Wirtschaftsforum: Unabhängigkeit von Russlands Gas

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Die zentralasiatischen Staaten halten immer engere Bande mit China und dem Westen. Turkmenistan setzt Zeichen der Hoffnung für die geplante Nabucco-Pipeline.

Wien. Warum ist Zentralasien plötzlich so wichtig für Europa? Warum pilgern 500 Teilnehmer, darunter 13 Staats-und Regierungschefs, zu einem Weltwirtschaftsforum (WEF) nach Wien, das die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken zwischen dem Kaspischen Meer und China in den Fokus rückt? Es sind die Energieressourcen, es ist das Gas.

Noch ist der Bau der Gaspipeline Nabucco vom Kaspischen Meer nach Wien nicht entschieden. Und nach wie vor mischen sich skeptische Stimmen in den Diskurs über die Perspektiven einer neuen europäischen Pipelinearchitektur. Da setzt plötzlich ausgerechnet das zentralasiatische Turkmenistan das größte Zeichen der Hoffnung.

Zwar hat der diktatorische Staat mit den weltweit viertgrößten Gasreserven den Europäern Lieferungen bisher nur prinzipiell zugesagt, aber wie zum Beweis seiner Absichten hat er schon einmal mit dem Bau einer Zulieferpipeline von seinen riesigen Festlandvorkommen zum Kaspischen Meer, von wo Nabucco wegführen sollte, begonnen.

Der große Zauderer plötzlich als großer Optimist. Turkmenistan, dessen nachgewiesene Vorräte laut BP-Weltenergiereport Österreichs Gasbedarf 890 Jahre lang decken könnten, probt die Befreiung. Wegen des einseitig ausgerichteten sowjetischen Pipelinenetzes war die Ex-Sowjetrepublik bisher gezwungen, fast den gesamten Export billig an Russland zu liefern, das das Gas teuer westwärts weiterverkaufte.

Erst Ende 2009 kam der erste Befreiungsschlag mit der Eröffnung einer 1833 Kilometer langen transasiatischen Pipeline nach China. Das Reich der Mitte gab den Turkmenen Rückendeckung und Auftrieb. Kurze Zeit später signalisierten sie dann auch Europa die Bereitschaft, bis zu 40 Mrd. Kubikmeter (das Viereinhalbfache des österreichischen Jahresverbrauchs) jährlich an Europa zu liefern. Bis 2030 will Turkmenistan die Jahresförderung auf 230 Mrd. Kubikmeter verdreifachen.

Suche nach neuen Handelspartnern

Ist in Turkmenistan vieles Zukunftsmusik, so ist dies im benachbarten Kasachstan, dem neuntgrößten Flächenstaat der Welt, längst Realität. Im Unterschied zu Turkmenistan, das neulich kurzerhand eine russische Telefongesellschaft aus dem Land geworfen hat, ist Kasachstan Moskau gegenüber zwar freundlich gesinnt und hat sich soeben gar auf eine Zollunion eingelassen.

Wie Turkmenistan aber hat Kasachstan längst auch alternative Handelspartnerschaften mit China und Europa gesucht und gefunden. Kasachstan, das Land mit den siebtgrößten Ölreserven der Welt, beliefert mit seinem Hauptexportgut Ost und West. Für Österreich etwa ist es gar größter Öllieferant. Für China wiederum wird es auch als Gasquelle interessant, neue Pipelines sind im Bau. Und auch das benachbarte Usbekistan, bevölkerungsreichster Staat Zentralasiens und gleichzeitig drittgrößter Baumwollexporteur der Welt, arbeitet daran, sich beizeiten vom russischen Pipelinenetz befreien und nach China liefern zu können.

Heute scharfe Konkurrenten

Einst aus Moskau gesteuert, machen die Zentralasiaten den Russen Konkurrenz. Vor allem in China, wohin Moskau erst mit Öllieferungen begonnen hat und bezüglich Gaslieferungen noch nicht handelseins geworden ist, haben sie die Nase vorn. Zwar erhalten sie für ihr Gas laut Schätzungen nur 165–190 Dollar je 1000 Kubikmeter, während Europa den Russen etwa das Doppelte zahlt. Aufgrund der zentralasiatischen Konkurrenz aber konnten die Russen in China bisher ihre Preisvorstellungen nicht durchsetzen. Der Fluch der Abhängigkeit von Energieträgern ist indes vor allem in Kasachstan virulent. Wohlweislich hat man schon sehr früh einen Staatsfonds eingerichtet, der heute über 70 Milliarden Dollar schwer ist und über seine Beteiligungen 40 Prozent der landesweiten Wirtschaftsleistung generiert.

Nun will die Führung des Landes, das so gut wie über alle Elemente des Periodensystems verfügt, Teile des Tafelsilbers veräußern und das Geld in die Diversifizierung der Wirtschaft stecken. Mit der „Strategie 2030“ will Kasachstan zu den 50 am weitesten entwickelten Ländern der Welt aufrücken und setzt auf Modernisierung.

Armenhäuser Kirgisistan und Tadschikistan

Von solchen Möglichkeiten können die beiden zentralasiatischen Armenhäuser Kirgisistan und Tadschikistan nur träumen. Kirgisistan verfügt zwar über Goldvorkommen, es dominieren aber Landwirtschaft und Handel. Und Tadschikistan laboriert noch immer an den Folgen des Bürgerkriegs und der Nachbarschaft zu Afghanistan.

Sowohl Kirgisistan als auch Tadschikistan leben zu einem beträchtlichen Teil von den Geldern, die ihre Landsleute als Gastarbeiter aus dem Ausland schicken. Und sie verfügen über jenes Gut, aus dem ihre Nachbarstaaten Leben schöpfen und um das beizeiten vielleicht auch im halb trockenen Zentralasien die größten Konflikte ausbrechen: Wasser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2011)

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