Der Traum der Krim-Bewohner von einem besseren Leben in Russland

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Das Armenhaus auf der Schwarzmeer-Halbinsel fühlte sich von Kiew im Stich gelassen. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 3000 Dollar im Jahr.

Moskau/Simferopol. „Die Wahl wurde getroffen, die Krim ist nicht länger Teil der Ukraine.“ So wandte sich Wladimir Konstantinow, der Parlamentsvorsitzende der Republik Krim, am Mittwoch an die Bewohner der Schwarzmeer-Halbinsel. Er weiß: Die Bevölkerung der Krim setzt große Hoffnungen in den Beitritt zur Russischen Föderation.

Vor allem wirtschaftliche und soziale Unterstützung ersehnen die Menschen aus Moskau. Die Krim gehört zu den ärmsten Regionen der Ukraine. Knapp drei Prozent trägt ihre Wirtschaftsleistung zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei.

So kann das Zentrum der Hauptstadt Simferopol zwar mit einer neu renovierten Fußgängerzone aufwarten. Nur wenige Straßenzüge dahinter sind jedoch viele Häuser zerfallen und die Fahrt im Auto wird zu einer Zickzackroute rund um die Schlaglöcher. Nicht ohne Neid schauen viele Einwohner Simferopols deshalb auf Russland. Viele haben dort Freunde oder Verwandte oder erzählen von russischen Touristen, die im Sommerurlaub auf der Krim viel Geld ausgeben.

Sewastopol reicher

Als Gradmesser in der Nachbarschaft muss erst einmal Sewastopol herhalten. In der größten Stadt der Schwarzmeer-Halbinsel, die administrativ nicht zur Republik Krim gehört, sind die wirtschaftlichen Einflüsse Russlands, der dort stationierten Schwarzmeer-Flotte wegen, bereits stärker spürbar. Sewastopol habe von Russland profitiert, so etwa die Meinung von Sascha, der als Taxifahrer arbeitet.

2008 betrug das Pro-Kopf-Einkommen pro Jahr in der Autonomen Republik Krim durchschnittlich zwischen 2500 und 3000 Dollar. In Sewastopol lag es dagegen mit 3000 bis 4000 Dollar auf derselben Stufe wie in der Hauptstadt. Innerhalb der Ukraine musste Kiew der Krim Gelder zur Unterstützung überweisen. Auf 70 bis 80Millionen Dollar schätzte Alexej Likatschew, russischer Vizeminister für Wirtschaftsentwicklung am Mittwoch das Haushaltsdefizit der Republik Krim. Vor dem Referendum wurde gezielt mit der größeren wirtschaftlichen Macht Russlands geworben. Auf vielfach aufgehängten Plakaten der Partei Russische Einheit von Regierungschef Aksjonow wurde minuziös verglichen, um wie viel höher Pensionen und Löhne für Staatsangestellte in Russland über jenen der Ukraine liegen.

Erste wirtschaftliche Folgen des Referendums bekommen die Menschen auf der Krim allerdings schon dieser Tage zu spüren. Seit Anfang der Woche hat die Ukraine die Überweisung der Pensionen und Sozialbezüge gestoppt, dies berichtete die ukrainische Agentur Unian. „Die Menschen auf der Krim betrachten sich nun als Bürger eines anderen Staates, es gilt bereits die Verfassung der Russischen Föderation“, Ljudmila Denisowa, ukrainische Ministerin für Sozialpolitik.

Das Gefühl der Enttäuschung betrifft jedoch nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Politik. Bereits die Regierungen vor dem nun abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch nahmen auf die Anliegen der Krim zu wenig Rücksicht. Die Politiker hätten sich darauf beschränkt, von Kiew aus Gesetze zu erlassen und ihre eigenen Vertrauten in politische Ämter zu installieren. Diese hätten wiederum einzig danach getrachtet, sich auf Kosten der Krim zu bereichern.

Aksjonows dubiose Verbindung

Viele bringen jedoch auch den neuen Machthabern unter Regierungschef Sergej Aksjonow und dem Parlamentsvorsitzenden Konstantinow Misstrauen entgegen. Die Rede ist von dubiosen bis in die 1990er-Jahre zurückreichenden Verbindungen zum organisierten Verbrechen und finanziellen Schwierigkeiten. Einzig, dass sie nicht aus einer anderen Region an die Macht gekommen sind, spricht wohl bisher für die neue Führungsriege. Zudem haben sie unter der Regie des Kreml die Krim in die Russische Föderation geführt.

AUF EINEN BLICK

Die Krim hat sich am Sonntag in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für die Eingliederung in die Russische Föderation ausgesprochen. Am Dienst unterzeichnete Russlands Präsident, Wladimir Putin, den Vertrag zum Anschluss der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel, auf der zu fast 60 Prozent Russen leben. Die international nicht anerkannte Abstimmung erbrachte eine Mehrheit von 97 Prozent für die Annexion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2014)

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