Tektonik: Wenn die Erde bebt

Tektonik Wenn Erde bebt
Tektonik Wenn Erde bebt(c) APA (JAEGER ROBERT)
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Das Modell der Extension der Ägäischen Platte muss revidiert werden: Die Platte wurde zur gleichen Zeit sowohl nach Norden als auch nach Süden gedehnt.

Griechenland ist derzeit ein gebeuteltes Land. Es wird in mehrerer Hinsicht erschüttert: einerseits künstlich durch die Finanzkrise, und andererseits sehr häufig natürlich durch Erdbeben. Immer wieder bebt der Boden des griechischen Festlands im Bereich des Golfes von Korinth, des Peloponnes und auf Kreta. Da die Bewegungen der Erdkruste jedoch in mehr als zehn Kilometer Tiefe stattfinden, lassen sich dadurch verformte Gesteine wissenschaftlich nicht untersuchen. Der Weltrekord der geologischen Bohrungen liegt zwar immerhin bei 12.000 Metern, bei Störungen in der tieferen Erdkruste hilft das aber nur wenig.

Wissenschaftler des Departments für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien haben nun in einem vierjährigen FWF-Projekt ähnliche Bewegungen, wie sie heute stattfinden, in zehn Millionen Jahre alten Gesteinsschichten auf den Kykladen gefunden. Auf dieser Inselgruppe im Ägäischen Meer lassen sich nun die Mechanismen und Vorgänge studieren und Rückschlüsse auf heutige Entwicklungen ziehen.

„Unser eigentliches Ziel war es, die Gesteine der zehn Millionen Jahre alten Störungszone im Boden der westlichen Inseln der Kykladen mit hochauflösenden analytischen Geräten wie dem Rasterelektronenmikroskop zu untersuchen. Uns hat interessiert, wie die Gesteine aufgebaut sind“, erzählt Projektleiter Bernhard Grasemann. Die westlichen Kykladen wurden bisher wenig erforscht, die meisten Wissenschaftler konzentrierten sich auf den östlichen und nördlichen Teil der Inselgruppe.

„Wir wollten wissen, wie die Steine durch die damaligen Bewegungen der Erdkruste zerrieben wurden und plastisch geflossen sind.“ Mit solchen Verformungen reagieren Gesteine auf die Belastungen. Doch als die Forscher die geologische Struktur der Gesteinsschichten genauer betrachteten, fiel ihnen noch etwas Bemerkenswertes auf – was der gängigen Lehrmeinung widerspricht, dass sich tektonische Platten immer in eine bestimmte Richtung bewegen. Seit den 1980er-Jahren ist bekannt, dass der Teil der Erdkruste, der unter den nördlichen und östlichen Inseln der Kykladen liegt, vor ungefähr zehn Millionen Jahren nach Norden geschoben wurde. „Seit damals gehen alle gängigen Modelle im ägäischen Raum von einer sogenannten asymmetrischen Extension, also Dehnung, aus“, so Grasemann.

„Wir haben jedoch auf den Westkykladen ein gigantisches Störungssystem gefunden, das die Erdkruste in Richtung Süden geschoben hat.“ Das Interessante dabei: Dieser Vorgang fand etwa zeitgleich mit der nach Norden gerichteten Bewegung der Nord- und Ostkykladen statt. „Das ist deshalb spannend, weil solche Bewegungen auch aktuell unter dem griechischen Festland im Bereich des Golfes von Korinth ablaufen.“

Das Modell der Extension der Ägäischen Platte muss daher revidiert werden: Die Platte wurde zur gleichen Zeit sowohl nach Norden als auch nach Süden gedehnt. Geologen sprechen dabei von einer „symmetrischen Extension“. „Früher ging der Großteil der Wissenschaftler generell nur von einer asymmetrischen Bewegung der Platten aus“, erklärt der Geologe. Doch in letzter Zeit mehren sich die Ergebnisse, die beide Varianten der Extension vermuten lassen.

Aus alten Systemen lässt sich also viel lernen, auch in Hinblick auf heute stattfindende Prozesse.

Lexikon

Die Erdkruste ist
nicht starr, sondern
in Platten aufgeteilt,
die ständigen Deformationen ausgesetzt sind,
die durch die
Plattentektonik beschrieben werden.

Störungszonen entstanden dort, wo die Kruste im Laufe der Erdgeschichte Veränderungen ausgesetzt war. Gesteinsschichten werden übereinandergeschoben, manche driften in die Tiefe
und kommen an
ganz anderen Stellen zu liegen, als es eigentlich ihrem geologischen Alter entsprechen würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2012)

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