Franzobel: Von der "Krautflut" zur Theater-Wut

(c) Die Presse (Bruckberger)
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Der Dichter belebt mit theatralischer Vergangenheitsbewältigung seine ganze Heimatregion.

Es ist, als hätt der Artmann die Jelinek verführt, dass sie im Übermute den Franzobel gebiert: Seinem Großvater Herzmanovsky-Orlando wie aus dem Gesicht geschnitten, eine Quergeburt wie sein älterer Bruder Werner Schwab, nur viel unproblematischer, auch grimassierend noch dem Onkel Doderer ähnlich, hat Franzobel sogar den Urahn Nestroy im Blut" - so beschrieb ihn vor Jahren der Literaturkritiker Helmut Gollner. Franzobel liebt das Dionysische, aber nicht auf griechische Weise: Man könnte sagen, dass er eine Art heiter berauschter, manchmal auch ein wenig übergeschnappter (oder auch übergeschwappter) kleiner Dionysos in gemütlicher österreichisch-barocker Variante ist. Seine Texte haben etwas von bierseligen Walpurgisnächten, sie sind nicht zu bändigen, da geht die Sprache durch wie eine Horde scheu gewordener Pferde, sodass man sich als Leser(in) verwundert die Augen reibt: Wo hat einen dieses "schlampige Genie" (so titulierte ihn einmal das deutsche Feuilleton) wieder hinverschlagen!

In der Wunderkammer der Exzentrik

Aber meistens lässt man sich nur allzu gern mitreißen. Franzobels Stücke und Romane haben es nicht schwer, Leser und Zuschauer zu finden. Seit Anfang der Neunzigerjahre hat der nunmehr 40-Jährige in seiner Wunderkammer der Exzentrik mehrere Dutzend Werke gebraut: Operette, Romanprosa, Theater, Lyrik, Essayistisches. Mit "Der Wimmerldrucker" - 1990 im Eigenverlag herausgegeben - fing es an, bald kam die "Krautflut", die ihm den Ingeborg-Bachmann-Preis einbrachte, weiter ging's mit "Hundshirn" und "Schinkensünden", zur Jahrtausendwende kam es zu "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt", dem fünf Jahre später ein noch einmal doppelt so dicker Roman "Das Fest der Steine" über einen in Argentinien gelandeten Nazi folgte. Vorläufig letzter Erzählstreich: die eben erschienene "Liebesgeschichte" über Alexander Gansebohn, der in Israel Terrorist werden will und stattdessen von der Liebe heimgesucht wird.

Wäre der 1967 im oberösterreichischen Vöcklabruck geborene Stefan Griebl nicht bei der Aufnahmeprüfung an der "Akademie der bildenden Künste" durchgefallen, hätte Österreich heute zwar vielleicht trotzdem einen "Franzobel" (oder zumindest einen "Franz Zobl", unter diesem Pseudonym arbeitete er bis 1992 als bildender Künstler), aber nicht als Romancier - und nicht als Theaterautor. Einer, der sprachlich so in Bilderorgien schwelgt, muss einfach die Bühne lieben. Hat vielleicht auch dem ehemaligen HTL-Maschinenbau-Studenten der meteoritartig-düster aus einer Waldlichtung ragende aufgelassene Kohlebrecher als faszinierende Theaterkulisse den Kopf verdreht? Was auch immer es war: Franzobel hat seit zwei Jahren in Wolfsegg sein persönliches "Bayreuth" oder "Oberammergau" (wie er selbst es nennt): Vor zwei Jahren brachte das neu geschaffene Theater im Hausruck zum ersten Mal ein Stück von ihm: "Hunt oder Der totale Februar" handelte von den Februarkämpfen zwischen Schutzbund und Heimwehr 1934 im Hausruck, die begeisternde Aufführung erhielt prompt den Wiener Nestroy-Preis. Heuer folgte mit "Zipf oder Die dunkle Seite des Mondes" der zweite Teil dessen, was als Trilogie regionaler Zeitgeschichte 2008 mit "Lenz" in den Jahren des Wirtschaftswunders und Verdrängens der NS-Geschichte enden soll. "Zipf" spielt 1943: Damals machten die Nazis in der Gemeinde Redl-Zipf (ein fast franzobelwürdiger Name) aus der Brauerei ein Triebwerks-Testzentrum für V2-Raketen. Gegraben wurden die Stollen und Bunker von 2500 Häftlingen, für die hier ein Nebenlager zum KZ Mauthausen errichtet wurde. Viele Häftlinge starben an den Arbeitsbedingungen und den Explosionen.

Festival mit "Multieffekt"

Was Franzobels "Bayreuth" so besonders macht und etwa von der Aufführung von Peter Turrinis "Hirschen" im Grazer Schauspielhaus (über den Freiheitskampf im Ausseer Land) unterscheidet: Ein ganzes Dorf trägt diese Groß-Aufführungen. Das beginnt mit den Zeitzeugen, - der Dichter mit den weit geöffneten Schreibschleusen hat bei seinen Recherchen auch die Redeschleusen in der Region geöffnet. Das setzt sich fort mit hunderten Freiwilligen, die an der Bühne mitbauen, mit 80 Laienschauspielern und 70 Musikern aus der Region, die an der Aufführung mitwirken. Franzobels Monumental-Regional-Dramen erhalten im Theater am Hausruck einen literarisch-historisch-ökonomisch-sozialen "Multieffekt": Sie sind bestes politisches Volkstheater, Vergangenheitsbewältigung voller Gegenwartslust, sie lassen eine ganze Region über die eigene Vergangenheit reflektieren - und Tausende Zuschauer aus Wien und anderen Teilen Österreichs daran teilnehmen. So lebendig kann "Provinz" sein: Dieses Engagement macht den seit zwei Jahrzehnten in Wien lebenden  Franzobel - ja, zu einem Heimatdichter: jenseits aller ideologischen Belastungen dieses Begriffs. red.


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