Als wir um halb vier Uhr morgens mit Papa fernschauten

Muhammad Ali gegen George Foreman
Muhammad Ali gegen George Foreman(c) imago sportfotodienst
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Vor vierzig Jahren boxte Muhammad Ali gegen George Foreman. Die großen Ali-Fights im Morgengrauen im Fernsehen gehören zum kollektiven Erfahrungsschatz der Männergeneration 50plus. Über die Globalisierung von Erlebnissen.

1974 war in Österreich das Jahr des großen Energiesparens: Nassrasieren, autofreier Tag, Energieferien. Welche Verschwendung, als am 30. Oktober um halb vier Uhr früh in tausenden Haushalten die Wecker läuteten, die Nachttischlämpchen leuchteten und die Fernsehgeräte aufgedreht wurden! Ganz schön verrückt: Die Söhne standen zusammen mit den Vätern auf, um den Auftritt ihres Idols nicht zu versäumen, die Mütter waren sprachlos und entsetzt, schließlich war ein ganz normaler Schultag. Für die Boxerei, dieses primitiv-archaische Ritual, waren sie nicht zu gewinnen, aber sie ahnten, dass dieser Ali etwas ganz Besonderes sein musste.

So kamen die Fernsehsender im Morgengrauen an einem Mittwoch zu traumhaften Einschaltquoten. Das Bild flackerte damals noch gelegentlich, viele Österreicher besaßen noch ein schwarz-weiß-Fernsehgerät mit Zimmerantenne, Farbfernsehen gab es erst seit 1972. FS 1 übertrug den Boxkampf ab 3.45, hatte man verschlafen, gab es die Chance, im „Schichtarbeiterprogramm“ zu Mittag das Versäumte nachzuholen und für alle Fälle brachte FS 1 abends nach der „Zeit im Bild“ noch eine Zusammenfassung. Das war unser YouTube 1974. Kommentator war Sigi Bergmann, eine österreichische Sportreporterlegende, die Originaltonspuren der Übertragung gingen später verloren. Übrigens: Auch die Boxer selbst mussten um diese ungewöhnliche Zeit aus den Federn. Die Zeitzone im afrikanischen Kinshasa entspricht der von Mitteleuropa. Die Veranstalter dachten eben an die Primetime des US-Fernsehens. 

Am Morgen des 30. Oktober in der Schule war die Welt zweigeteilt: da gab es diejenigen, die in der Nacht zuschauen hatten dürfen und diejenigen, die ohne dieses Privileg gesenkten Kopfes das Klassenzimmer betraten.

Muhammad Ali beim Aufwärmtraining in Kinshasa, Oktober 1974
Muhammad Ali beim Aufwärmtraining in Kinshasa, Oktober 1974(c) imago sportfotodienst

Wir liebten ihn als Cassius Clay von klein auf. Nicht nur weil er uns Jugendlichen seit 1964, als er Sonny Liston in Miami Beach vermöbelte, die ersten Nächte im Schlafanzug vor dem Fernseher bescherte, nicht nur weil er sich von ganz unten nach ganz oben hochgearbeitet hatte, nicht nur, weil er als berüchtigtes „Großmaul“ jedem seine Meinung hineinsagte, nicht nur weil seine tänzerische, schnelle, listige Art zu boxen uns faszinierte, sondern auch weil viele damals in der bürgerlichen Gesellschaft Boxkämpfe für entsetzlich vulgär hielten.

Doch Ali als vulgär hinzustellen, gelang den Verächtern nicht, höchstens als einen größenwahnsinnigen Egomanen, der gelegentlich auch Unfug von sich gibt. Er wurde zum Idol der Unangepassten, als er den Kriegsdienst in Vietnam verweigerte und seine Goldmedaille in den Mississippi warf, weil er als Schwarzer in einem Restaurant abgewiesen worden war. Zugleich war er mit seinem Wortwitz der erste Rapper, der spontan reimen konnte, begnadeter Selbstdarsteller, selbstironischer Polit-Clown und schillernder Show-Star. Und wenn er narzisstisch-großmäulig behauptete: „Ich bin das größte Idol der Welt“ widersprach eigentlich keiner.

An den Namen „Muhammad Ali“ hatten wir uns 1974 noch immer nicht gewöhnt. Immerhin war es schon zehn Jahre her, dass er sich nach einer Art religiösem Erweckungserlebnis zum Islam bekehrt und seinen Namen gewechselt hatte. Der kam viel schwerer über die Lippen als das gewohnte Cassius Clay, obwohl wir wussten, dass der Champ sehr ungehalten reagieren konnte, wenn sein „Sklavenname“ Cassius noch in den Mund genommen wurde. 1967 hat er einen Reporter des SPIEGEL rüde angefahren, als der ihn „Mr. Clay“ nannte. Und dem weißen Amerika schleuderte er nun entgegen: „Ich bin nicht der, den ihr haben wollt.“ Religiosität als Mittel der Identitätssuche – das konnten wir nicht nachvollziehen. Wir trauerten um den Namen Clay – einem Namen wie ein Punch.

Angekündigt unter dem Schlagwort „Rumble in the Jungle“ ging der Kampf um den Weltmeistertitel zwischen Ali und Foreman schließlich lapidar als „The Fight“in die Boxgeschichte ein. Die Veranstaltung in Kinshasa, damals Zaire, war Entertainment pur, begleitet von einem Musikfestival, einer Art Woodstock in Afrika. Es war der erste Weltmeisterschaftsboxkampf auf afrikanischem Boden, in einem Land, das zum Boxen so viel Beziehung hatte wie Australien zu Skiabfahrtsläufen, zugleich war es ein gigantischer Werbefeldzug für das korrupte Regime des Langzeitdiktators Mobutu. Foreman, der begnadetste Schlächter unter den Schwergewichts-Champions, galt als haushoher Favorit, doch Ali, angefeuert von hunderttausend enthusiastischen Zuschauern, die „Ali, boma ye!“ riefen („Ali, töte ihn!“), enttäuschte uns nicht, er holte sich zum zweiten Mal den WM-Titel im Schwergewicht und war fortan einer der allergrößten.

Die Magie, die Muhammad Alis Boxkämpfe ausstrahlten, ist seither nicht mehr erreicht worden. Boxen war cool in den siebziger Jahren und die Schwergewichtskämpfe waren das coolste. Viele in der Generation 50plus können sich noch genau an die riesigen Schlagzeilen in den Zeitungen nach der Ermordung John F. Kennedys erinnern und jeder weiß noch, wo er sich gerade aufhielt, als die Übertragung von der Mondlandung im Fernsehen lief. Ähnlich ergeht es uns mit den legendären Boxkampfübertragungen im Morgengrauen, 1971 Ali gegen Joe Frazier in Madison Square Garden und 1974 gegen George Foreman in Kinshasa. Die Kämpfe gehören zur persönlichen Biographie einer Generation, die FAZ schreibt dazu: „Aus Perspektive und Vokabular des 21. Jahrhunderts könnte man sagen: Das war sie vielleicht schon, die Globalisierung – nicht die Globalisierung der Produktion von Gütern, aber von Erlebnissen.“

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