Tod einer Diva

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Chefinspektor Georg Kunze den Toten, der hinter der Bühne des renommierten Gloria Theaters lag.

Die blondgelockte Perücke des Opfers war verrutscht und gab den Blick auf ein Haarnetz frei, das die schwarzen Locken des Mannes zu bändigen versuchte. In der Perücke hatte sich ein kirschroter Kunstfingernagel verfangen. Die Haut des Toten war dick mit Theaterschminke zugekleistert, der Lippenstift grotesk verschmiert. Ringförmige Abdrücke um den Hals wiesen auf Erwügen hin. Das blaue Kleid war bis zur Hüfte zerfetzt. Auf der stark behaarten Brust klebte ein Kunstbusen. Die Beine steckten in schwindelerregenden High Heels solcher Art, die normale Frauen niemals tragen würden. In der Travestiebranche war der Tote ein Star gewesen und durch seine Fernsehauftritte auch Georg Kunze wohlbekannt. »Margo Rombardo, wer hat dir das angetan?«, fragte er sich und blickte aufmerksam Kunze in die Runde. Vier Männer in Abendkleidern standen vor ihm. Chantal Paradis, der Leiter der Travestiegruppe ›kernige Frauenzimmer‹, war ebenfalls anwesend und fand als erster seine Stimme wieder. »Ich versteh das nicht. Margo war doch beliebt.«
»Wieso hat er das Zarah Leander Kleid an? Er hätte doch heute gar nicht auftreten sollen«, wunderte sich ein Mann im Marilyn Monroe Kostüm.
»Wieso nicht?«, fragte Kunze nach.
»Margo gab vor einer Woche seine Abschiedsvorstellung. Renee Zinelli ist für ihn nachgerückt.«
»Vielleicht war‘s so ein Schwulenhasser«, überlegte Kunzes Kollege Haricht laut.
»Ausgeschlossen!«, empörte sich Chantal Paradis.
Georg Kunze räusperte sich. »Haben Sie seine Frau schon verständigt?«
Haricht stammelte: »Seine Frau?«
Chantal Paradis antwortete: »Sie hat gerade Vorstellung im Raimundtheater, hab sie noch nicht ans Telefon bekommen.«
»Führen die eine Lavendelehe?«
»Haricht, Travestie hat mit Homosexualität nicht unbedingt etwas zu tun. Margo spielt seine Rollen. Seine Frau ist Musicaldarstellerin. Im Grunde machen sie beide das gleiche.«
»Das ist grundsätzlich richtig, obwohl sich nicht nur Heteros zu diesem Beruf hingezogen fühlen«, mischte sich ein blonder Mann ein, der ein ähnliches Kleid trug wie das Opfer.
»Wer sind Sie?« Kunze hob eine Augenbraue.
»Renee Zinelli. War meine erste Vorstellung.«
»Er war richtig gut als Zarah Leander.« Chantal grinste.
Der Blonde errötete. »Ich geh mich jetzt abschminken.«
Kunze nickte. »Ich muss ohnehin jeden einzeln befragen.«
Während die Truppe sich davontrollte, hielt Kunze den Leiter der ›Kernigen Frauenzimmer‹ fest. Chantal Paradis seufzte, nahm die Perücke ab und fuhr sich über seine Glatze. »Ich hab keine Ahnung, was hier vorgeht.«
»Hat niemand bemerkt, dass Margo hier hinter der Bühne liegt?«
Chantal schüttelte den Kopf. »Wir waren auf der Bühne oder standen an den Seiten bereit.«
»Hat einer von Ihnen zwischenzeitlich gefehlt?« Kunze kritzelte in seinen Notizblock.
»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte Chantal. »Auf die Toilette gehen wir erst in den Pausen. Wasserflaschen stehen hinter dem Vorhang bereit.«
»Wer hätte einen Grund, die alte Diva zu ermorden?«
Chantal überlegte nicht lange. »Da fällt mir nur Marlene Roy ein. Margo Rombardo hat ein Verhältnis mit Marlenes Tochter. Gestern hat sie davon erfahren und war sehr wütend!«
Ob Margos Frau davon wusste? Nachdenklich kratzte Kunze sein Kinn. »Danke erstmal. Schicken Sie mir diese Marlene Roy.« Fünf Minuten später schlich der Travestiekünstler heran. Sein Marylin Monroe Outfit hatte er gegen einen blauen Anzug getauscht. Zusammen mit der Brille wirkte er wie ein Banker. Mit hängendem Kopf blieb der schmächtige Mann vor Kunze stehen. »Ich war´s nicht.«
»Man hört, Sie hätten Grund gehabt, Marco umzubringen.«
»Er schläft mit meiner Tochter!«
»Jetzt wohl nicht mehr. Wie alt ist sie?«
»21.«
»Dann war es wohl legal.«
»Der Mann ist verheiratet!«
»Machen sie sich Sorgen um seine Frau?«
Marlene Roy schüttelte den Kopf und griff sich ins Haar, das zwar bereits grau, aber immer noch voll war. Heimlich beneidete Kunze den Mann und betrachtete dessen Finger, an denen rote Kunstnägel klebten; und zwar vollzählig. Kunze konnte sich kaum vorstellen, wie es dieser Dürre geschafft haben sollte, den 1,90 großen Margo umzubringen. Aber in seinem Beruf erlebte man immer wieder Überraschungen.
»Ich will niemanden beschuldigen«, fuhr Marlene fort. »Aber Renee hat vor dem Auftritt mit Margo gestritten. Der wollte nämlich doch wieder als Zarah Leander auf die Bühne.« Er pausierte. »Ach, und Margo wollte gern die Leitung der Truppe übernehmen. Chantal würde das aber nie freiwillig aufgeben.«
Kunze bedankte sich bei dem Mann, und wies ihn an, den Nächsten zu ihm zu schicken. Goldie Russel kam lächelnd auf Kunze zu. Sie trug ein neues Kleid. Der Anblick, den ihr Dekolletee bot, brachte Kunze zum Staunen.
»Ja, die sind echt, also echt gemacht, nicht aufgeklebt«, strahlte sie ihn an. »Ich bin auch privat gerne eine Frau.«
»Dann sind die auch echt?« Kunze zeigte auf die langen rotbemalten Krallen der Transsexuellen.
»Natürlich.« Ohne eine weitere Frage zu stellen, ging Kunze zur Garderobe. Er wies alle Darsteller an, im Theater Platz zu nehmen, damit er den Letzten befragen konnte. Mit nacktem Oberkörper saß Zinelli vor dem Spiegel seines Schminktisches. An den muskulösen Oberarmen prangten zahlreiche Tatoos. Seine Brust war glatt und braun gebrannt. Am rechten Zeigefinger klebte ein Pflaster. Am Schminktisch lagen drei Kunstbusen. An einem klebten schwarze Haare. Angewidert zeigte Kunze darauf. »Drei Stück?«
Zinelli zuckte mit den Schultern. »Kommt immer wieder vor, dass einer verloren geht.«
Aufgeregt winkte Habicht Kunze aus der Garderobe. Der folgte ihm hinaus. »Chef, Mayer hat die Verdächtigen in der Datenbank gecheckt«, flüsterte Haricht. »Einer der Künstler hat wegen Totschlags gesessen. Das Opfer wurde erwürgt.«
»Renee Zinelli, oder?«
»Warum wissen Sie das?«
«Es war für mich bereits klar, dass er die Diva getötet hat.«

Frage: Warum sieht Chefinspektor Kunze schon vor Harichts Hinweis in Zinelli den Mörder?

>>Zur Lösung

Die Autorin:

Jennifer B. Wind, geboren 1973 in Leoben, lebt südlich von Wien und schreibt seit 1989 Kurzgeschichten und Gedichte, veröffentlicht vor allem in Literaturzeitschriften und Magazinen. Z. B. "Buß- und Bettag" in "Mord am Konradsberg", 2009.

www.krimiautoren.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2011)

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