Kurdische Peschmerga sollen die Stadt gegen den IS-Ansturm verteidigen. Als "Aufpasser" hat ihnen die Türkei Kämpfer der Freien Syrischen Armee beigestellt.
Istanbul. Der Beginn des Einsatzes nordirakischer Peschmerga-Soldaten für die eingekesselte syrische Stadt Kobane glich einem Triumphzug: Die Finger an den ausgestreckten Armen zum Siegeszeichen geformt und von kurdischen Zuschauern begeistert beklatscht, überquerten sie am Mittwoch die Grenze zwischen dem Nordirak und der Türkei, in ihren mit schweren Waffen wie Artillerie, Raketenwerfern und Maschinengewehren beladenen Fahrzeugen. Die erste vom Westen unterstützte Intervention ausländischer Bodentruppen im syrischen Bürgerkrieg begann nach sechswöchiger wochenlanger Belagerung.
Insgesamt etwa 150 gut ausgerüstete Kurdenkämpfer aus dem Nordirak begannen am Mittwoch ihren Einsatz in Kobane gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Schon vor den Peshmerga kam am Mittwoch fast unbemerkt eine andere Truppe in Kobane an: ein Konvoi mit rund 200 Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA), die sonst eigentlich gegen das Regime von Diktator Bashar al-Assad kämpft, will es ebenfalls mit dem IS aufnehmen.
Angst vor Kurden-Armee
Erstmals seit Beginn der Belagerungen der nordsyrischen Stadt vor eineinhalb Monaten erhalten die Kurden in Kobane damit Hilfe am Boden. Bisher mussten sie sich auf ihre im Vergleich zum Arsenal des IS leichten Waffen und auf Luftangriffe der US-geführten Allianz verlassen. Das reichte, um den Angriff des IS zunächst zu stoppen. Jedoch kontrollieren die Jihadisten nach wie vor mehr als ein Drittel der Stadt. Nun werden sich die Kurden von Kobane erstmals mit Artillerie und Raketen wehren können.
Militärisch und psychologisch könnte die Hilfe den kurdischen Verteidigern von Kobane einen großen Schub verleihen. Und kurdische Erfolge könnten wiederum den türkischen Befürchtungen neuen Auftrieb geben. Ankara hat nämlich die nicht gänzlich abwegige Angst, dass der Abwehrkampf der Kurden gegen die Jihadisten die Rebellen der verbotenen türkisch-kurdischen Untergrundorganisation PKK und deren Verbündete in Kobane aufwerten und dem Traum von einem eigenen Kurdenstaat Auftrieb geben könnte. Kurdische Medien zitierten Ismet Shex Hesen, den Chef der kurdischen Verteidiger von Kobane, mit den Worten, er wünsche sich, dass die Ankunft der Peschmerga in der Stadt der Anfang zur Bildung gesamt-kurdischer Streitkräfte sei.
IS richtet 46 Sunniten hin
Wie angespannt die Stimmung ist, zeigte sich bei der Ankunft der Peschmerga am irakisch-türkischen Grenzübergang Habur. Kurdische Demonstranten, die das Kontingent der Peschmerga freudig begrüßten, bewarfen türkische Sicherheitskräfte mit Steinen. Die Polizei antwortete mit Warnschüssen in die Luft.
Um dem Machtzuwachs der Kurden entgegenzuwirken, machte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in den vergangenen Tagen für eine Hilfsmission der nicht-kurdischen FSA in der Stadt stark. Die Tatsache, dass die ersten FSA-Kämpfer mit ihren Fahrzeugen am Mittwoch noch vor den Peschmerga in die Stadt kamen, ist deshalb als Zeichen zu verstehen – nicht nur an den IS, sondern auch an die Kurden in Kobane.
Und auch der IS sandte am Mittwoch ein Zeichen aus – wie er mit seinen Gegnern umgeht: Die Jihadistenmiliz richtete in der westirakischen Provinz Anbar mindestens 46 Menschen hin. Sie hatten zu einem der wenigen sunnitischen Stämme gehört, der sich gegen die – ebenfalls sunnitischen – IS-Kämpfer zur Wehr gesetzt hat. (güs)
AUF EINEN BLICK
150 kurdische Peschmerga-Kämpfer aus dem Irak sind am Mittwoch in der vom IS belagerten nordsyrischen Stadt Kobane eingetroffen. Sie brachten auch schwere Waffen mit, womit erstmals eine effiziente Verteidigung der Stadt möglich ist. Auf Wunsch der Türkei wurden ihnen Kämpfer der Freien Syrischen Armee beigestellt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2014)