Thomas Birkmeir: Kinder brauchen nicht nur Märchen

Thomas Birkmeir
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Theater der Jugend. Thomas Birkmeir bringt den Kindern auch die großen Epen der Menschheit nahe.

Wien. Eigentlich hätte man schon 1994 wissen können, wohin die Reise geht: Thomas Birkmeirs erste Regie für das Theater der Jugend – da war er noch acht Jahre davon entfernt, das Haus als künstlerischer Leiter zu übernehmen – galt dem Gilgameschepos. Einer Dichtung aus dem 2. Jahrtausend vor Christus, in der einer der Helden stirbt, und das alles in gebundener Sprache! Es wurde ein Triumph, die Kinder fieberten mit, als Gilgamesch und Enkidu ihre Kräfte maßen, sie krochen fast in die Theatersessel, als das Monster Chumbaba allen Attacken widerstand, sie trauerten um Enkidu – und am Ende tobten sie vor Begeisterung, obwohl oder weil Thomas Birkmeir sich beharrlich geweigert hatte, sie zu unterfordern.

Etliche Stücke, die der 1964 in München geborene Regisseur seither auf die Bühne brachte, folgen diesem Erfolgsrezept, Kinder mit den großen Menschheitsthemen zu konfrontieren – ob es sich um Shakespeares Dramen handelt oder um die Legende von König Arthur. „Man darf den Kindern nichts vorenthalten. Solche Geschichten haben sich nicht umsonst über die Jahrhunderte erhalten,“ so Birkmeir. Dass manche Stoffe für Kinder nicht geeignet seien, will er erst recht nicht hören: „Kinder werden all dem begegnen, dem Tod, der Gewalt, dem Neid, der Gier! Und je weniger sie vorbereitet sind, desto schwerer werden sie sich tun.“

Künstlerischer Leiter ab 2002


Ab 2002 holte er dann als künstlerischer Leiter Regisseure und Autoren ans Haus, die dem Theater der Jugend internationale Aufmerksamkeit sicherten: Frank Panhans inszenierte etwa Ulrich Hubs „An der Arche um acht“ – ein Stück, in dem die Tiere kurz vor der Sintflut auf höchstem Niveau über Gott und den Glauben nachdenken. Michael Schachermeier, der heuer die Burg-Saison mit „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ eröffnete, brachte einen hymnisch rezensierten „Odysseus“ auf die Bühne. Ulrich Hub stellte an den „König Lear“ die Frage, wie es sich wohl anfühlt, das Lieblingskind zu sein, bzw. wie es ist, wenn man sich im Gegenteil zurückgesetzt fühlt. Das strahlt aus: Von den in den letzten zehn Jahren selbst entwickelten Stücken wurden 13 Stücke nachgespielt, und zwar an 52 Häusern im gesamten deutschen Sprachraum.

300.000 Zuschauer pro Jahr


Thomas Birkmeir kam nach einem Studium der Pädagogik, Psychologie und Philosophie ans Max-Reinhardt-Seminar nach Wien, er arbeitete als Assistent an der Burg unter Claus Peymann und als Hausregisseur am Schauspielhaus Wien unter Hans Gratzer. Von 1998 bis 2001 war er Oberspielleiter am Schlossparktheater Berlin. Seit er das Theater der Jugend übernommen hat, hat er dem Haus nicht nur künstlerische Triumphe, sondern auch solide Zahlen beschert: Mittlerweile zählt man 300.000 Zuschauer pro Jahr, die Zahl der Abonnenten ist um ein Drittel gestiegen (auf 46.000), und das, obwohl die Schülerzahlen Jahr für Jahr sinken. Das älteste Kinder- und Jugendtheater Europas hat eine Auslastung von 95 Prozent und einen Eigendeckungsgrad von 47 Prozent.
Nebenbei, wenn es seine Zeit erlaubt, inszeniert Thomas Birkmeir auch für andere Bühnen, und zwar sehr erfolgreich: 2011 erhielt er den neu geschaffenen Dorothea-Neff-Preis in der Kategorie „Beste Regie“ für „Harold und Maude“ am Wiener Volkstheater, er inszeniert regelmäßig am Staatsschauspiel Dresden und am Staatstheater Hannover. Ganz zu wechseln käme für ihn nicht infrage: „Ich mag die Ausflüge, aber Theater für Kinder zu machen, ist für mich wirklich sinnvolles Tun.“ Außerdem sei der Kunstbegriff heute oft sehr spekulativ. „Bestimmte Ästhetiken sind angesagt und verschwinden wieder – und auf dieser Welle musst du surfen oder du gehst unter.“

L'art pour l'art, meint Thomas Birkmeir, habe ihn aber noch nie interessiert. Am Kinder- und Jugendtheater könne man etwas an die nächste Generation weitergeben. „Nennen wir es, auch wenn es pathetisch klingt: Die Werte der europäischen Aufklärung.“

Zur Person

Thomas Birkmeir ist in München geboren und studierte am Max-Reinhardt-Seminar Regie. 2002 übernahm er das Theater der Jugend als künstlerischer Leiter. Er holte herausragende Autoren und Regisseure ans Haus, die so entwickelten Stücke werden im gesamten deutschen Sprachraum nachgespielt. Die Besucher wissen die Qualität der Arbeiten zu schätzen: Die Abo-Zahlen sind innerhalb von zehn Jahren um ein Drittel gestiegen.


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