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Faustrecht, Bubencamps und Protest: Fünf Filme und Serien, die helfen, die US-Demokratie zu verstehen

Am 3. November küren die USA einen neuen Präsidenten. Wahlkämpfe filmen ist einfach – doch wie filmt man Demokratie? Wir empfehlen fünfmal Sichtungsmaterial aus der selbst ernannten „Greatest Nation“.

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Meet John Doe

Von Frank Capra, 1941
Zu sehen auf Amazon oder auf Youtube (z.B. hier)

John Doe: Dieser Name wird in den USA als Platzhalter verwendet, wenn sich eine Person nicht identifizieren lässt (Jane Doe wäre das weibliche Pendant). Ein jedermann, der kraft seiner Unbestimmbarkeit für alle steht. Das demokratische Subjekt? John Doe heißt auch der fiktive Autor eines Artikels, den die entnervte Kolumnistin Ann (Barbara Stanwyck) kurz vor ihrer Entlassung in die Tasten hämmert: Ein Wutbürger, der die Missstände der Gesellschaft beim Namen nennt. Seine Tirade trifft den Nerv der Zeit. Ann wird umgehend wieder angestellt. Jetzt fehlt nur noch ein ehrliches Gesicht, mit dem sich die Sache verkaufen lässt. Es gehört einem obdachlosen Ex-Baseballer (Gary Cooper).

Bald wird der schusselige Niemand zur Ikone einer Graswurzelbewegung. Gefundenes Fressen für den faschistoiden Plutokraten (Edward Arnold), dem Anns Zeitung gehört – und der Präsident werden will. Frank Capras Klassiker ist sentimental, populistisch und kaum auf die Gegenwart übertragbar. Doch seine Warnung vor Massenmanipulation in der Gesellschaft des Polit-Spektakels ist aktuell wie eh und je. Passenderweise unterliegt der Film seit 1969 nicht mehr dem Urheberrecht: Man kann ihn also ganz legal auf YouTube sichten. (and)

Deadwood

Drei Staffeln, 2004–2006
Zu sehen auf Sky

Der Western ist ein Genre voller Colts und Cowboys. Seine Geschichten erzählen aber auch vom mühsamen Zivilisationsprozess der USA. In John Fords „My Darling Clementine“ (1946) weicht etwa das „Faustrecht der Prärie“ (so der deutsche Verleihtitel) widerwillig den Grundzügen einer Demokratie. So prägnant lässt sich die HBO-Kultserie „Deadwood“ nicht fassen. Doch ihr Porträt eines Goldrausch-Wohnlagers, das sich sukzessive zu einer pulsierenden Minenstadt mausert, will durchaus als Sittengemälde der Vereinigten Staaten verstanden werden. Auch hier, wo sich Legenden wie Wyatt Earp und Calamity Jane die Klinke in die Hand geben, werden neue Gesellschaftsstrukturen geschaffen – oftmals mit Gewalt. (and)

Selma

Von Ava DuVernay, 2014
Zu sehen auf Amazon

Bis heute steht die Frage der minoritären Mitbestimmung im Zentrum der US-Demokratiedebatte. „Voter Suppression“, die gezielte Ausgrenzung spezifischer Bevölkerungsgruppen, bedient sich heute keiner ausdrücklich rassistischen Gesetzgebung mehr. Meist richtet sie sich aber immer noch gegen „People of Color“, indem sie ihnen die Wählerregistrierung erschwert. Diese wurde Schwarzen in Selma, Alabama, 1964 noch verweigert. Aus Protest marschierte Martin Luther King in Begleitung von Bürgerrechtlern und Demonstranten in Richtung der Bundeshauptstadt Montgomery – und stieß dabei auf brutalen Widerstand lokaler Autoritäten. Ava DuVernays Historiendrama setzt den Ermächtigungszügen ein Denkmal. (and)

Boys State

Von J. Moss und A. McBaine, 2020
Zu sehen auf Apple TV+

Seit 1935 finden sich jedes Jahr in allen US-Bundesstaaten junge Leute in Sommercamps ein, wo sie per Los in zwei fiktive Parteien aufgeteilt werden, Repräsentanten wählen, über Gesetze debattieren, Politik spielen. Sie könnten dort ihre eigene Zukunft gestalten. Das Bestürzende, das „Boys State“ anhand eines Bubencamps in Texas zeigt: Sie tun es nicht. Stattdessen käuen sie dieselben banalen Slogans wieder, die ihre erwachsenen Vorbilder ihnen vormachen (und verraten dann abends auf dem Sofa, dass sie eigentlich ganz anders ticken). Der gefeierte Film wirkt, als hätte man den „Herrn der Fliegen“ mit „House of Cards“ gekreuzt – und er lässt zugleich auf die repolitisierte Jugend bei uns in Europa hoffen. (gau)

Ex Libris

Von Frederick Wiseman, 2017
Zu sehen auf Amazon

Selbst als überzeugter Verfechter der Kinoerfahrung muss man ausnahmsweise sagen: Schade, dass die Viennale heuer kein Online-Angebot führt. Zumindest ein Film hätte sich dann perfekt in unserem Kontext empfehlen lassen: „City Hall“ von Frederick Wiseman, ein viereinhalbstündiges Bostoner Rathausporträt, das wie ein Plädoyer für staatliche Verwaltung wirkt – und geneigten Zuschauern ein Panorama von US-Demokratie in actu bietet.

Wobei viele Filme des 90-jährigen Dokumentarveteranen unaufdringliche, neugierige, kritische Lehrstücke über Politik darstellen: nicht im Sinn eines Wahlkampfs um Landesspitze und Parlamentssitze, sondern als friedlich-strittiges Ausverhandeln gemeinsamer Lebensbedingungen grundverschiedener Menschen. Ob es dabei um „State Legislature“ (2007), „Welfare“ (1975) oder „Public Housing“ (1997) geht, ist letztlich nachrangig. Umstandslos streambar ist derzeit leider nur ein Wiseman-Film, der sogar in Österreich im Kino lief: „Ex Libris: The New York Public Library“. Darin geht es zwar nicht um Staatsgeschäfte, aber doch um eine öffentliche Bildungsinstitution, die allen Bürgern offen steht – also um ein bedeutendes Symbol der demokratischen Idee. (and)

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