Deutschland verlassen, um für Allah zu töten

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Symbolbild(c) EPA (JALIL REZAYEE)
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Dies ist die Geschichte eines jungen Mannes, der den Winterurlaub in Kitzbühel gegen ein Terrorcamp in Pakistan getauscht hat. Der sich den Taliban anschloss und zu einem Handwerker des Todes wurde. Zuletzt führte ihn die Internationale des Jihad nach Syrien. Dann ist er ausgestiegen, zur Freude westlicher Geheimdienste, die ganz begierig auf sein Wissen sind.

Er wird auf jeden Fall für Monate, wenn nicht gar Jahre in den Eisschrank gehen. So nennt er das, was ihn, zumindest in der ersten Zeit, im Zeugenschutzprogramm eines westlichen Staates erwarten wird. Welcher das ist, darf nicht benannt werden. Vorher jedoch werden sie ihn, den deutschen Talib, der nach seiner Ausbildung zum Streiter Allahs seinen blutigen Glaubenswahn fünf Jahre in Afghanistan und dann in Syrien ausgetobt hat, wie eine Zitrone ausquetschen. „Da ist eine Menge Saft drin“, meint der Deutsche. „Es lohnt sich.“

Coole Worte, doch die kommen nur müde, wie ausgelaugt heraus. Er wird zu guter Letzt nicht wie eine leer gepresste Schale entsorgt werden. Im Gegenteil. Für seine Vernehmer ist er eine Schatztruhe. Deshalb werden sie immer für ihn da sein, ihn schützen und fürsorglich umhegen, wenn nötig für den Rest seines Lebens. Dafür hat die Mutter gesorgt, im Jetset internationaler Juristen weiß sie komplizierte Deals mehr als erfahren einzufädeln – inklusive garantierter Straffreiheit und wohlversorgter Zukunft. Weshalb „die deutsche Kronzeugenlösung“ nicht eine Sekunde lang infrage gekommen ist. „Mein Sohn wird keinen Tag im Gefängnis verbringen“, sagt sie sehr bestimmt. „Ganz egal, was er möglicherweise zu verantworten hat.“

Dies ist die Geschichte eines jungen Deutschen, dessen Leben in der Unbehaglichkeit eines mehr als nur gutbürgerlichen Elternhauses aus den Fugen geraten ist, den es eher zufällig zunächst nur in eine süddeutsche Moschee getrieben hat. Der dann, nach dem Besuch einer Sprachschule im ägyptischen Alexandria, der „Rattenlinie“ durch den Iran folgend, seine „Erfüllung“ in den Ausbildungslagern im Norden Waziristans und dann in Afghanistan gefunden hat. Erfüllung? „Das war es damals für mich,“ meint er. Dabei schimmert so etwas wie (ob gespielt oder nicht) nacheilende Verblüffung hindurch – nach einer fünf Jahre währenden jihadistischen Karriere unter allen Radarschirmen westlicher Sicherheitsbehörden. Diese Karriere endet in den Blutorgien des syrischen Bürgerkriegs, in dem er zuletzt mit Allahs Killern in den Reihen der Jabhat al-Nusra gekämpft hat. „Also hast du getötet?“, frage ich ihn. Die Mutter schnalzt mit der Zunge, schüttelt den Kopf, was er nicht braucht – er weiß zu schweigen. „Niemand segelt fünf Jahre durch den Jihad und hat dann saubere Hände. Wie ist das, wenn du tötest?“ Er schnauft abschätzig. „Versuch es selbst“, meint er, die Mutter stört die Richtung dieser Fragen, er wiegelt ab. Sie haben sich fünf Jahre nicht gesehen, er hat sich nie gemeldet, war einfach weg, bis er sie in diesem Frühjahr kontaktiert hat. Denn seine Mutter, das weiß er, weiß ihm die richtigen Türen zu öffnen.

Innerliche Leere. Wie wird aus einem Buben aus saturiertem Hause ein Handwerker des Todes im Auftrag Allahs? Einem, dem jährliche winterliche Freuden nahe Kitzbühel ebenso wie die ewig gleiche Sommerfrische unweit des Comer Sees „nachgeschmissen wurden“. Dem das Einserabitur „in den Schoß“ fiel. „Zufall, shit happens, es hätte alles andere sein können, ich denke nicht darüber nach, verschon mich also mit deiner Küchenpsychologie“, sagt er und bequemt sich, den Zustand dieser Jugendjahre zu benennen: Öde, Langeweile, Desinteresse, Überdruss. „Ich war innerlich eben leer.“

Er ist 14, als er 2001 die Türme fallen sieht. Die Bilder faszinieren, berauschen ihn. „Wow“, beschreibt er seine Reaktion von damals. Die Toten, sie kümmern nicht. Er bewundert „die ungeheure Leistung, die totale Zielstrebigkeit, die absolute Hingabe, die unendliche Erfüllung, die dahinter steht“, forscht nach, was dem zugrunde liegt und findet Antwort im Islam: „Gemeinschaft, Zusammenhalt, klare Inhalte, klare Regeln, mir fiel es wie Schuppen von den Augen.“ Ein muslimischer Freund lacht ihn ungläubig aus, klagt über „Bigotterie, Verlogenheit, Lebens- und Lustfeindlichkeit im Islam“, für ihn bedeutet diese Klage das abrupte Ende einer langen Freundschaft.

Das Handwerk des Krieges lernt er während seines Wehrdienstes, den Feinschliff in der Kunst des Terrors in Waziristan. Pakistanische Instrukteure, ehemalige Offiziere des ISI und frühere Mitglieder der SSG, der pakistanischen Special Service Group, haben ihn in mobilen Lagern im Bombenbau, in der Planung von Hinterhalten, der intensiven Vorbereitung von Selbstmordattentätern ausgebildet. Für den Einsatz in Afghanistan und im Westen. „Das ganze Einmaleins des Terrors eben. Was das betrifft, bin ich wohl ein Naturtalent“, bemüht er sich salopp zu wirken. Er fällt früh den Instrukteuren auf, zeigt zu viel Talent, um als Selbstmordattentäter verheizt zu werden, wird zum Haqqani-Netzwerk weitergereicht. Er beschreibt Hinterhalte, Überfälle, Kämpfe mit afghanischen und alliierten Truppen, benennt Orte und Zeitpunkte detailliert und lässt dabei die erste Person im Singular penibel unerwähnt, deutet eigenes Handeln nur an. Dafür spricht er über andere und deren Tun und Qualitäten, über Leute wie ihn selbst, die aus dem Westen gen Waziristan pilgern. Er offenbart ein geradezu enzyklopädisches Wissen, spricht detailliert über jihadistische Reisende aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und anderen europäischen Ländern. Er beschreibt ein System von Werbern, „Talentscouts“, die unauffällig im Westen leben und Kandidaten rekrutieren. „Die Werber sind keine finsteren Bärtigen in wallenden Gewändern, das sind unauffällig sanfte Menschen, die kommen nicht fanatisch einher.“ Rattenfänger für die Rattenlinie nennt er das heute. Sein Wissen macht ihn wertvoll, er weiß dies, die Mutter braucht es dafür nicht.

Keine islamische Lagerfeuerromantik. „Bis zum Arabischen Frühling 2011 war das ein nicht abreißender Strom“, sagt er. Für westliche Dienste sei es unmöglich, alle, die da mitgeschwommen sind, nur „ansatzweise auf dem Schirm zu haben“. Er behauptet, über mehr als 200 deutsche und andere westliche Reisende Bescheid zu wissen, die während seiner Zeit in Pakistan die Ausbildungslager durchlaufen haben. „Die wenigsten halten das Leben in Waziristan aus. Sie zerbrechen an den gnadenlos harten Realitäten dort. Weicheier! Das ist keine islamische Karl-May-Lagerfeuerromantik. Du wirst aus der Luft gejagt, du wirst auf dem Boden gejagt. Du lebst Tag für Tag, Stunde um Stunde, Sekunde für Sekunde im Wissen, dass sie nur eines wollen: dich töten.“ Tatsächlich sind amerikanische Einsatztruppen – aktive Special Forces sowie eigens aus diesem Grund ausgeschiedene – nicht nur in Afghanistan, sondern gerade auch in Pakistan am Boden zu Werke. Bis heute und allen gegenteiligen Beteuerungen aus Washington zum Trotz. Ihr einziger Auftrag: „search and destroy“ – suchen und töten. Das zermürbt und lässt paradiesische Jungfrauenträume schnell verblassen.

Atmosphäre der Angst. „Ich denke, ihr liebt den Tod so sehr, wie wir das Leben lieben. Woher dann diese Angst davor?“ Er reagiert mit der abschätzigen Arroganz des vorgeblichen Profis: Das glaube nur „das Kanonenfutter, die nützlichen Idioten, die man gebrauchen kann“. Gerade gut genug seien sie, „um im Westen eine Atmosphäre der Angst durch permanente Unsicherheit zu erzeugen. Nenn es psychologische Kriegsführung.“ Zu dieser gehöre mitunter „eine bewusst sehr offen geführte Kommunikation. Natürlich wussten wir, dass Telefongespräche und Internetkommunikation abgehört würden. Manchmal wollte man, dass mitgehört wird, wenn über Anschläge im Westen gesprochen wird. So provozierst du Unsicherheit, Angst, Ungewissheit: Bomben sie oder nicht?“

Dann spricht er darüber, dass schon vor Jahren in „meinen Kreisen, nicht mit den Weicheiern“, sehr konkret über Anschläge auf den europäischen Bahnverkehr, über Attentate auf gut besetzte ICE-Züge in Europa gesprochen wurde. Tatsächlich versetzte im Sommer diese Drohung deutsche Sicherheitsbehörden in helle Aufregung. Sie können nicht wissen, ob es nur ein Bluff ist. „Das Einzige, was die Behörden mit Sicherheit wissen: Sie können solche Anschläge unmöglich verhindern.“

Er macht eine Pause. „Noch etwas wissen sie. Es ist verblüffend einfach, einen voll besetzten ICE bei Tempo 250 entgleisen zu lassen. Wie auch immer. Stell dir das Szenario einmal vor: Am Dienstag entgleist zwischen Hamburg und Frankfurt ein ICE. Zwei Tage später ein TGV zwischen Paris und Marseille, noch einmal zwei Tage später ein ICE zwischen Mannheim und Hannover. Bei Tempo 250! Auf einen Schlag hast du 1000 Tote, und eine Woche rund um die Uhr Liveberichterstattung. Wow! Einfach zu planen, einfach zu organisieren und kinderleicht durchzuführen. Was will man mehr?“

Im Frühjahr 2011 weiß er um das Ende seiner Zeit in Pakistan. „Die USA haben den Krieg um Afghanistan militärisch verloren. Was sollte ich da noch?“ Sirajuddin Haqqanis Netzwerk ist eng mit der al-Qaida verwoben. Im Nahen Osten tobt sich der Arabische Frühling aus, die al-Qaida weiß, anders als die meisten westlichen Experten, um die ungeheuren Chancen, die sich im nahöstlichen Vorgarten Europas so unverhofft eröffnen.
Es ist eine bunt durchmischte Truppe, die sich da ab dem Frühjahr 2012 auf den Weg nach Syrien macht.
Tschetschenen, Usbeken, Tunesier, Libyer westliche Jihadisten, pakistanische Taliban. Meister in der Kunst des Terrors und des Tötens. Auf zwei Routen kommen sie. Entweder aus Waziristan über Belutschistan, den Oman und von dort in den Libanon oder die Türkei nach Syrien. Oder den einfacheren Weg aus den Stammesgebieten direkt nach Karachi, dann mit dem Flieger über die Türkei in das Bürgerkriegsland. „Das Ganze wird noch bis heute mit Wissen, Duldung und Unterstützung des ISI von ehemaligen Offizieren des pakistanischen Geheimdienstes organisiert“, erklärt er. „Ich weiß, von wem ich meine Reisepapiere bekommen habe. Wenn plötzlich hunderte Kämpfer von Karachi aus das Land verlassen, geht das nur mit Wissen und Unterstützung des ISI.“ Westliche Dienste bestätigen, dass seit letztem Jahr mehr als 500 Ausbilder, Instrukteure, Organisatoren und Kämpfer aus Pakistan in Syrien eingetroffen sind. „Pakistan entsorgt sein Talibanproblem, das hat dem Bürgerkrieg in Syrien eine ganz andere Qualität gegeben“, bestätigt einer aus der Gilde westlicher Geheimdienste.

Die Hölle ist in Syrien Alltag. Welcher Art, darüber spricht der deutsche Streiter Allahs nicht, er repetiert dies mit nur noch monotoner Stimme, zeichnet mit Worten Bilder aus blutigster Hölle, schildert die schlimmsten Albträume eines Hieronymus Bosch, die im syrischen Alltag Realität geworden sind. Da bröckelt die Pose des abgeklärten Profis, die Augen verlieren ihren Ausdruck, und es ist dies die Rede eines langen Tages düsterer Reise in die blutige Agonie einer schier endlosen Nacht. Er ist in Homs und in Aleppo und anderen Ortes dabei. Er spricht über das Töten und Morden, das Schlachten und Sengen und Brennen, darüber, wie unter freudigem Lachen und lautem Lobpreisen Allahs unterschiedslos Männern, Frauen und Kindern die Kehlen durchgeschnitten werden. Wie man ihnen die Köpfe nimmt. Er beschreibt Vergewaltigungen junger Mädchen vor den Augen ihrer Eltern, wie man ihnen die Brüste absäbelt und wie lang so etwas dauert. Er erzählt, wie zwei pakistanische Instrukteure unter dem johlenden Beifall der umstehenden Menge zwei Knaben zunächst den Penis, dann die Hoden abschneiden und sich über deren Verbluten gar köstlich amüsieren.

Was er beschreibt, „ist die Bestie, die aus dem Menschen herausbricht, um sich wahllos auszuwüten“. „Alles unter der bedingungslosen Unterwerfung und im Namen deines Gottes, wie immer man den nennt.“ Der Deutsche hört die Worte, bleibt lange stumm. Der Mutter ist diese Realität des Sohnes unbequem, sie müht sich, in der Rolle zu bleiben. Schließlich meint ihr Sohn: „Das ist nicht mehr mein Gott, und das ist es, was ich in den Eisschrank mitnehmen werde.“

TERRORNETZWERK

HAQQANIS Krieger
Das Netzwerk. Fünf Jahre kämpfte sein deutscher Jihadist für das Haqqani-Netzwerk in Afghanistan. Die Extremistengruppe wird für das Gros der schwersten Anschläge in der Hauptstadt Kabul verantwortlich gemacht. Gegründet wurde das Netzwerk von Jalaluddin Haqqani während sowjetischer Besatzung. Heute leitet es sein Sohn Sirajuddin.
Operationsgebiet. Das mit den afghanischen Taliban und der al-Qaida verwobene Netzwerk operiert aus dem pakistanischen Stammesgebiet in Nordwaziristan. Pakistans Geheimdienst, ISI, steht unter Dauerverdacht, die Gotteskrieger nicht nur gewähren zu lassen, sondern auch zu unterstützen. Sanktionen. Nach langem Zögern setzten die USA das Haqqani-Netzwerk im September 2012 auf ihrer Liste ausländischer Terrororganisationen. Zwei Monate später verhängten auch die Vereinten Nationen Sanktionen über die Extremistengruppe, zahlreiche Konten wurden eingefroren.

DER WEG ZUM JIHADISTEN

Anfang. Die 9/11-Anschläge faszinieren den damals 14-jährigen Deutschen aus gutbürgerlichem Haus. Er besucht eine süddeutsche Moschee, später eine Sprachschule in Alexandria.
„Aufstieg“. Seine erste „Erfüllung“ findet der Deutsche in den Terrorcamps im pakistanischen Waziristan. Fünf Jahre kämpft er für das Haqqani-Netzwerk in Afghanistan.
Ausstieg. Als er die USA in Afghanistan militärisch besiegt glaubt, zieht es den deutschen Jihadisten nach Syrien. Dort sieht er bestialische Gräueltaten unter lautem Lobpreisen Allahs. Er steigt aus dem Gotteskrieg aus und in ein Zeugenschutzprogramm ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2013)

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