„Anschluss“: Zunge an den Tisch

Die Presse
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Es kam alles mit einem Donnerschlag. Über Nacht wehten an jedem Haus lange Hakenkreuzfahnen. März 1938: ein Augenzeugenbericht, erstmals erschienen in der „Presse“ Ende Dezember 1999.

Die Hitlerzeit hat in Österreich zwar nur sieben Jahre gedauert, aber ihre Nachwirkungen sind, wie man täglich erleben kann, bis heute zu spüren. Ich war beim „Anschluß“ Österreichs ans Deutsche Reich, den ich in Wien erlebte, knapp 16 Jahre alt und habe die sieben Monate von März bis Oktober 1938 noch gut in Erinnerung. Es kam alles mit einem Donnerschlag. Über Nacht wehten an jedem Haus fünf bis zehn Meter lange Hakenkreuzfahnen. Auch alle Geschäfte schmückten sich sofort mit Hakenkreuzfahnen, und aus vielen Wohnungsfenstern wehten sie in den Wind. Ganz Wien war ein Hakenkreuzmeer, das uns Juden wie ein Galgenmeer vorkam.

Wo hatte man diese vielen großen Fahnen hergenommen? Wenn man bedenkt, daß die Nazipartei und ihre Symbole verboten gewesen waren, konnte es nicht nur an der gründlichen Organisation der deutschen Eroberer gelegen sein. Es mußten zahllose Hausmeister und Wohnungsbesitzer die Flaggen in Kellern und auf Dachböden heimlich gelagert und auf Hitler gewartet haben.

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