Nichts ist so gravierend wie eine gerichtliche Verurteilung

Alfred Autischer, Sabine Matejka, Michael Pilz und Christine Hohmann-Dennhardt
Alfred Autischer, Sabine Matejka, Michael Pilz und Christine Hohmann-DennhardtLuiza Puiu
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„Es gilt die Unschuldsvermutung“ – für 41 Prozent der Medienkonsumenten ist das ein Indiz, dass die betreffende Person auch schuldig ist.

In den sozialen Medien ist der Ton mitunter harsch und eine Vorverurteilung ist schnell gepostet. Doch selbst wenn Medien – gleich ob Print-, Online- oder elektronische Medien – über mögliche Verfehlungen berichten und ein „es gilt die Unschuldsvermutung“ anfügen, hat das Folgen: Einer britischen Studie zufolge glauben 41 Prozent der Medienkonsumenten, die betreffende Person ist schuldig. Gibt diese Person keinen Kommentar ab, gehen 51 Prozent von der Schuld aus, leugnet sie, sind es gar 61 Prozent. Beschuldigt sie einen Dritten, sind 50 Prozent von der Schuld überzeugt.

Es gebe also nicht nur einen „court of justice“, sagte Kommunikationsexperte Alfred Autischer bei der Podiumsdiskussion „Welches Urteil zählt mehr: Der Richterspruch oder die gesellschaftliche Vorverurteilung?“: „Aber es gibt auch einen ,court of public opinion‘, und der urteilt gnadenlos.“

Urteile zur Verdachtsberichterstattung

Zwar sieht die Rechtsordnung eine Reihe von (medienrechtlichen) Instrumenten gegen Vorverurteilungen vor, sagte Rechtsanwalt Michael Pilz, aber Unterlassungsklagen, Widerruf oder Gegendarstellung seien „harmlos gegen das Lauffeuer medialer Vorverurteilung“. Und sie kämen meist zu spät. Zwar gebe es auch die Möglichkeit, finanzielle Entschädigung zu erstreiten, in Österreich wurden Medien im Vorjahr in Summe aber zu nicht mehr als 120.000 Euro verurteilt.

Halbwahrheiten, Fake News oder alternative Fakten seien zwar nichts, räumte Christine Hohmann-Dennhardt, ehemalige hessische Justizministerin, Richterin am Bundesverfassungsgerichts und Vorstandsmitglied bei Daimler und später bei VW, ein. Doch Verbreitungsgeschwindigkeit und -möglichkeit und auch die Mittel, Information und Bilder zu manipulieren, seien durch das Internet gestiegen. In Deutschland gebe es mittlerweile sogar Urteile zur „Verdachtsberichterstattung“.

Einig war man sich im Schrödinger-Saal, dass Vorverurteilung neben dem (Reputations-)Schaden auch ein finanzielles Risiko eines allfälligen Prozesses bedeute. Ein Risiko, das Einzelpersonen und kleine Unternehmen oft scheuen würden, weil es dafür kaum Rechtsschutzversicherungen gibt. Was letztlich zu einer Zweiklassenjustiz führen kann.

Einig war man sich auch darüber, dass eine Vorverurteilung gravierend, eine gerichtliche Verurteilung aber noch gravierender sei. „Ein Verurteilter bekommt längere Zeit die Füße nicht auf den Boden“, formulierte Autischer.

Von Medizinern lernen

Nicht so ganz einig waren sich die Gäste von Moderatorin Sabine Matejka (Präsidentin der Richtervereinigung) und die Gäste im Publikum, was die Gerichte selbst zu Vorverurteilungen betragen. Der Vorwurf: Die Gerichte würden ihre Arbeit nicht transparent genug machen. So würden Personen vielfach erst aus den Medien und nicht von der Staatsanwaltschaft erfahren, dass sie als Beschuldigte geführt werden. Und Richter würden ihre Urteile zu wenig erklären und unverständlicher schreiben.

Den Medizinern sei gelungen, eine Sprache mit ihren Patienten zu sprechen, lautete der Befund, die Juristen arbeiten noch daran.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2018)

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