Damals, am Skilift: Erinnerungen an einen Volkssport

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Als Skifahren noch etwas war, das alle machten, egal wie das Wetter war. Als Pisten bucklig waren und die Skier lang und hart. Als Skifahren mehr Mühe machte, aber auch mehr Spaß. Weil es ein Abenteuer war.

Skifahren früher, das war viel kälter. Der Wunderstoff Gore-Tex war zwar Ende der 1970er-Jahre schon erfunden, aber es dauerte noch lange, ehe er die Sportbekleidung revolutionierte. Die Finger waren klamm in nassen Handschuhen, man fror im Skianzug, der schon nach wenigen Stürzen feucht war und nie mehr trocknete. Skifahren früher, das hieß auch, endlose Schichten an „Unten-drunter“ zu tragen. Wir, die Kinder der 70er-Jahre, haben damals den Zwiebellook erfunden, aber der war nicht leicht und schick, es war ein Gewurschtel, kratzig und schnürte einem die Luft ab.

Skifahren früher, das war auch kälter, weil wir bei jedem Wetter auf der Piste waren. Minus zwanzig Grad am Gipfel, pfeifender Wind, Schneesturm und keine Sicht? Wir waren die, die orientiert nur durch ein paar Bäume durch das Weiß geisterten und die eingefrorenen Wangen am Lift mit den (nassen) Handschuhen ins Leben zurückklopften. Unvergessen die schiefen Grimassen, wenn einer lachte, aber das erstarrte Gesicht nicht mehr mitmachte. Man musste die Liftkarte „ausfahren“, die Mittagspause kurz halten und bis zur letzten Bergfahrt durchhalten. Wir haben es dennoch meistens geliebt, das Skifahren. So war es es eben, kalt, nass und ein bisschen abenteuerlich. Und das war gut so.

Holländer und Kinder müssen unten bleiben

Das Skifahren vor Carvern, Kunstschnee und vor allem dem Präparieren von Pisten weit über die Baumgrenze hinaus war noch völlig undemokratisch. Denn es galt: Nur wer skifahren konnte, konnte skifahren. Um nämlich den Kurven- oder Tellerlift, der immer auch als Treffpunkt der Skischule diente, hinter sich lassen zu dürfen, und in die beachtlichen Weiten eines Skigebietes aufbrechen zu können, war es notwendig, deutlich fortgeschritten zu sein. Und das konnte durchaus einige Jahre dauern, wenn sich die Übungsgelegenheiten auf eine Handvoll Ferientage pro Saison beschränkten.

Schon rote Pisten waren damals für Fahranfänger eine echte Herausforderung. Vor allem, weil sie mangels Kunstschnee im Laufe einer neuschneelosen Woche (aber oft schon während eines Tages) ihr Gesicht völlig verändern konnten. Sie wechselten von rot auf braun – steinige, eisige Passagen inklusive. Schwarze Pisten wiederum stachen nicht wie heute vor allem durch ihre Neigung heraus, sondern wurden schlicht nicht präpariert. So traf man abseits der Anfängerlifte nur selten Pistenraupen. Und so gut wie nie Holländer.

Auch war das Pistennetz noch nicht so ausgeklügelt wie heute. Anfängerabfahrten endeten manchmal ohne Vorwarnung in schwarzen Pistenstücken. Regelmäßig war es notwendig, lange Flachpassagen mit Schlittschuhschritten und kräftigem Stockeinsatz zu überbrücken, um überhaupt wieder zum Lift zurückzukommen. Für Anfänger oft noch ein schwierigeres Hindernis als die steilsten Buckelpisten, die man im Notfall mit abgeschnallten Skiern rutschend bewältigen konnte.

Deshalb fühlen wir uns heute oft verraten, um unsere vielen Ausbildungsjahre geprellt, wenn in Skigebieten Vielfach-Sessellifte jeden Anfänger vom ersten Tag weg direkt zum Gipfelkreuz führen, und es oben zugeht wie früher nur am verpönten Babylift. Es ist schön, dass die Carving-Skier dem Sport neue Impulse gegeben haben. Es ist nicht so schön, dass man mit ihrer Hilfe ohne lästigen Umweg über Stemmbogen und Co. Skifahren beherrscht, ohne es wirklich zu beherrschen. So rasen Menschen die Piste hinunter, die den Schneepflug nie gelernt haben. Deshalb können sie dann auch so schlecht bremsen, wenn vor ihnen ein Kind im Schneepflug fährt.

Single am Dreier- Sessellift

Skifahren im Teenageralter war das Fischen in einem Pool ungeahnter Möglichkeiten. So, oder so ähnlich, müssen sich die heutigen Maturareisen anfühlen, nur dass dort tausende junge Menschen mit entblößten Traumkörpern um das andere Geschlecht buhlen, während beim Skifahren schon von einem Erfolg sprach, wer es auf eine Liftfahrt mit einem unbekannten feschen Wesen gebracht hatte. Schon der Doppelsessellift war eine Revolution für zwischenmenschliche Kontakte, den Durchbruch aber brachte der Dreiersessellift, der Gruppen zwang, sich aufzuteilen (darauf achtete schon der gestrenge Feldwebel Liftwart). So lernte man einander kennen. Durch geschicktes Anstellen konnte man dem Schicksal durchaus nachhelfen: Das Warten wurde zu einer einzigen strategischen Annäherung an ansehnliche Objekte. Ausgehen am Abend war uns noch untersagt, man tauschte Festnetz-Nummern aus und traf sich vielleicht in Zivilkleidung im Zivilleben wieder. Vorher aber zumindest auf eine Abfahrt und viele Liftfahrten (dann aber lieber am Doppelsessellift), um sich hoch oben mit kalter Nase zu küssen. Die Lifte wurden immer größer. Am Sechsersessellift will sich niemand mehr küssen. Und beim Anstellen haben alle ihre Handys in der Hand und keine Augen für die anderen.

Herunter kommt jeder

Am Lift anstehen heißt heute mit den Skiern auf einem dieser Förderbänder langsam aber unausweichlich Richtung Sechsersessellift geschoben werden, nachdem einsatzpflichtige Chip-Skipässe wie von Geisterhand das Drehkreuz vor dem Lift auf grün schalten haben lassen. Damals ist die Liftkarte aus dem Schlitz im Kontrollkastel noch ins kalte Gesicht geschnalzt. Oder, wenn man die am Gummiband hängende Liftkarte nicht ordentlich unter die Jacke zurückgestopft hatte, ist sie einem dann beim Fahren entweder um die Ohren geflattert oder – noch schlimmer – davongeflogen und wurde nie mehr gefunden.

Damals war das Hinauffahren noch die eigentliche Herausforderung. Das war der wahre Kampf gegen den Berg, wenn man mit acht Jahren und knapp dreißig Kilo Körpergewicht alleine an einem Schleppliftbügel gehangen ist. Immer darauf bedacht, nur ja nicht den Bodenkontakt zu verlieren, gleichzeitig gerade in steilen Passagen nur knapp schwer genug, um nicht mit dem Bügel nach oben gezogen zu werden. Diese Schleppliftfahrten erforderten mehr Konzentration als die darauffolgende Abfahrt.

Überhaupt waren die Skigebiete voll von diesen Liftfallen. Elend lange unendlich langsame Einzelsessellifte mit schwindligen Sicherheitsbügeln, deren Stützen so weit auseinander lagen, dass man bei schlechter Sicht glaubte, nur an einem Seil in der Luft zu hängen. So alleine waren wir in unserem ganzen Leben nie wieder wie in jenen Minuten, in denen dieser Einzelsessellift wegen starken Windes in der Mitte zwischen Tal- und Bergstation ohne Vorwarnung abgeschaltet wurde. Dort schaukelten wir im Sturm, froren, mit den nassen Handschuhen vor dem Mund, und den Zweifeln im Herzen, ob das Seil, nur weil der Lift gerade nicht in Bewegung ist, tatsächlich nicht aus der Führung springen kann.

Zu diesen eingebrannten Lifterinnerungen gehören auch Gondelfahrten, während denen man auf Höhe der Erwachsenenhintern eingeklemmt nicht nach draußen schauen konnte und deshalb die nächste Stütze einem ohne Vorwarnung den Magen ausgehoben hat, das Gesicht fest gegen die kalte Kante eines fremden Skis gedrückt wurde. Deutsche Skigäste begleiteten das gerne mit einem überdrehten „Huhu“.

Erbswurstsuppe, Germknödel und Skiwasser

So stark weiterentwickelt wie das Material hat sich sonst nur die Kulinarik auf den Hütten. Einkehrschwung, das hieß früher Aufwärmen, Klogehen und kleine Karte. Wobei die Selbstbedienung schon damals Standard war und das Balancieren des Tabletts in Skischuhen mehr zur Ausbildung unseres Gleichgewichtssinnes und damit zur Sicherheit auf den Skiern beigetragen hat als jede noch so schwere Buckelpiste.

Wo heute auf zig tausend Metern zwischen frischer Steinofenpizza, Filetspitzen und einer ansehnlichen Weinkarte gewählt werden kann, hieß es damals: Erbswurstsuppe, Berner Würstel oder Germknödel.

Kaum etwas sieht so eklig aus wie Erbsensuppe mit Würstel. Es gibt sie auch ausschließlich auf Skihütten. Kinder hassen sie und Erwachsene essen sie nur deshalb, weil es sie an früher erinnert, als (siehe dieser Text) alles noch viel schöner war. Die Erbswurstsuppe dient also von jeher bloß dem Verfestigen von Erinnerungen. Eine ähnliche Funktion erfüllt das Skiwasser. Der verwässerte und völlig unangemessen teure Himbeersaft findet nur auf Skihütten Abnehmer. Ein anderes Phänomen der Skikulinarik: Käsespätzle. Kaspressknödel und Germknödel. Lauter Gerichte, die alle gesundheitlich positiven Effekte des Bergsports (Bewegung, frische Luft) mit einem Schlag zunichte machen.

Doch das mit Abstand gefährlichste am Skifahren war nicht etwa das Freifahren im ungesicherten Tiefschneehang, sondern in der Skihütte auf die Toilette zu gehen. Mit geschlossenen Skischuhen versuchte man eine geflieste, nasse und damit unendlich rutschige Treppe in den Keller hinunterzusteigen. Hatte man das geschafft, ohne sich den Hals zu brechen, kam der nächste heikle Teil. Unter den verschiedenen wärmenden Schichten etwa jenen Teil herauswurschteln, der einem Erleichterung verschaffen konnte. Wer sich hinsetzte, riskierte, dass der obere Teil des Overalls die eklige Nässe am Boden berührte, außer man hatte alles Ausgezogene gekonnt verknotet. Bis dahin klopften dann aber schon die Wartenden an die Klotür.

Schneepflug statt Pizzaschnitte

Die Teilnahme am Skikurs war so selbstverständlich wie die täglich frischen Semmeln zum Frühstück. Ein nicht verhandelbarer Bestandteil des Urlaubs, der spätestens nach Erlernen der Grundtechniken auch richtig Spaß machen konnte. Höhepunkt war neben dem Privileg, als Erster hinter dem Skilehrer fahren zu dürfen, das Mittagessen in der Skischule, bei dem es alles gab, was einem die Eltern auf der Hütte nie kaufen wollten: Pommes, Würstel, Pudding und Eis. Im Winter! Danach durften wir kurz fernsehen, und es lief immer Tom & Jerry.
Heute verweigern viele Kinder den Skikurs. Obwohl der Schneepflug inzwischen Pizzaschnitte genannt wird. Entweder ihre Eltern sind um so viel cooler als unsere, oder sie haben die für uns so erstrebenswerten Nebenaspekte (Frittiertes, Gummibärchen, Fernsehen) sonst ohnehin im Übermaß zur Verfügung. Zugegeben – glückliche Vierjährige im Skikurs waren damals wohl auch selten. Aber spätestens mit Ende der Volksschule dachte man, man hätte mit dem Skikurs die Eltern abgeschoben und nicht umgekehrt. Schlimm war nur das Skirennen (samt Siegerehrung auf einem Bierkistenpodest), bei dem immer der gewann, der eigentlich viel schlechter skifahren konnte. Das ging aber auch nie mit rechten Dingen zu.

Völkl fährt man nicht

Skifahren damals war andererseits auch viel einfacher. Erstens gab es schon zum Skifahren an sich nicht so viele Alternativen. Im Sommer ist man Rad gefahren und geschwommen, im Winter gerodelt und Ski gefahren. Aus. Weder die Verlockungen von Computerkonsolen noch die Alternativen von Winterurlaub in warmen Gegenden spielten damals eine ernsthafte Rolle. Doch zweitens wurde uns auch auf der Piste eine wichtige Entscheidung abgenommen. Es gab nur Ski, keine Snowboards. Wo sich heute Kinder und Jugendliche gfretten, weil sie sich nicht zwischen Skiern und Snowboards entscheiden können (und oft am Ende beides nicht ordentlich erlernen), gab es früher keine Alternative. Die größten Exoten waren Skibob- und Telemarkskifahrer. Dass wir uns unsere Pisten einmal halb/halb mit einer völlig anderen Wintersportspezies teilen würden müssen, war für uns völlig unvorstellbar. Das war nicht nur beim Lift, an dem uns eingefleischten Skifahrern die Boarder nach wie vor ein Dorn im Auge sind, ein Riesenvorteil.

Das Material war uns allerdings schon ziemlich wichtig. Ein Ski musste möglichst hart und lang sein. Je besser der Fahrer, desto größer die Differenz zwischen Körper- und Skilänge. Jeder Schwung wollte erkämpft sein. Noch immer fühlen wir uns ein bisschen lächerlich, wenn ein Carver fünf Zentimeter unter unserem Kinn endet.

So wie ein echter Franzose auch heute noch Erklärungsbedarf hat, wenn er ein Auto aus nicht-französischer Produktion fährt, mussten es österreichische Ski sein. Einen Völkl fährt man nicht, lautete die Devise. Auch ein Rossignol brachte schiefe Blicke. Doch auch heimische Fabrikate signalisierten strenge Fraktionszugehörigkeit. Ein Kästle war ein Skilehrerski (den konnte man nur fahren, wenn man gut genug war), Fischer, Blizzard und Atomic so unterschiedlich wie die Weltreligionen. Und Kneissl immer abgeschlagen, nur als Franz Klammer darauf Rennen fuhr, kam so mancher ins Wanken.

Der Schmerz in den Zehen

Der beste Teil am Skifahren ist – heute wie damals – das Danach. Nichts von dem, was gemeinhin als Après-Skiing beschrieben wird, fühlt sich so gut an, wie nach einem langen Skitag aus dem Skischuh zu steigen. Das Kribbeln der Beine, die langsam wieder ausreichend durchblutet werden. Der Schmerz in den Zehen, wenn sich die Kälte langsam zurückzieht und das Gefühl zurückkehrt. Die ersten Minuten irgendwo im Warmen, wenn die Heizung zu wirken beginnt und man sich aus dem feuchten Anorak schälen kann und die Wangen zu glühen beginnen. Der große Appetit auf Schokoriegel (wie Mars, Raider und Nuts) und Traubenzucker, die nie wieder so gut schmeckten wie nach einem langen Skitag. Das hat sich, wenn auch Skifahren früher sonst ganz anders war, nicht geändert. Heute am Skilift frieren wir nicht mehr. Vielleicht ist es genau das, was uns fehlt. Vielleicht ist es etwas anderes.

>>> Zum Artikel "Die Welt der 70-er und 80er Jahre: Weißt du noch, wie es damals war?"

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2014)

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