Georg Schärmer: Der dankbare Unruhestifter

Georg Schaermer
Georg Schaermer(c) GERHARD BERGER
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Humanitäres Engagement: Georg Schärmer ist seit November 1998 der vierte Direktor der Caritas Tirol. Sein soziales Engagement reicht weit über seine Funktion hinaus. Zudem gilt er als Visionär und kritischer Mahner der Politik.

Wien. Wenn es darum geht, seine Auffassung von Caritas zu beschreiben, zitiert Georg Schärmer gern aus einem Interview des Marmeladeherstellers Klaus Darbo. Auf die Frage, wer sein größter Konkurrent sei, antwortete der Tiroler Unternehmer einst: Die Hausfrauen – denn selbst gekochte Marmelade sei nach wie vor unübertroffen.

„Diese Aussage hat mir sehr imponiert“, erzählt Schärmer. „Und sie spannt den inneren Bogen zur Caritas und meiner Weltanschauung.“ Denn die erste und beste Caritas seien nach wie die Menschen, die im Alltag „caritas“ – also Hingabe und Solidarität – leben. „Familienangehörige, Freunde, Nachbarn – sie sind für mich die größte soziale Kraft des Landes. Vor ihnen verbeuge ich mich in Ehrfurcht und Dankbarkeit.“

Als „zweitbeste Caritas“ bezeichnet der 57-Jährige die vielen Initiativen, Vereine und öffentlichen wie privaten Einrichtungen, „die als soziale Nahversorger zur hohen Qualität unserer Solidargesellschaft beitragen. Als Caritas-Direktor sehe ich es als meine Aufgabe, die große Solidarität in unserem Land zu unterstützen, Lücken aufzuzeigen und manchmal ohne Sicherheitsnetz Neues zu wagen.“

Er selbst ist für mehr als 40 Sozial- und Bildungseinrichtungen in Tirol und zahlreiche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in zehn Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Südosteuropas mitverantwortlich. „Durch den ständigen Vergleich wird deutlich, auf welch hohem Niveau wir soziale Dienstleistungen in unseren Breiten anbieten können“, betont der zweifache Vater. „Auch dank eines solidarischen Steuer- und Abgabensystems und den Errungenschaften eines Wohlfahrtsstaates, den es vor dessen Hinterfragung zu verteidigen gilt.“

Verhaltensauffälliges Kind

Aufgewachsen ist der ehemalige Deutsch-, Geschichte- und Religionslehrer auf einem Bauernhof bei Innsbruck. „Dort habe ich früh gelernt, hart zu arbeiten, Geduld zu haben und dankbar zu sein“, blickt er zurück. „Wer zufrieden und dankbar ist, hat auch immer etwas für andere übrig.“

Zudem habe er durch mehrere pflegebedürftige Angehörige früh die Bedeutung von sozialer Arbeit erkannt. Und den Wert der Gemeinschaft. „Denn als verhaltensauffälliges Kind wurde ich für einige Jahre teilweise fremduntergebracht“, sagt Schärmer. „Im Nachhinein eine wertvolle Erfahrung, die mich gelehrt hat, dass Kinder mehr brauchen als Eltern. Oder um es mit einem afrikanischen Sprichwort zu sagen: Um ein Kind zu erziehen, benötigt man ein ganzes Dorf.“

Neben seiner Tätigkeit als Lehrer engagierte er sich ehrenamtlich vor allem in der offenen Jugendarbeit. In diese Zeit fallen der Aufbau von Jugendzentren, die Ausbildung von Jugendleitern und die intensive Betreuung von Suchtkranken bzw. deren Angehörige.

1988 wurde er Direktor des Elisabethinums in Axams, einem Förderzentrum für körper- und mehrfachbehinderte Kinder, Jugendliche und deren Angehörige. Unter seiner Leitung entwickelte sich das Zentrum zu einer Vorzeigeeinrichtung weit über Österreichs Grenzen hinaus. Überdies engagierte er sich in mehreren sozialen Vereinen, gründete einen integrativen Kulturklub und wurde zum Sprecher der Behinderteneinrichtungen Tirols.

„Damit begann auch meine politische Arbeit, allerdings außerhalb der Parteipolitik“, so Schärmer. „Bis ich schließlich 1998 der vierte Caritas-Direktor nach 1945 werden durfte. Diese Aufgabe erfüllt mich nach wie vor mit Freude und vor allem Leidenschaft.“

Als seinen wichtigsten Ansatz betrachtet er das „Verfolgen einer radikalen Kooperationsstrategie. Ich bin stolz darauf, dass wir die meisten Initiativen und Projekte nicht nur als Caritas betreiben, sondern immer in Zusammenarbeit mit anderen.“ Wie etwa die kostenlose medizinische Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung, die im November eröffnet wird – ein Herzensprojekt von Schärmer.

Als seine Auftraggeber bezeichnet er die Armen, Vergessenen, Ausgegrenzten und Perspektivlosen. Erfolg bedeutet für ihn „oft und viel zu lachen und den Betrug falscher Freunde gelassen zu ertragen“. Sein Versprechen für die Zukunft: „Ich werde weiterhin Unruhe bewahren und hoffe, ein Menschenliebhaber zu bleiben.“

Zur Person

Georg Schärmer wurde 1956 in Innsbruck geboren. Seit November 1998 ist er der vierte Direktor der Caritas Tirol seit 1945. Der frühere Deutsch-, Geschichte- und Religionslehrer stand bereits zwischen 1981 und 1983 als Leiter der Katholischen Jugend im Dienst der Diözese. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Eines seiner aktuellen Projekte ist eine kostenlose medizinische Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung in Innsbruck, die im November eröffnet wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2013)


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