Innovation: "Crowdsourcing ist nicht das Allheilmittel"

Christopher Lettl
Christopher Lettl(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Die Welt könnte durch „Crowdsourcing“ nicht nur kreativer, sondern auch demokratischer werden, meint Innovationsexperte Christopher Lettl. Allerdings: Bei Routinearbeiten könnte ein „Crowding-out“ passieren.

Wenn Firmen nicht weiter wissen, rufen sie die „Weisheit der Masse“ auf den Plan. Das bedeutet, sie lagern die Problemstellungen in den digitalen Raum aus – und hoffen auf Lösungsideen von Freiwilligen, der Crowd. Manchmal geht es auch um das Ausführen einfacher Arbeiten, wie etwa das Texten von Produktbeschreibungen oder das Entwerfen einer Verpackung. Die Motivation des Unternehmens ist klar: Es sucht günstige Hilfe. Doch worin liegt der Reiz für die Helfer?

„Zum einen handelt es sich bei diesen digitalen Tagelöhnern um Personen wie Studienabgänger, die keinen Job finden, oder um Freiberufler, die sich etwas dazuverdienen wollen“, sagt Christopher Lettl, Leiter des Instituts für Strategie, Technologie und Organisation an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). „Sie motiviert das in Aussicht gestellte Geld.“ Vor allem in den Bereichen Biologie, Chemie oder Physik ist Fachwissen gefragt, das teils mit Millionenbeträgen dotiert wird. Auf der anderen Seite gebe es Fixangestellte, die das Geld nicht benötigen, sondern einfach kreativ sein wollen, meint Lettl.

Ein Problem der Vereinbarkeit von Hobby und eigentlichem Job sieht er nicht. „Wenn ein Bankangestellter auf einer Onlineplattform T-Shirts designt, ist das seine Freizeitgestaltung. Macht er das in seiner Arbeitszeit, wird es schwieriger.“ Das wären aber Ausnahmen, in der Regel stünde der Austausch mit Gleichinteressierten im Vordergrund. So würden das auch viele Software-Firmen sehen: „Manche ermutigen ihre Mitarbeiter sogar, auf solchen Plattformen zu sein, um sich Inputs zu holen.“ Das sei gut so: „Schottet sich eine Volkswirtschaft ab, fällt sie im globalen Wettbewerb zurück.“

Wettlauf um die Crowd

Die Befürchtungen von Gewerkschaften, die vor Ausbeutungsverhältnissen warnen (so gibt es für digitale Tagelöhner u. a. keinen Mindestlohn und keine Krankenversicherung), kann Lettl nachvollziehen. Das würde aber eher Routine- als innovative Aufgaben betreffen. Während es bei ersteren zu einem „Crowding-out“ kommen könne, sei der Bereich Innovation vielschichtiger. Außerdem basiere hier „alles auf Freiwilligkeit, keiner muss Teil der Crowd werden“. Jene, die sich dazu entschließen, wüssten hingegen, worauf sie sich einlassen. „Die Rahmenbedingungen sind in der Regel klar definiert“, sagt Lettl.

Auch Arbeitnehmer könnten die Entwicklungen entspannt nehmen. „Ich sehe keine Kündigungswelle anrollen“, meint Lettl. Denn: „Selbst wenn ein Unternehmen auf Crowdsourcing setzt, braucht es immer noch Leute, die auf den digitalen Plattformen das Problem definieren und Anreize schaffen müssen, um die Crowd zum Mitmachen und Bleiben zu motivieren.“ In anderen Worten: Mitarbeiter werden von Problemlösern zu Problemformulierern – „zum Ideenscout“. Und deren Aufgabe sei wesentlich: „Nur, weil ich eine Frage poste, heißt das nicht, dass die richtigen Personen sie beantworten. Die Zahl der Top-Innovatoren ist endlich. Soll heißen: Crowdsourcing ist nicht das Allheilmittel für Innovationsprobleme.“ Langt doch eine Lösung ein, brauche eine Firma auch weiterhin Personen, die sie umsetzt.

Bereits etablierte Marken hätten einen weiteren Vorteil: positive Werbung. Und zwar nach dem Motto: „Wir nehmen die Anregungen unserer Kunden ernst.“ Ein solcher Fall sei Audi: Der Autobauer sammelte zuletzt Ideen zum Thema „family on bord“ und ließ die besten Inputs umsetzen. Eine Art Arbeitszeugnis winkt den Ideengebern dabei freilich nicht, dafür eine Bestätigung, einen Ideen-Wettbewerb gewonnen zu haben. „Womit konkret, wird nicht verraten. Immerhin haben Sie ihr Recht auf den Input verkauft“, sagt Lettl.

Zwischen Henne und Ei

Für Gründer könnte sich indes ein „Henne-Ei-Problem“ auftun: Einerseits wollen sie Feedback, „andererseits müssen sie hoffen, dass keiner ihre Ideen aufschnappt und schneller ist“. Seitens der Plattformen werde daher versucht, mittels Whistleblower-Systemen oder der Option, dass nur die Fragesteller die eingehenden Lösungsvorschläge sehen, geistigem Diebstahl vorzubeugen.

Letztlich überwiegen jedenfalls die Vorteile, ist der Wirtschaftsprofessor überzeugt. So würde die Welt durch Crowdsourcing demokratischer: „Jeder kann aktiv werden, egal, woher er ist oder welchen Titel er hat. Das Internet diskriminiert hier nicht, es zählt nur die Leistung.“ Am Ende werde wohl eine neue Definition von Arbeit stehen: „Wir erleben einen Paradigmenwechsel – weg von geschlossenen produzentenzentrierten Innovationsmodellen, hin zu kollaborativen nutzerzentrierten Modellen.“

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