Was der Blick in den Kopf über den Menschen verrät

Bildgebende Verfahren machen die Dynamik im Gehirn sichtbar.
Bildgebende Verfahren machen die Dynamik im Gehirn sichtbar.Getty Images/Purestock
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Visualisierungen der Hirnfunktionen bieten immer detailliertere Einsichten in das Denkorgan. Forschende kombinieren Daten über Anatomie, Funktion und Stoffwechsel, um neuronale Prozesse vorherzusagen. Gedanken lesen werden sie trotzdem nie – solange wir das nicht wollen.

Die Experimente von Jack Gallant, Neurowissenschaftler an der University of California Berkeley, klingen nach dem Alptraum jedes Datenschützers: In seinem Labor liest er aus der Hirnaktivität von Probanden, welche Bilder sie gerade betrachten. Zwar sind die Ergebnisse noch durchaus bescheiden: Werden etwa Videos von einer Elefantenkuh mit Kalb oder einem roten Papageien gezeigt, erhalten die Forscher lediglich Bildsequenzen, die an verwaschene Tintenflecken erinnern. Gallant, der seine Forschung heute auf den Alpbacher Technologiegesprächen diskutiert, ist dennoch überzeugt, dass die Dekodierung des Gehirns einen ähnlichen Fortschritt erleben wird, wie die Fotografie – schließlich war auch hier auf den ersten Aufnahmen kaum etwas zu erkennen.

Ohne Kooperation geht's nicht

Doch selbst wenn das visuell Erlebte gestochen scharf aus den Hirnen der Probanden extrahiert werden könnte, müsste man in absehbarer Zukunft dennoch keine Sorge vor unerwünschten Einblicken in unsere Gedankenwelt haben, beruhigt die Neurowissenschaftlerin Veronika Schöpf (Med- Uni Wien), die die Alpbacher Hirnforschungsdiskussion leitet: „Mit Gedankenlesen hat das nichts zu tun, denn das funktioniert nur, wenn man bereits sehr viele Informationen über die individuellen Gehirnfunktionen eines Probanden hat. Man müsste ihm zum Beispiel eine große Anzahl an Stühlen, Tischen oder Gesichtern zeigen, um zu lernen, wie sein Hirn darauf reagiert, und aus diesen Daten kann man dann wieder auf das jeweilige Objekt zurückrechnen. Also ohne die Kooperation der Untersuchten geht gar nichts.“

Dennoch sind die Möglichkeiten, die moderne bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) bieten, gewaltig. Kombiniert mit weiteren Analysemethoden, die allesamt auf der Blutflussänderung und dem Sauerstoffverbrauch im Gehirn basieren, lassen sie sich für verschiedenste Anwendungen nutzen, so Schöpf. „Durch das sogenannte multimodale Imaging, in dem wir Anatomie, Funktion und Stoffwechsel zusammenfassen, bilden wir die Dynamik im Gehirn ab. Damit lassen sich verschiedenste Aussagen treffen, etwa darüber, wie es einem Patienten geht, was er will oder was für eine Krankheit er hat. Aber man kann auch Vorhersagemodelle berechnen, wie er beispielsweise auf einen bestimmte medikamentöse Therapie reagieren wird.“

Schöpfs Spezialgebiet sind die neuronalen Prozesse, die für die Geruchswahrnehmung zuständig sind. Sie untersuchte unter anderem, welchen Einfluss Körpergerüchen auf die Gesichtserkennung haben, und wie sich das Gehirn bei Menschen mit Verlust des Geruchssinns verändert. Ihre Forschung kann aber auch in ganz anderen Bereichen angewendet werden: „Das lässt sich auch für die Konsumentenforschung nutzen, dem sogenannten Neuromarketing. Hier sind wir inzwischen so weit, dass wir tatsächlich anhand von Computersimulationen Vorhersagen treffen können, bei wem beispielsweise ein Deo den Körpergeruch überdecken kann, und ob er sich dabei auch wohl fühlt. Das ist natürlich viel einfacher, als es an Tausenden von Menschen zu testen.“ Kostspielige Eye-Tracking-Versuche, bei denen die Augenbewegungen von Konsumenten erfasst werden, um zu ermitteln, auf welcher Regalhöhe Produkte im Einzelhandel am ehesten wahrgenommen und gekauft werden, ließen sich mit den Vorhersagemodellen ebenfalls ersetzen, Schöpf sieht in ihnen daher „ein ganz neues Sprungbrett für das Neuromarketing.“

Eine eher gewöhnungsbedürftige Anwendungsmöglichkeit dieses Forschungsgebietes ist die gezielte Beeinflussung des Geruchssinns, die in Verbindung mit Virtual-Reality-Brillen funktioniert: Man versetzt ein Glas Wasser mit bestimmten Duftstoffen, die einem das Gefühl geben, einen Cocktail zu trinken. Schöpf: „Man muss in keine Bar mehr gehen und keinen Alkohol konsumieren, hat aber trotzdem das Erlebnis.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2019)

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