"Generation Gezi Park": jung, weiblich, alevitisch

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Das türkische Innenministerium durchleuchtete das soziales Profil der Demonstranten in der Türkei. Insgesamt 3,6 Mio. Menschen protestierten.

Das türkische Innenministerium hat die persönlichen Hintergründe von über 5.500 Verhafteten im Zuge der Gezi-Proteste durchleuchtet. Das Ergebnis ist ein Profil der Anti-Regierungs-Bewegung vom Sommer. Sie hat nur wenig mit dem konservativen, sunnitisch-islamischen Klientel der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung AKP gemein.

Laut der Zeitung "Milliyet", die sich auf einen Bericht des türkischen Innenministeriums beruft, war die große Mehrheit der verhafteten Demonstranten alevitischer Herkunft. Mehr als die Hälfte von ihnen war unter 25 Jahre, 50 Prozent waren weiblich.

Die türkischen Sicherheitsbehörden haben demografische Daten wie Religionszugehörigkeit, Alter, Geschlecht und Einkommenssituation der im Zuge der Gezi Park Unruhen in Polizeigewahrsam genommenen Personen ausgewertet. Es sind die sozialen Profile von insgesamt 5.513 Männer und Frauen. Auch Geheimdienstmaterial soll in den Bericht eingeflossen sein.

Urban und gebildet

Der "demografischen Analyse" zufolge sind die Gezi-Park-Demonstranten mehrheitlich urban, gebildet, nicht älter als 30 Jahre und zeichnen sich durch einem hohen Frauenanteil aus. Ein Fünftel der von der Polizei Festgenommenen verdient monatlich mehr als 2.000 Lira (735,84 Euro). Das ist mehr als ein Lehrergehalt in der Türkei.

Die vorgelegten Indizien verdeutlichen einmal mehr die zunehmende Spaltung in der türkischen Gesellschaft. Die von den Behörden skizzierte "Generation Gezi Park" fügt sich nicht ins islamisch-konservative Sittengemälde des Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan.

Der Gezi-Park-Protest richtete sich vor allem gegen den autoritären Stil der islamisch-konservativen Regierung. Sie forderten mehr Demokratie und den Rücktritt Erdogans. Viele Demonstranten warfen der regierenden AKP vor, die Islamisierung der Gesellschaft voranzutreiben.

Der ins Feuer der Kritik geratene Regierungschef hat die Gezi-Park Demonstranten während der monatelang anhaltenden Proteste wiederholt als marginale Gruppe verunglimpft und sie als Marodeure beschimpft.

Erdogans Rache

Den polizeilichen Angaben zufolge ist die Mehrheit der Festgenommenen dem universitären Umfeld zuzurechnen, Hochschulabsolventen und Studenten. Erdogans Vorstoß gegen gemischte Studentenheime nach Abflauen der Protestwelle werteten viele als Rachefeldzug gegen seine Kritiker und mündete in der Überprüfung privater studentischer Wohnverhältnisse. Bereits im Vorfeld der Moraldebatte hat das Innenministerium Untersuchungen gegen studentische Wohngemeinschaften wegen Terrorverdachts und Prostitution eingeleitet.

Beinahe 80 Prozent der verhafteten Gezi-Park-Protestierenden sind Angehörige der alevitischen Minderheit, listet der aktuelle Bericht des Innenministeriums auf. Ein Detail, dass im Behördenpapier nicht explizit angeführt wird, ist die Tatsache, dass alle bei den Gezi-Unruhen getöteten fünf Demonstranten in den Städten Istanbul, Ankara, Eskisehir und Hatay Aleviten waren.

Aleviten gehen leer aus

Türkische Kommentatoren haben im Zuge der landesweiten Unruhen gemutmaßt, dass die Gezi-Park-Proteste zu einem alevitischen Aufstand führen könnten. Die Aleviten zählen zu den religiösen Minderheiten in der Türkei. Im Zuge der Unruhen haben die schwersten Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizeikräften in von Aleviten dominierten Vierteln und in der Stadt Hatay stattgefunden. Im Demokratisierungspaket der Regierung sind sie neuerlich leer ausgegangen.

Laut Untersuchungsbericht sind zwölf Prozent der verhafteten Protestteilnehmer in politischen Parteien organisiert oder gehören zum Umfeld politischer Parteien. Sechs Prozent sind linken extremistischen Gruppen zuzurechnen. Vier Prozent wird von den Behörden vorgeworfen, für terroristische Gruppen oder deren nahestehende Organisationen zu arbeiten. Der Verdacht auf Zugehörigkeit zur militanten Kurdenguerilla PKK und deren nicht-militantem Arm, die KCK, liegt nahe. Die KCK hatte sich im Zuge der Proteste offiziell auf die Seite der Demonstranten gestellt.

Die sich an einer Istanbuler Bauprojekt entzündeten Gezi-Park-Proteste Ende Mai haben sich in Folge zu landesweiten Anti-Regierungsprotesten entwickelt. In insgesamt 80 Provinzen der Türkei kam es 112 Tage lang zu Demonstrationen und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Einzig die Provinz Bayburt an der Schwarzmeerküste blieb von der Protestwelle unberührt.

Rund 3,6 Millionen Menschen nahmen laut aktuell veröffentlichter Gezi-Bilanz der türkischen Sicherheitskräfte an den Protesten im Sommer dieses Jahres teil. Fünf Demonstranten wurden getötet, 4.329 Menschen, darunter 697 Polizisten, wurden verletzt. Ein Polizist starb als Folge eines Unfalles. Mehr als 5.500 Personen wurden im Zuge der Proteste festgenommen,

(APA)

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