Nach der Jahrtausendwende

Von der Layoutreform zur Übersiedlung.

Am 6. Juni 2001 erhält der Wirtschaftsteil der Zeitung ein neues Ressort, den Eastconomist. Die Eroberung des mittel- und osteuropäischen Raums durch österreichische Unternehmen ist eine absolute Erfolgs-Story der österreichischen Wirtschaft. Bis zum heutigen Tag – inzwischen sind diese Länder längst EU-Mitglieder geworden – bringt der Eastconomist Hintergrundberichte über Marktchancen und -entwicklungen, er ist inzwischen selbst eine Erfolgs-Story der Zeitung geworden, gilt als Meilenstein in der zentraleuropäischen Informationslandschaft.

An den Nachwirkungen der Terroranschläge des 11. September 2001 und der daraus resultierenden krisenhaften Wirtschaftsentwicklung hat auch die Medienbranche schwer zu leiden. Das Styria-Management verfolgt eine antizyklische Strategie und geht in die Offensive, bereitet einen Relaunch der „Presse“ vor. Sie wirbt dafür einen der profiliertesten Jungjournalisten des Landes vom Konkurrenten „Standard“ ab: Michael Fleischhacker, der bei der Kleinen Zeitung in Graz das Handwerk gelernt hat, kehrt in die Styria zurück und wird ab November 2001 stellvertretender Chefredakteur der „Presse“. Er soll (O-Ton Konzernvorsitzender Pirker) als Schreiber und Ideenbringer „Salz und Pfeffer“ in die Zeitung bringen, die notwendige Modernisierung vorbereiten, ohne Abstriche an Niveau und Qualität in Kauf zu nehmen. Gebildete, einkommensstarke, nachdenklich-kritische Leser gelten wie in der Vergangenheit als Kernzielgruppe: „So viel Zeitung muss sein“, so der neue Werbeslogan.

Das optische Erscheinungsbild der Zeitung wird immer wichtiger, die Layoutkoordination, die Bild-Auswahl, die Infographiken werden ab jetzt von zwei Art-Directoren betreut, Krunoslav Barta und Helge Schalk. Geschäftsführer Peter Umundum, der Angela Fritz nachgefolgt ist, handelt mit der Druckerei Herold einen neuen Zehnjahresvertrag aus, was den Ankauf einer neuen Druckmaschine ermöglicht. Für 2003 strebt die „Presse“ die durchgehende Vierfarbigkeit an.

Zuständig für den Internetauftritt ist seit Juli 2001 diepresse.com GmbH & Co KG. Unter Geschäftsführer Herbert Starmühler und Content-Chef Peter Krotky gelingt es, die Zugriffe zu verdoppeln. Das Dachmarkenkonzept gilt ab nun auch für die Hochglanzprodukte, die von einer 100prozentigen Tochtergesellschaft vermarktet werden. Gut eingeführte Branchenguides wie das „Uhrenjournal“, das „Bildungsjournal“ und das wöchentliche Kultur- und Lifestyle-Magazin „Schaufenster“ erhalten ein Face-Lifting. Beide Seiten, Leser und Anzeigenkunden sollen ein attraktives Produkt erhalten. Ausgebaut wird auch der „Presse“-Club, als Instrument des Customer Relationship Management bietet er Benefits im Bereich Ausstellungen, Film etc.

Am 27. Februar 2003 ist es so weit: das neue Layout wird präsentiert. Gut ein Jahr haben der US-Zeitungsdesigner Robert Lockwood, Michael Fleischhacker und Helge Schalk daran gearbeitet. Seit 2002 bereits war der Leser durch eine Umstellung der Blattarchitektur auf eine neue Buch-Struktur vorbereitet worden. „Deutlich anders aussehen, aber für unsere Leser wieder erkennbar bleiben“ heißt die Devise. Man ist sich offensichtlich der Gratwanderung zwischen Innovation und Tradition bewusst.

Kaum jemanden stört es, dass das Format der Zeitung – bedingt durch die neuen Druckmaschinen – nun kaum merklich auf das halbe Rheinische Format reduziert wird. Aber jeder merkt sofort: Die neue durchgehend vierfärbige „Presse“ wirkt leichtfüßiger, luftiger, mondäner, jünger, großzügiger und erinnert in der eleganten und übersichtlichen Gestaltung der Seiten stark an eine Wochenzeitung. Über Nacht wurde das Traditionsblatt Branchen-Thema Nr. 1, man hatte offensichtlich nicht mit risikoreichen Innovationen gerechnet, wie dem neuen linksbündigen Zeitungs-Logo und der neuen intensiven Bildsprache (tragende große Bilder auf jeder Seite), Die Anpassung an das Rezeptionsverhalten der Internet-User ist offenkundig; Navigations- und Infoelemente erlauben den schnellen Überblick, die Anordnung der sechs Bücher von der aktuellen Politik bis zum neuen, eher reflektierenden Feuilletonteil informiert rasch und strukturiert über das Tagesgeschehen für den eiligen Leser.

Manche Leser haben aber auch Zeit, sind Genussleser. Sie können sich regelrecht in das Blatt hineinziehen lassen, denn das tagesaktuellen Geschehen wird durch Kommentare und Analysen vertieft, Zusammenhänge werden diskutiert, die Hauptthemen des Tages tauchen zum Beispiel im Feuilleton noch einmal auf, in neuer, manchmal auch schräger Beleuchtung. Michael Fleischhacker will dieses sein Lieblingskind, das Feuilleton, das in deutschen Edelpostillen durchaus üblich, aber in Österreich bisher einzigartig ist, zu einer täglichen Bühne, einem intellektuelles Diskussionsforum für Themen aus Politik, Kunst, Kultur und Wissenschaft ausbauen. Seine Grundidee: die inhaltliche Weiterentwicklung des Tageszeitungskonzepts vom Nachrichtenmedium zum Erklärungsmedium, die kommerziellen Interessen: die Zielgruppe zwischen 20 und 40 an eine Tageszeitung zu binden, die noch jüngeren nicht ans Internet zu verlieren, die verkaufte Auflage mittelfristig um 10.000 Exemplare zu steigern.
Gleichzeitig mit dem Relaunch wird die Bundesländerberichterstattung für Niederösterreich und die Steiermark ausgebaut. Ernst Sittinger leit ein neues steirisches Redaktionsbüro in Graz, ein ambitioniertes Unterfangen in Grün-Weiß, das sich bis zum Dezember 2005 behaupten kann, Gudula Walterskirchen betreut den Raum Niederösterreich. Bis heute gibt es das im August 2003 eröffnete Servicecenter, Anlaufstelle und offenes Ohr für alle unsere Abonnenten und Leser. Mit Jahreswechsel 2003/2004 wechselt Geschäftsführer Peter Umundum zur „Kleinen Zeitung“, Neuerungen auch im Innenpolitik-Ressort: Andreas Schwarz wechselt zum „Kurier“, Martina Salomon kommt vom „Standard“ zur „Presse“. Im Februar 2004 wird die „Presse“-Geschäftsführung wieder komplettiert: Konzernchef Horst Pirker, Reinhold Gmeinbauer (zuletzt Chef der Wochenzeitungsholding bei der Styria) bilden mit Franz Ivan das neue Triumvirat an der Spitze, ab Mai 2004 kommt Hans Metzger von der Styria dazu.
Im Sommer 2004 stellt Andreas Unterberger die Initiative „Austria 04 Die Österreicher des Jahres“ vor. Die Idee des „österreichischen Nobelpreises“: Die Leser der Zeitung wählen zusammen mit einer Jury Österreicher, die in den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und humanitäres Engagement Positives geleistet haben. Die Zeitung will damit einen Kontrapunkt setzen zur Unzahl von Negativmeldungen, die im Lauf eines Jahres auf den Leser herunterprasseln. Die Aktion wird ein Erfolg und bis heute fortgesetzt, tausende Leser lieferten bereits Vorschläge, die Übertragung der Preisverleihung im ORF wird durch die Anwesenheit der Regierungsspitze geehrt.

Mit Andreas Unterberger und Michael Fleischhacker verfügt die „Presse“ über ein spannungsgeladenes Führungsduo, das konservative Bewahrungshaltung und experimentierfreudige Frischzellenzufuhr in Balance zu halten vermag. Solange es gut geht, entsteht daraus produktive Dynamik. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen rund um den „Presse“-Relaunch waren heftig – und produktiv, zuletzt gefiel das Endprodukt beiden.

Im Sommer 2004 überlegt Styria-Vorstandsvorsitzender Pirker eine zukunftsorientierte Lösung der Chefredakteursfrage für die „Presse“, die im Marktsegment junger und liberaler Leserschichten stärker punkten soll. Folgerichtig fällt seine Entscheidung gegen Andreas Unterberger und für Michael Fleischhacker. Pirker dankt Unterberger, „seine Ablöse ist subjektiv ungerecht, aber, im Blick auf neue Ziele und neue Wege, objektiv notwendig.“

Der erst 35 Jahre alte Michael Fleischhacker erhält den Auftrag, die bewährte österreichische Institution „Presse“ im veränderten Medienumfeld erfolgreich zu positionieren, nicht politische Erwägungen, sondern die Verschärfung der Rahmenbedingungen für Qualitätszeitungen habe zu dem Wechsel geführt. Mit 1. Oktober 2004 ist er definitiv Chefredakteur.

Am selben Tag tritt Gerda Schaffelhofer, Geschäftsführerin der „Furche“, in die Geschäftsführung ein, sie betreut bis Mai 2005 den Bereich Lesermarkt. „Presse“-Urgestein Franz Ivan zieht sich schrittweise in die Pension zurück. Fleischhackers Stellvertreter wird Michael Prüller, er ist Jahrgang 1961, Jurist und Leiter des Wirtschaftsressorts, mit Ausnahme einer dreijährigen Unterbrechung, in der er für die Agentur Ogilvy tätig war, ist er bereits seit 1987 bei der Zeitung. Fleischhacker und Prüller werden gemäß Redaktionsstatut von einer deutlichen Mehrheit der Redaktion bestätigt.

Redaktionsmanager wird der Online-Guru der „Presse“ Peter Krotky, er ist in Zukunft Schnittstelle zwischen Chefredaktion und den diversen Abteilungen des Hauses und übernimmt die Agenden Produkt- und Organisationsentwicklung, Redaktionsmarketing und interne Kommunikation. Andreas Unterberger verlässt mit Jahreswechsel die „Presse“ und wird Chefredakteur der „Wiener Zeitung“.

Durch die Revirements in der Chefredaktion und den pensionsbedingten Abgang von Außenpolitik-Chefin Anneliese Rohrer sind wichtige Stellen in der Redaktion neu zu besetzen: Franz Schellhorn leitet jetzt das Wirtschaftsressort, Rainer Nowak und Dietmar Neuwirth die Chronik, Christian Ultsch die Außenpolitik, Petra Percher das neu konzipierte Schaufenster, ein besonderer Coup gelingt mit dem Engagement von Johanna Zugmann, sie ist Österreichs journalistische Autorität in Sachen Beruf & Karriere und gestaltet den Wochenend-Karriere-Teil der Zeitung völlig neu. Als Hans Metzger 2005 zur Styria-Mutter zurückkehrt, übernimmt Rainer Präsoll die Ressorts Controlling, IT, Produktion und Personalentwicklung bei der „Presse“.

Im März 2005 modifiziert die „Presse“ ihren Relaunch, Zielsetzung ist: mehr Leserfreundlichkeit und schnellerer Überblick. Die neu gestaltete Seite 1 erhält einen Themenschwerpunkt, sie bringt das wichtigste Thema des Tages. Eine echte Novität in Österreich wird die letzte Seite der Zeitung: „24 Stunden in 4 Minuten“ liefert dem eiligen Leser den raschen Nachrichtenüberblick über das Tagesgeschehen. Jeder Seitenaufmacher erhält farblich hinterlegte Schnell-Lese-Elemente, eine Doppelseite hat den Schwerpunkt Kommentar / Analyse / Blogs / Leserbriefe.

Innen- und Außenpolitik eröffnen wie gewohnt die Zeitung (erstes Buch), der Veranstaltungskalender wird in das Wien/Chronik-Buch integriert, Wirtschaft mit Finanzen bilden das dritte Buch, Feuilleton, Kommentare und der Tagesüberblick das vierte Buch. Die Anerkennung für die Innovationen ist nicht schlecht: Eine hochkarätige Medien-Jury wählt im Auftrag des Magazins „Der Österreichische Journalist“ die Redaktion der „Presse“ zur besten Zeitungsredaktion Österreichs 2005.

Seit vielen Jahren ist Julius Kainz der „Presse“ verbunden. Als ihr Geschäftsführer übernahm er 1991 für den neuen Eigentümer Styria die Aufgabe, die Zeitung wirtschaftlich zu stabilisieren, in der Folge führt er - zuletzt als Herausgeber - die Zeitung erfolgreich durch die 90er Jahre, auch als Präsident des österreichischen Zeitungsherausgeberverbandes prägt er die Mediengeschichte des Landes. Mit 1. Juli 2005 geht er in Pension. Horst Pirker wird sein Nachfolger als Herausgeber, aus der operativen Geschäftsführung zieht sich Pirker im Oktober 2005 zurück, Chefredakteur Fleischhacker übernimmt zusätzlich diesen Posten, Prokurist Rainer Präsoll wird neben Gmeinbauer im Jänner 2006 dritter Geschäftsführer.

Ab 13. 1. 2006 erscheint das Schaufenster im neuen Look – Trends und Neuigkeiten aus Mode, Beauty, Design, Essen, Reisen und Kultur in elegantem Gewand.

Bereits seit Oktober 2005 wird in der Presse – gemeinsam mit einem Architektenteam von bene consulting – am Projekt "Relocation" gearbeitet. Ein neuer Standort soll die zunehmende Raumnot im Marriott-Gebäude beseitigen und die Realisierung des schon lange geplanten Newsroom ermöglichen. Die Wahl fällt auf die Hainburgerstraße 33 im 3. Wiener Bezirk, das Gebäude (in unmittelbarer Nachbarschaft zur trend/profil-Redaktion, zuletzt das Hauptquartier von telering) erfüllt alle Voraussetzungen für ein modernes Medienunternehmen. Auf insgesamt 5.200 Quadratmetern ist eine optimale Arbeitsumgebung möglich, die nötigen Umbauarbeiten werden im Sommer 2006 durchgeführt.

Am 8. Dezember erfolgt die Übersiedlung. Nach Wollzeile, Universitätsstraße, Fleischmarkt, Pressehaus Muthgasse und dem Marriott am Parkring ist es das sechste Domizil. Nostalgisch erinnert sich Thomas Chorherr im Spectrum vom 2. Dezember an die „Häuser meines Lebens“. Die Donnerstag-Zeitung vom 7. Dezember wurde noch am alten Standort produziert, die Wochenendausgabe vom 9. 12. bereits – ohne Pannen – einige Kilometer weiter östlich, im 3. Bezirk. Die Übersiedlungsbeauftragte Claudia Samlicki: „Wir waren diese Woche äußerst effizient.“

2007 setzt die Presse auf eine verstärkte Verzahnung von Print und Online, Chefredakteur Fleischhacker sieht Print und Online als Komplementärmedien: Online bringt die schnelle Nachricht, Print wird noch mehr als bisher zum Erklärmedium. Erst mit der Übersiedlung und der Gründung des rund 1200 Quadratmeter großen Newsrooms ist es möglich, Print und Online enger zusammenzuführen. Die Online-Geschäftsführung übernimmt Peter Krotky im Team mit Sylvia Dellantonio, Manuel Reinartz leitet die Online-Redaktion. Der neue Online-Auftritt wird am 9. Februar 2007 vorgestellt.

Hinter dem neuen Konzept steht eine grundsätzliche Problematik für den Print-Journalismus: Sollen die Grundnachrichten den schnelleren Medien wie dem Internet überlassen werden, das Printprodukt sich aber auf die Hintergrundberichterstattung konzentrieren? Die neuere Entwicklung hat gezeigt, dass Onlineprodukte im interaktiven Kontakt mit dem Leser, bei Schnelligkeit, Originaldokumenten, Kleinanzeigen den behäbigeren Printmedien überlegen sind. Die Frage, ob man die medialen Zuständigkeiten so strikt aufteilen kann, ist bis dato aber ungeklärt. In der Tradition von Qualitätszeitungen wie der „Presse“ ist der Vollständigkeitsanspruch verankert, weiters wird man ohne sie weder Internet noch Radionachrichten-Häppchen wirklich verstehen. Daher ist die Ordnungsfunktion der Tageszeitung aufrecht.


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