Wie 9/11 Amerikas Datenspione prägte

Amerikas Datenspione praegte
Amerikas Datenspione praegte(c) Reuters (GARY CAMERON)
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Am Morgen des 11. September 2001 war die National Security Agency unterfinanziert und desorganisiert. Das Trauma, die Angriffe trotz vorhandener Informationen nicht verhindert zu haben, führte direkt zu Prism und der Snowden-Affäre.

Als Michael Vincent Hayden am 25. März 1999 seinen Chefposten in der Beletage des Hauptquartiers der National Security Agency antrat, ging ihm eine Sorge nicht und nicht aus dem Kopf: Was ist, wenn wir zu eifrig spionieren?

Nicht dass Hayden ein überzeugter Bürgerrechtsaktivist gewesen wäre. Der damals 54-jährige Generalleutnant hatte sich 1967 als junger Mann gegen Flower-Power und für die Air Force entschieden. Er hatte dem Staat pflichtbewusst unter anderem in Guam, Südkorea und als Luftwaffenattaché an der Botschaft in Sofia gedient. „Ich bin durch den Schlamm gekrochen, um Fotos von MiG-23-Jets zu machen, die von bulgarischen Startpisten abhoben, um zu lernen, welche Typen das waren“, sagte Hayden Jahre später nicht ohne Stolz im Gespräch mit dem Journalisten James Bamford.

Und dennoch beunruhigte ihn die Vorstellung, dass die NSA, der weltgrößte elektronische Spionagedienst, zu viele Löcher in die Privatsphäre der Amerikaner bohrt. Denn sie stand unter schwerem Beschuss der Öffentlichkeit. Erstens fragten sich viele Amerikaner, wozu sie zehn Jahre nach dem Sieg im Kalten Krieg so einen umfangreichen militärischen Geheimdienst finanzieren sollten. Zweitens war erst vor Kurzem das geheime Programm Echelon bekannt geworden, in dessen Rahmen die NSA jegliche Kommunikation über Satelliten rund um den Erdball abzuhören pflegte – auch jene von US-Bürgern. Und drittens litt Haydens Organisation noch immer unter den Nachwehen von „Operation Chaos“. Das war der Codename für den 1967 begonnenen umfassenden Lauschangriff auf jeden Amerikaner, der dem Vietnam-Krieg gegenüber Kritik übte. Die NSA belauschte nicht nur die Telefongespräche von prominenten Friedensaktivisten wie der Sängerin Joan Baez und der Schauspielerin Jane Fonda, sondern half der CIA auch dabei, rund 13.000 Akten missliebiger Bürger anzulegen. Als der „New York Times“-Reporter Seymour Hersh das im Jahr 1974 aufdeckte, gab es einen riesigen Krach, eine Untersuchungskommission des Kongresses und, 1978, den „Foreign Intelligence Surveillance Act“: das erste Gesetz, mit dem das Treiben der Datenspione von Fort Meade einer richterlichen Kontrolle unterworfen wurde.

Fatale Entscheidung. Einen solchen Wirbel konnte NSA-Direktor Hayden 1999 wirklich nicht brauchen. In den zehn Jahren zuvor waren Personal und Budget der Organisation um ein Drittel verkleinert worden. So traf er eine folgenschwere Entscheidung, die er noch heute bereut: Fortan würde die NSA kein Telefonat, kein E-Mail, kein Fax mehr lesen, das aus dem Ausland in die USA oder von den USA ins Ausland ging. Die Agentur würde sich auf jenen Zweck bescheiden, zu dem sie 1952 von Präsident Harry Truman gegründet worden war: die Aufklärung des ausländischen Datenverkehrs.

Die Überwachung der inneramerikanischen Kommunikation solle ausschließlich beim FBI liegen. Theoretisch war das vernünftig. Der Bundespolizei schließlich oblag die Ermittlung von Verbrechen auf amerikanischem Boden. Auch Bürgerrechtler mussten das gutheißen. Das FBI muss nämlich gegenüber dem Fisa-Gericht viel genauer als die NSA begründen, warum es ein bestimmtes Telefon abhören oder die E-Mails von einer bestimmten Adresse lesen will. Denn die Ermittlungsergebnisse des FBI können zu Anklagen und, im Fall eines Schuldspruchs, bis zur Todesstrafe führen.

In der Praxis aber war Haydens Verzicht auf die Überwachung elektronischer Kommunikation mit US-Bezug desaströs. Dem FBI fehlten die Kapazitäten, um verdächtige Telefonate auf Arabisch zwischen Kalifornien und Jemen verfolgen zu können. Genau solche Gespräche gab es seit Anfang 2000. Da war Khalid Mihdhar, ein 24-jähriger Saudi und ergebener Gefolgsmann von Osama bin Laden, mit seinem um ein Jahr älteren Landsmann Nawaf Hazmi nach Los Angeles gereist. Mehr als eineinhalb Jahre lang bauten die beiden jene 19-köpfige Terrorgruppe auf, die am 11. September 2001 das World Trade Center zerstören, das Pentagon beschädigen und die Leben von 2977 unschuldigen Menschen fordern sollten (Mihdhar und Hazmi ließen ihren Flug 77 ins Pentagon krachen).

Die NSA hatte Aufnahmen von Telefonaten der beiden mit der al-Qaida-Kommandozentrale im Jemen. Sie hätten genug Anhaltspunkte geliefert, um Mihdhar und Hazmi die Einreise in die USA zu verweigern oder sie später bei Anhaltungen durch die Verkehrspolizei wegen Schnellfahrens festzunehmen. Doch irgendwo im Machtkampf vom FBI, CIA und NSA verstaubten sie.

Dieses Trauma hatte rasch Folgen. „Gibt es etwas, was Sie noch tun können?“, fragte der damalige CIA-Chef George Tenet nach den Anschlägen. „Nicht im Rahmen meines derzeitigen Mandats“, antwortete Hayden.

George W. Bush änderte das mit einem Federstrich. Per präsidentieller Anweisung genehmigte er am 4. Oktober 2001 der NSA die Überwachung auf amerikanischem Boden. Die Enthüllung von Edward Snowden, wonach die NSA die Metadaten aller Anrufe im Netz des Mobilfunkunternehmens Verizon mitschreibt, folgt direkt daraus. Dasselbe gilt für Prism, das Programm, mit dem sich die NSA Zugriff auf die Server neun führender amerikanischer Internetkonzerne verschafft. Keine 24 Stunden nach den Anschlägen von 9/11 rief John Poindexter, der frühere Nationale Sicherheitsberater von Ronald Reagan, einen guten Freund im Pentagon an: Wäre es nicht klug, alle Handlungen und Bewegungen aller Menschen auf amerikanischem Boden zu erfassen? Wenige Monate später hatte Poindexter, der wegen seiner Rolle im Iran-Contra-Skandal in fünf Fällen wegen Delikten wie Falschaussagen und Beweismittelvernichtung verurteilt worden war, ein 200-Millionen-Dollar-Budget und arbeitete an Überwachungsprogramm Total Information Awareness (TIA).

Die Enthüllung von TIA durch die „New York Times“ im Herbst 2002 machte Poindexters Umtrieben ein Ende. Er ist Vergangenheit. Sein Plan des umfassenden Data-Mining hingegen ist unter dem Namen Prism Gegenwart und Zukunft der NSA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2013)

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