Deutsche Reich ein Verfassungsstaat; aber in diesem Verfassungsstaate bestehen Absolutismus und Adelsvorherrschaft zum Teil noch weiter. Die Militärmacht herrscht darin mit absolutistischen Anschauungen, und die tatsächliche Macht im Staate üben die preußischen Junker aus, die nicht daran denken, auch nur ein Teilchen davon aufzugeben, die sich sofort erheben, wenn sie eine Machtverringerung befürchten müssen, und die lieber das ganze Deutsche Reich in Trümmer gehen lassen würden, als auf ihre ausschlaggebende Stellung zu verzichten. Der Verfassungskampf ist in Deutschland in Wirklichkeit noch nicht ausgekämpft, und das deutsche Volk muss ihn weiter führen und zu Ende kämpfen.

Vor 125 Jahren: Die Wiener leben länger - dank Hochquellwasser

Die Wiener Bevölkerung ist gesünder geworden, die Trinkwasserqualität wurde verbessert.

Die Presse am 23.1.1889

Seit Wien im Genuss der Hochquelle ist, von 1874 bis 1888, ist die Jahres-Mortalität in stetigem Sinken. Da mit deren Abnahme auch die mittlere Lebensdauer wächst, so haben wir alle die erfreuliche Aussicht auf ein längeres Leben. Was die beiden stabilen Großstadtkrankheiten, nämlich die Phtise (Auszehrung durch Lungentuberkulose) und den Typhus betrifft, so zeigt sich: Der Typhus, eine häufige und bösartige Volkskrankheit, hat jetzt seinen Schrecken verloren und ist in einzelnen Jahren sogar zur Seltenheit geworden. In dem 15jährigen Zeitraum vor Einleitung der Hochquelle kamen in Wien durchschnittlich jährlich 700 Sterbefälle an Typhus vor, von 1874 bis 1888 waren es nur 169. ... Vom hygienischen Standpunkt ist daher das Schöpfen des Trinkwassers aus offenen Gewässern nicht statthaft. Die Gefahr des Hineingelangens krankheitserregender Pilzkeime ist nicht zu unterschätzen. Wo dies die Notwendigkeiten dennoch erheischen, ist wenigstens eine allen sanitären Anforderungen entsprechende Filtration dieses Wassers geboten. Dann braucht unserer Stadt beim Herannahen von Seuchen nicht bange zu sein.

Vor 100 Jahren: Das sportbegeisterte Amerika

Der amerikanische Sport: Großer Nachholbedarf für Europa.

Neue Freie Presse am 22.1.1914

Man mag als Bewohner des alten Kontinents über amerikanischen Geschmack und dortiges Leben denken wie man will, als Sportsman und Hygieniker kann man über das amerikanische Sportsleben nur einer Meinung sein: nur voll der größten Bewunderung und Anerkennung. Überall wird dort gepredigt: Werde ein Sportsman, werde ein Gentleman. So haben sie die  Riesenstadt New York mit einem dichten Netz öffentlicher Spielplätze kunstvoll umspannt. Wo die Bevölkerung am dichtesten und am ärmsten ist und die Kinder am dringendsten der öffentlichen Fürsorge bedürfen, sind diese Spielplätze. Hunderte von kleinen Jungen üben dort Fußball und Basketball.  Hier bereitet sich eine völlig neue Generation vor. Rings um die Spielplätze flutet das Leben der Einwanderer in den alten Formen der Heimat dahin. Der Sport vollbringt hier das große Werk der Assimilation, um das sich Europa durch Jahrhunderte vergebens bemüht, in kaum einem Menschenalter. Aus allen Rassen der Welt bildet sich hier der einheitliche Typus des amerikanischen Sportsmans und liefert den klassischen Beweis dafür, dass die Disposition zur großen sportlichen Leistung unabhängig ist von Rasse und Nation.

Vor 50 Jahren: Was der Wiener ÖVP für den Erfolg fehlt

Die Presse am 21.1. 1964

Der Volkspartei fehlt in der Bundeshauptstadt seit langem die dynamische, überzeugende Politikerpersönlichkeit, die die Leute dort anzusprechen weiß, wo sie wirklich der Schuh drückt, die ein Gespür für das hat, was sich unter der verkrusteten Oberfläche begibt. So allein ließe sich nämlich die in heterogene Elemente, ja in Cliquen auseinanderfallende Partei zusammenschweißen, so allein ein Programm entwickeln, das gerade von Wien aus jenes Terrain aufholen könnte, das durch den Strukturwandel in den Ländern an die SPÖ verlorenging. Wo findet sich ein Politiker, der zu führen vermag, der die Sprache der Großstadt spricht und jene Kreise erreicht, die es zu aktivieren gilt? Die Suche wird kein Ende finden, ehe nicht ideell und personell die soziale Realität der Bundeshauptstadt von heute die Basis des politischen Handelns geworden ist.

Vor 125 Jahren: Die neue Gasbeleuchtung - ganz unschätzbar

Das Gasglühlicht, eine Erfindung von Carl Auer von Welsbach, setzt sich durch.

Die Neue Freie Presse am 20.1.1889

Dieses neue Beleuchtungssystem, bekanntlich eine österreichische Erfindung, hat in verhältnismäßig kurzer Zeit eine außerordentliche Verbreitung gefunden. Man findet es in sämtlichen k.k. Post- und Telegraphen-Ämtern, in den meisten öffentlichen Instituten, Banken, Schulen, Büros, Hotels, u.a. in fast sämtlichen Ringstraßen-Cafés. Überall ist es das schöne ruhige Licht, die unleugbar enorme Gasersparnis und der Vorzug, dass es keinerlei Hitze verursacht, was dem Auer'schen Lichte allgemein Eingang und Erfolg verschafft. Insbesondere der Umstand, das das Auer'sche Gasglühlicht, wie kein anderes Beleuchtungssystem, von der lästigen Hitze der gewöhnlichen Gasbeleuchtung befreit, macht es für öffentliche Lokale, nicht minder aber auch für Büros und Privatwohnungen ganz unschätzbar.

Vor 25 Jahren: 100 Jahre SPÖ - Anfang wieder bei Null

Politik 1989 - zwischen Verdrossenheit und Ratlosigkeit.

Die Presse am 19.1.1989

Draußen die Verdrossenen, drinnen die Ratlosen. Draußen die Menschen, drinnen die Parteifunktionäre. Dazwischen der Vorsitzende und Bundeskanzler, Vranitzky, der die trennende Glaswand beseitigen möchte. Im speziellen weiß Österreich Sozialdemokratie nicht recht, wie und wohin es nach den ersten einhundert Jahren weitergehen soll; im allgemeinen tappen aber alle großen Parteien wie mit verbundenen Augen dorthin, wo sie diese Zukunft vermuten. Je krampfhafter SP-Denker Allerweltswerte wie Solidarität und Internationalität für sich allein zu reklamieren suchen, umso deutlicher wird, dass der große ideologische Rest zum Programm für eine schmale Minderheit verschrumpelt ist. Das ausgerechnet heute, da Sozialdemokraten übereingekommen sind, eine Volkspartei – knapp, wenn überhaupt links von der Mitte – sein zu wollen. Die nächsten hundert Jahre der SPÖ fangen, wenn sie überhaupt anfangen, bei Null an.

Vor 100 Jahren: Wüste Attacke gegen die moderne Kunst

Albin Egger-Lienz, erfolgreicher Maler und eigentlich alles andere als ein Reaktionär, über zeitgenössische Künstler.

Die neue Freie Presse am 18.1.1914

Ich halte die Produkte der Kubisten, Expressionisten, Neos, Futuristen usw. für puren Schwindel ... der Großteil jener Leute ist nicht pathologisch (wenn sie auch Wahnsinn simulieren), sondern es sind Bluffer schlechtweg. Man lese nur das "Futuristische Manifest" und ähnliche Potpourris abgedroschenster Fortschrittsphrasen, wie sie in den Ausstellungen dieser Leute verteilt werden, um uns von dem Nichtvorhandenen zu reden, das man hier sehen soll, man lese das geschwollene Gefackel ihrer Kurstreiber in der Presse, diesen mit allerhand bunten Mätzchen ausgestatteten Wortkram kunstfremdester Schwätzer - und man muss entweder von Wörtern betrunken sein oder die Stirn mit Brettern vernagelt haben, wenn man hier nicht alle Kriterien der Plakathochstapelei unserer Zeit vor sich sieht.

Vor 25 Jahren: Minirock auf einem Ball - ein no go!

Bedenkliche Entwicklung im Fasching.

Die Presse am 17.1.1989

Wo einst Abendkleider rauschten, Mädchen ihren (Ball-)Prinzen suchten und das Flair der wirklich „großen Welt" allgegenwärtig zu sein schien, werden Discos eingerichtet, Gschnasfeste immer populärer, und sogar in der Hofburg wurden Minikleider gesichtet. Hat der Ball, traditionsreiches Relikt aus der Kaiserzeit, seine Magie, seinen Charme verloren? ... Die Mode hält zum Schrecken mancher älterer Ballbesucher Einzug aufs Parkett. „Schaun S' wie die ausschaut", raunte eine ältere Dame hinter vorgehaltener Hand, „und das soll ein Ballkleid sein?" Es sei zwar „recht schön", aber für ihr Empfinden „einen halben Meter zu kurz". ... Für die Damen, so wurde in der Hofburg überlegt, könnte man für den Notfall Wickelröcke bereitstellen, verwarf die Idee aber wieder.

Vor 25 Jahren: Jörg Haider lässt die Puppen tanzen

Der neue Kärntner Landeshauptmann tanzt auf allen Kirtagen.

Die Presse am 16.1.1989

Hätte es noch eines Beweises für seine Meisterschaft in unvorhersehbaren Kehrtwendungen um 180 Grad bedurft, FP-Chef Jörg Haider hätte ihn gestern mit Bravour erbracht. Im Vorjahr ließ der blaue Fähnleinführer noch wissen, er wolle nicht als Wahllokomotive nach Kärnten gehen. Vor einer Woche kehrte er der Bundespolitik den Rücken, um  ebendort Landeshauptmann zu werden. Beim FP-Neujahrstreffen war gestern schon wieder alles ganz anders. Da erklärte Haider - ganz Übermensch -, als Landeshauptmann könne er auch nebenbei noch den Laden der Bundespartei schupfen. Nicht genug damit. Nun will sich Haider sogar in die Landesparteien einmischen. Bleibt bloß die Frage offen, ob nach soviel Hin und Her nicht sogar schon der letzte FP-Funktionär den Überblick verloren hat. Oder ist das genau Haiders Ziel?

Vor 125 Jahren: Unruhe im Hinterhof Österreichs

Am Balkan brodelt es. Werden wir schon in den Griff bekommen. Ein Irrtum.

Die Neue Freie Presse am 15.1.1889

Die ungeheure Mehrheit der Rumänen, Serben und Bulgaren, mag sie Österreich freundlich gesinnt sein oder nicht, will die Unabhängigkeit und die freie Entwicklung ihrer nationalen Staatengebilde. Gegen die selbständige Entfaltung der Balkanvölker hat Österreich nichts einzuwenden. Österreich will in den Gebieten seiner südöstlichen Nachbarn weder Eroberungen machen, noch ihnen seine Oberherrlichkeit aufdrängen, es verlangt nichts anderes, als dass die frisch aufgeschossenen Staaten ihm gute und ehrliche, seine gerechten Ansprüche anerkennenden Nachbarn seien. Ihre volle, uneingeschränkte Unabhängigkeit widerspricht deshalb durchaus nicht den Zwecken unserer Orient-Politik. Im Gegenteil, je rascher die neuen Gäste an der Tafel Europas aus dem Kindesalter in die Mannesjahre übergehen, desto besser.

Vor 100 Jahren: Durchfrorene Stehplatzbesucher vor der Staatsoper

30 Jahre lang durfte Richard Wagners "Parsifal" nur in Bayreuth gespielt werden, jetzt ist Premiere in Wien.

Die Neue Freie Presse am 14.1.1914

Die wenigen Leute, die heute etwa um 6 Uhr morgens in grimmiger Kälte am Opernhaus vorbeieilten, sahen vor dem Eingang in der Kärntnerstraße merkwürdige Dinge. Junge Leute übten irgendwelche Bewegungsspiele, sie sprangen von einem Fuß auf den anderen, schlugen mit den Armen um sich, machten Kniebeugen. Diese jungen Leute gehörten aber nicht etwa einer neuartigen Sekte von Freiluftathleten an, sondern es waren Musikenthusiasten, die der heutigen "Parsifal"-Vostellung um jeden Preis, auch um den eines angefrorenen Ohrläppchens, beiwohnen wollten. Aus etwa dreißig Kehlen wurden Betrachtungen über außerordentliche Fröste, Beispiele von Erfrierungstod, Nansen, erhöhte Preise und Wagner angestellt. Um 7 Uhr hatte man endlich Erbarmen, die Türen kreischten in den Angeln und wurden bedächtig geöffnet. Gegen 9 Uhr waren wohl schon an die 200 Menschen dicht gedrängt. Ein lebhafter Tauschhandel und eine permanente Proviantzufuhr entwickelte sich. Dienstmädchen kamen mit Töpfen, bis an den Rand mit heißer Suppe gefüllt

Heute vor 50 Jahren: Die Sowjetmenschen - allesamt Bildungsbürger

Eine sowjetische Umfrage in Ostsibirien enthüllt Erstaunliches.

Die Presse am 13.1. 1964

Die sowjetischen „Gallup"-Spezialisten, die sich besonders für die fern an der chinesischen Grenze gelegene Stadt Ust-Kamenogorsk ineressierten, haben errechnet, dass 97 Prozent der Bevölkerung täglich eine halbe Stunde Zeitung lesen. 80 Prozent widmen sich täglich der Lektüre von Büchern und anspruchsvollen wie umfangreichen Zeitschriften. Die dem Wettbewerbsgedanken mit den USA verhafteten sowjetischen Beobachter stellen dazu mit Vergnügen fest, der amerikanische Soziologe Ropper habe nach Studium des intellektuellen Lebens junger Amerikaner betrübt konstatiert: „Das Bücherlesen steht in den USA nicht in hohem Ansehen." Von 103 Ust-Kamenogorskern nehmen laut Umfrage 68 an Selbststudien in Abenduniversitäten teil, 42 beschäftigen sich in der Volkskulturuniversität. Seltsamerweise gilt der Besuch von Restaurants immer noch als leicht anrüchig. Diese Rubrik des Fragebogens enthielt in der Regel ein lakonisches „Nein!", über dessen Aufrichtigkeit gewisse Zweifel bestehen.

vor 25 Jahren: Endlich wieder Autos auf der Mariahilfer Straße

Der U-Bahn-Bau in Wien kommt „nach sieben mageren Jahren" voran.

Die Presse am 12.1.1989

Die Wiener Mariahilfer Straße wird noch im Sommer dieses Jahres wieder für den Autoverkehr freigegeben – wenigstens teilweise. Ermöglicht wird diese erfreuliche Tatsache durch die guten Fortschritte beim U-Bahn-Bau. Nach sieben „mageren“ Jahren, in denen keine U-Bahn-Linie eröffnet wurde, können die Wiener ab Oktober mit der neuen „U 6“ fahren. Gegenüber den drei derzeitigen Linien besteht freilich ein großer Unterschied: Die „U 6“ ist weitgehend mit der heutigen Stadtbahn am Gürtel ident, verkehrt also oberirdisch – und auch die traditionellen Silberpfeile fehlen. In etwa zweieinhalb Jahren soll die Bundeshauptstadt schließlich eine weitere „echte“ U-Bahn-Linie bekommen. Dann wird die „U 3“ zwischen Erdberg und dem Volkstheater eröffnet.

Vor 100 Jahren: Modeschau in Wien - Reifrock im 20. Jahrhundert?

Die Presse am 11.1.1914

Es waren große Abendtoiletten, die den Beginn machten, und in allen Farbennuancen zogen duftige Gebilde, jedes für sich ein kleines Kunstwerk, vorbei. In die Augen springend ist die Tatsache, dass die Mode 1914 einen gewaltigen Schritt zu Alt-Wien, aber auch zum Rokoko macht. Das tiefe Rückendekolleté, die entzückenden graziösen Raffungen, der Faltenreichtum um die Hüften - das alles weist klar und unzweideutig auf die Tendenz zum Reifrock hin. Über das ästhetische Behagen, das diese Mode verursacht, lässt sich kaum streiten, aber unwillkürlich erinnert man sich mit einigem Schrecken, dass wir ja nicht m ehr im Zeitalter der breiten, gläsernen Equipage oder der Sänfte leben, sondern in der sehr demokratischen Zeit des Autobus, der Elektrischen und des Gedränges auf der Straße.

Vor 125 Jahren: Elektrische Tramways - Sensation der Pariser Weltausstellung

Die Presse am 10.1.1889

Die Weltausstellung, die im heurigen Jahr in Paris stattfinden wird, soll, wie die Franzosen versichern, eine Spezialität ersten Ranges werden ... In der Ausstellung werden elektrische Tramways fungieren. Sie sind bis jetzt noch spärlich in Europa eingeführt. In Amerika fährt man bereits Strecken von 135 Kilometern mit elektrischen Waggons. Die Vorteile sind bedeutend. Kein Rauch, eine stille, fast unsichtbar wirkende Maschine, welche den schweren Waggon über die Schienen sacht gleiten lässt, ohne dass die in der Nähe befindlichen Pferde erschrecken, und die dem Willen des Führers bedingungslos gehorcht. Paris hat bis jetzt die Einführung elektrischer Tramways noch nicht versucht, aber man hofft, dass die Ausstellung zu dieser Einführung die beste Veranlassung bieten wird.

Vor 100 Jahren: Wir sind Kaiser

Kaiser Franz Joseph im O-Ton, bei einer Künstleraudienz bespricht er Tiefgründiges mit Opernsängerin Elise Elizza.

Neue Freie Presse am 9.1.1914

Der Kaiser: "Sie sind ja besonders fleißig und brav, wie man mir mitgeteilt hat. Sie sind aber auch sehr angestrengt?" Die Künstlerin: "Ich bin sehr froh, wenn ich spielen kann, das ist meine einzige Freude." Der Kaiser: "Wird in der Oper fleißig gearbeitet?" "Ja, Majestät, sehr fleißig." "Wie ist es mit dem 'Parsifal'? Die Oper ist wohl sehr schwer?" "Ja, Majestät, es sind so viele Proben für das Werk nötig." "So, so" sagte der Kaiser, "das ist aber unglaublich. Also so schwer ist der 'Parsifal'. Sind sie im 'Parsifal' beschäftigt?" "Jawohl, Majestät, ich studiere jetzt die Partie eines Blumenmädchens und hoffe, bis zur Premiere fertig zu werden." "Das ist sehr brav" sagte der Kaiser und schloss die Audienz mit den Worten: "Ich danke."

Vor 100 Jahren: Gehordnung in Wien

Auch Fußgänger brauchen eine Verkehrsordnung. Um ein Zusammenstoßen zu vermeiden, wird eine Gehordnung erlassen.

Die Neue Freie Presse am 8.1.1914

Seit der Proklamierung der neuen verkehrsbehördlichen Gehordnung ist an vereinzelten Punkten des stärksten Verkehres der praktische Versuch einer Durchführung gemacht worden, wie in der Kärntnerstraße, in der Rotenturmstraße, wo ein hünenhafter Inspektor sich bemühte, der neuen Vorschrift - allerdings vergeblich - zum Durchbruch zu verhelfen. In der Stadiongasse, die seit jeher als „Experimentstraße" benützt wird, und wo auch die ersten neuen Straßentafeln und farbigen Haltestellenlaternen versucht wurden, fällt seit einigen Tagen eine neue Verkehrstafel auf. Die Inschrift in Girlandenschrift besagt klipp und klar: „Links gehen!" Die neue Tafel findet große Aufmerksamkeit, doch konnte die praktische Wirksamkeit mit Rücksicht auf den schwachen Verkehr in der Stadiongasse noch nicht genügend in Erscheinung treten.

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