Über Corona wurde zu Jahresanfang noch heftig gestritten, später zeigte sich die Spaltung in der Gesellschaft an anderen Themen.
Es klingt wie eine Debatte aus einer längst vergangenen Zeit, dabei ist es noch nicht einmal ein Jahr her: Zu Jahresbeginn wurde in Österreich heftig über die Corona-Krise und die damit einhergehende Impfpflicht diskutiert, demonstriert und auch gestritten. Freundschaften zerbrachen, die einen waren „Schwurbler“, die anderen „Schafe“. Verhärtete Fronten. Und dann auch noch die 2-G-Regel die nur noch Geimpften und Genesenen im Handel und in der Gastronomie den Zutritt erlaubte.
„Geimpfte müssen jetzt für Ungeimpfte eintreten“, kommentierte damals Feuilleton-Journalistin Anne-Catherine Simon. Sie sorgte damit für heftige Diskussionen und sprach über ein Unbehagen, das auch andere beschäftigte. „Wäre es nicht an der Zeit, die Richtung zu ändern?“, fragte auch Tomas Kubelik Anfang des Jahres in einem Gastkommentar und konstatierte: „Der Gesellschaft wird zu viel zugemutet“.
Bedenken sollte man aber auch: Die Angst angesichts hoher Omikron-Infektionszahlen war im Winter noch groß. Nicht nur in Österreich.
Doch schon bald ging es dann Schlag auf Schlag: Mit Anfang März wurden hierzulande fast alle Beschränkungen aufgehoben. „Presse“-Corona-Experte Köksal Baltaci kommentierte damals in einem Leitartikel: „Die große Herausforderung liegt nicht mehr darin, die Spitäler vor dem Kollaps zu bewahren, sondern mit gezielten und treffsicheren Maßnahmen im Hintergrund dafür zu sorgen, dass das öffentliche soziale Leben wieder uneingeschränkt stattfindet – ohne Sperrstunden, Maskenpflicht, Abstandsregeln und Personenobergrenzen; dass Restaurants, Bars, Hotels, Fitnessstudios, Kultur- und Sportvereine langfristig planen können; dass die Bevölkerung Mut fasst, Vertrauen bildet und Ängste abbaut.“
Kurz darauf wurde die Impfpflicht erst ausgesetzt und später endgültig ad acta gelegt und irgendwann folgte dann auch noch das Aus der Quarantäne für Infizierte. Noch ein paar wenige Regeln gibt es – etwa die Maskenpflicht in Wiener Öffis, deren Aufhebung sich immer mehr Menschen wünschen. Unter ihnen auch „Presse"-Feuilleton-Chef Thomas Kramar. Aber im Vergleich zu den heftigen Debatten zu Jahresbeginn ist das alles nichts. Also alles gut?
Natürlich nicht. Aber die Spaltung in der Gesellschaft in Österreich zeigt sich nun eher an Themen, die aber – verglichen mit den Corona-Maßnahmen - keine ganz so unmittelbaren und sofortige Auswirkungen auf unser Alltagsleben haben. Sie sind dennoch hoch relevant für unsere Zukunft:
Die „Putin-Versteher“ und die Neutralität
„Über Europa senkt sich ein Eiserner Vorhang“, schrieb „Presse“-Außenpolitikchef Christian Ultsch Ende Februar in einem Leitartikel. Denn ein europäischer Staat kämpfe ab sofort um sein Überleben. Russland katapultiere sich währenddessen aus der zivilisierten Welt.
Spätestens seit dem Einmarsch der Russen am 24. Februar 2022 blickten viele Österreicherinnen und Österreicher mit großem Entsetzen in die Ukraine – nur rund 500 Kilometer Luftlinie von Wien entfernt. Aber es ist nicht nur die geografische Nähe, die das Land beschäftigt. Denn in Österreich pflegte man in den vergangenen Jahren teils enge Beziehungen zu Russland. „Putin-Versteher“ wurde heuer zum Schimpfwort: Ex-Außenministerin Karin Kneissl kam in den Fokus und machte keinen Hehl daraus, wie sie zu Russland und ihrem Hochzeitsgast Wladimir Putin steht. Auch Ex-Wirtschaftskammerchef Christoph Leitl kam im Rückblick nicht besonders gut weg. Anneliese Rohrer fasste es so zusammen: „Wer nach den Ursachen für die angeblich emotionale Bindung Österreichs an Russland sucht, findet sich in den wichtigsten Wirtschaftskreisen wieder. Von der Herkunft von Millionenbeträgen will man nichts Genaues wissen; woher in Moskau bis jetzt wohlgelittene Oligarchen ihre Mittel für Investitionen in Österreich haben, auch nicht."
Als dann auch immer klarer wurde, dass es heuer ums Gas geht, kochte die Debatte weiter hoch: Wie hart solle man denn jetzt wirklich mit dem Energielieferant Russland umgehen, fragten sich viele Entscheidungsträger. Christian Ultschging im Sommer mit „Putins Helferlein in Österreich“ in einem Leitartikel hart ins Gericht. Wen er damit meinte? Landeshauptleute und andere Politiker, die die EU-Sanktionen gegen Russland in Frage stellten.
Zur Sache ging es auch bei der Debatte rund um Österreichs Neutralität. Man könne sich jetzt doch nicht heraushalten aus Europas Sicherheitspolitik, meinten die einen. Die anderen fürchteten um ein hohes Gut. Gunter Fehligerforderte in einem der meistgelesenen Gastkommentare gar einen Beitritt zur Nato (den Finnland und Schweden heuer beschlossen). Im Land der „immerwährenden Neutralität“ ist ein Beitritt zum Verteidigungspakt freilich in weiter Ferne. Auch wenn Jürgen Streihammer in einem Leitartikel zu bedenken gab: „Wenn es keine Nato gäbe, dann müsste Österreich sie erfinden“.
Die Energiekrise und die „Klima-Kleber“
Sehr emotional geführt wurden auch die Diskussionen rund um Energiewende und Klima. Die Energiedebatte wurde von Russlands Krieg in der Ukraine und der massiven Teuerung befeuert. Unter anderem thematisierte das Josef Urschitz immer wieder in seinen wirtschaftlichen Kolumnen: „Haben wir schon begriffen, welcher Energie-Tsunami auf uns zurollt?“, fragt er im September. Der europäische Energiepolitik stellte er dabei kein gutes Zeugnis aus: Man sei „kaum in der Lage, die größte Energiekrise seit 1945 zu bewältigen.“
Dieser Meinung – auch wenn die Schlüsse die, sie ziehen, nicht dieselben sind - sind wohl auch die Aktivistinnen und Aktivisten, die sich immer öfter auf Straßen oder an Kunstwerke kleben. Geht das zu weit – oder „heiligt der Zweck die Mittel?“ haben wir die „Presse“-Leser gefragt. Und Sie haben im Diskussionsforum geantwortet. Auch unsere Autorinnen und Autoren hat das Thema beschäftigt: Während Thomas Weber die immer verzweifelter werdenden Kämpfer für das Klima gut verstehen kann, mahnt seine Quergeschrieben-Kollegin Rosemarie Schwaiger: „Hysterie und düstere Prognosen werden das Klima nicht retten“.
Die beiden Autoren Schwaiger und Weber durfte die „Presse" heuer übrigens neu in der Reihe der ständigen Kolumnisten begrüßen – genauso wie Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn. Und alle drei werden wohl noch viel über die Klima- und Energiekrise zu schreiben haben.
Und was war sonst noch? Acht Debatten, an die wir uns 2022 erinnern:
- Mit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk ist auch eine Diskussion um die Meinungsfreiheit im Netz entbrannt. Wird Trump bald wieder Lügen twittern können? Im Forum hat die „Presse“ gefragt: Wie weit darf Meinungsfreiheit gehen?
- Die USA hat das Recht auf Abtreibung beschränkt. Auch in Österreich schlug dies hohe Wellen: Die polarisierende Debatte um Abtreibungsgesetze haben wir hier zusammengefasst.
- „Die Leute wollen nix mehr arbeiten“. Mit dieser Aussage provozierte heuer Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker. Fakt ist: Der Arbeitskräftemangel bereitet vielen Unternehmen Kopfzerbrechen. „Die Presse“ hat hier nach den Gründen gefragt.
- In der ÖVP blieb heuer kein Stein auf dem anderen. Eine Diskussion um die Werte der Volkspartei trat Laura Sachslehner mit ihrem Rücktritt im September los. In unserem Forum wurde mitdiskutiert.
- Die massive Teuerung ist in den Haushalten angekommen, viele machen sich Gedanken zum Thema Sparen. Wir haben gefragt: „Wie reagieren Sie auf die Inflation?"
- Zugegebenermaßen ein Dauerbrenner ist die Debatte um die Zeitumstellung. Getan hat sich immer noch nichts. Dabei fordern viele eine Abschaffung der Zeitumstellung. Mehr zur Debatte lesen Sie hier.
- Die äußerst umstrittene Fußball-WM in Katar hätte wohl schon vor Jahren heftiger diskutiert werden sollen. Heuer forderten jedenfalls viele einen Boykott. Die „Presse“ wollte wissen: Ist das überhaupt sinnvoll?
- Das Thema Inklusion geht leider oft unter. Doch zuletzt gelang es der Online-Plattform „andererseits“, den Fokus auf das Thema zu lenken - und zwar mit heftiger Kritik am Format „Licht ins Dunkel“. Zurecht? Wir haben uns die Argumente angeschaut.