Südkorea: Krisenstrategie im „Gangnam Style“

Krisenstrategie Südkoreas
Krisenstrategie Südkoreas(c) REUTERS (LEE JAE-WON)
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Reportage. Die Menschen in Südkoreas Hauptstadt Seoul versuchen, die Kriegsdrohungen aus dem Norden nicht zu ernst zu nehmen.

Seoul. Park Geun San zerbricht sich nicht den Kopf über den Kriegstanz von Kim Jong-un. Er freut sich vielmehr auf das Konzert des zum Weltstar aufgestiegenen Rappers Psy. „Nordkorea wird mir den Spaß nicht verderben.“ Krisenbewältigung im „Gangnam Style“ nennen das die Medien in Seoul in Anspielung auf den Welthit aus Südkorea.

Also alles normal in Südkoreas Hauptstadt? Auf dem Flughafen Incheon starten und landen alle Fluggesellschaften wie gehabt, die Passagiere lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Im Zentrum der südkoreanischen Hauptstadt pulsiert das Leben, es gibt keine Anzeichen von Alarmbereitschaft: Alles ist friedlich, keine Kontrollen, keine Soldaten. Auf Ausländer wirke die Kriegsrhetorik jenseits der Grenze vielleicht erschreckend, erklärt eine Studentin eher ungehalten, aber als Südkoreaner habe man sich einfach „an das Theater aus dem Norden“ gewöhnt.

Keine Panikkäufe

Am Han-Fluss, der die Stadt durchzieht, scheint ganz Seoul diesen frühlingshaften Sonnentag zu genießen. 30.000 Menschen strömen am Abend zum Picknick in den Han River Park in Yeouido. Frau Park, die mit ihren zwei Kindern am Nachmittag den Park besucht hatte, reagiert auf die Frage, ob sie denn keine Angst im Freien habe, einigermaßen überrascht: „Ich sehe überhaupt keinen Grund zu Nervosität, solche Drohungen aus Nordkorea sind nichts Neues.“

Auch im Geschäftsleben nimmt alles seinen normalen Verlauf. „Nein, es gibt keine Panikkäufe von Instantnudeln oder Wasser“, sagt die Verkäuferin im Supermarkt des Lotte-Konzerns. Die großen Ketten wie E Mart und Lotte Mart registrieren keine verstärkte Nachfrage nach solchen Krisenprodukten, und sie haben vorerst auch nicht die Absicht, ihre Lager zu füllen.

Auch der – extrem teure – Immobilienmarkt taugt in diesen Tagen nicht als Krisenindikator. Ein Makler im hippen Geschäftsdistrikt Yongsan, in dem einander die Wolkenkratzer überbieten und der 665 Meter hohe „Dream-Tower“ gebaut wird, vermeldet „business as usual“: „Potenzielle Käufer interessieren sich mehr für die Wohnungspolitik der neuen Regierung als für die Nachrichten aus Nordkorea.“ Die Meldungen und Drohungen aus Pjöngjang hätten keinen Einfluss auf die große Nachfrage nach Eigentumswohnungen.

Das Säbelrasseln aus Pjöngjang lasse ihn kalt, winkt auch Restaurantbesitzer Lee Chul Je ab. „Nordkorea macht das immer wieder“, sagt der 65-Jährige. Die Tische biegen sich unter Kimchi und Grillfleisch. „Ich bin sicher, dass die Dinge wieder in Ordnung kommen.“ Die meisten Südkoreaner hätten sowieso andere Sorgen. Bis auf die großen Firmen wie Samsung oder LG kämpfen besonders Mittelständler und Kleinunternehmer ums Überleben. Großkonzerne und die billigere Konkurrenz in den asiatischen Nachbarländern setzt sie extrem unter Druck.

Die Sorgen der Ausländer

Es sind vor allem Ausländer, die sich Sorgen machen. Das spüren der koreanische Tourismusverband und die Institutionen, die Studienprogramme für ausländische Schüler und Studenten organisieren. Sie sind mit Anfragen und Vorbehalten konfrontiert. Die meisten Südkoreaner sind es leid, sie fühlen sich von den zänkischen Nachbarn belästigt.

Das schlägt sich auch in den Medien nieder. Sie berichten zwar über die irrationalen Sprüche und die Eskalationen, zu Spitzenmeldungen schaffen es die Nachrichten aus Pjöngjang jedoch nicht. „Südkoreaner sind unbeeindruckt von den nordkoreanischen Drohungen“, schreibt die Tageszeitung „Chosunilbo“ und vermutet, dass die Amerikaner mehr Angst haben, weil sie und ihre Truppen in Asien direkt als Zielscheibe Pjöngjangs genannt wurden.

„Nach den endlosen militärischen Drohungen glaubt keiner mehr in Südkorea, dass ein Krieg kommen wird“, konstatiert Kang Dong Wan, ein Experte für internationale Beziehungen an der Universität Pusan. „Bei den Menschen hier hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass ein Krieg Nordkorea teuer zu stehen käme.“ Ein erstaunliches Selbstbewusstsein für ein Land, das sich technisch noch im Kriegszustand mit Nordkorea befindet.

Nur wenige Südkoreaner üben Kritik daran, dass die Bevölkerung die Kriegsdrohungen nicht mehr ernst nimmt, oder dass sie zu naiv ist und die Gefahr der neuen Führung in Pjöngjang unterschätzt oder verdrängt. Kim Hee-sang vom Koreanischen Institut für Nationale Sicherheitsfragen weist besorgt darauf hin, dass Schulen nicht wissen, wie sie in Kriegszeiten evakuieren müssen und die Lehrer nicht mit den Notfallprozeduren vertraut sind. „Das ist das Mindeste, was erforderlich ist.“

Generell überwiegt die öffentliche Unaufgeregtheit. Aus südkoreanischer Sicht gibt es sogar ein optimistisch stimmendes Anzeichen dafür, dass nichts oder nur sehr wenig passieren wird. Der mächtigste Firmenlenker des Landes, Lee Kun-hee vom Elektronikgiganten Samsung, flog am zurückliegenden Wochenende mit seinem Privatjet aus Tokio wieder der Heimat entgegen. Der reichste Mann Südkoreas hatte drei Monate in Hawaii und in Japan verbracht. „Die Rückkehr des Chefs von Samsung Electronics zeugt von der Hoffnung, dass ein Krieg mit Nordkorea unwahrscheinlich ist“, vermutet die Tageszeitung „Korea Times“.

Die Rückkehr des Unternehmers

Es möge für Fremde komisch klingen, dass die Rückkehr Lees als Signal dafür interpretiert wird, dass es keinen Krieg geben werde, so die Zeitung. Aber er werde schon gute Gründe haben, jetzt wieder nach Hause zu kommen. Die Rückkehr des superreichen Unternehmers wurde sogar von den linksorientierten Medien mit einem massiven Journalistenaufgebot gefeiert. Die TV-Teams und Reporter von über 50 südkoreanischen Medien bombardierten den Geschäftsmann mit Fragen. Allerdings interessierten sie sich fast ausschließlich für Gerüchte über anstehende Managementwechsel, Strategieüberlegungen und Investitionsentscheidungen bei Samsung. Niemand stellte auch nur eine Frage nach Nordkorea.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2013)

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