Ungarn: Wenn "Tante" Angela aus Deutschland zu Besuch kommt

In Budapest versammelten sich viele Menschen, um sich von ihrem Regierungschef Viktor Orbán zu distanzieren.
In Budapest versammelten sich viele Menschen, um sich von ihrem Regierungschef Viktor Orbán zu distanzieren.(c) REUTERS
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Die Visite der deutschen Kanzlerin wird unterschiedlich rezipiert: als Bestätigung für die Regierung vom Lager Viktor Orbáns. Nach Meinung der Opposition will sie ihrem Parteifreund jedoch die Leviten lesen.

Budapest. Der namhafte ungarische Philosoph Gáspár Miklós Tamás wandelte die Koseform der Deutschen für Kanzlerin Angela Merkel, "Mutti", auf "tánti", sprich "Tante", ab. Die "Tante der Ungarn" wird Budapest heute einen Besuch abstatten, und die Ungarn fiebern dieser Visite seit Wochen mit hohen Erwartungen entgegen.

Allerdings wird der Merkel- Besuch von den politischen Lagern in Ungarn völlig unterschiedlich wahrgenommen. Während das konservative Regierungslager davon spricht, dass die ungarisch-deutschen Beziehungen nicht besser sein könnten, ist die Opposition der Meinung, dass Ungarns Regierungschef, Viktor Orbán, der deutschen Kanzlerin in Wirklichkeit ein Dorn im Auge ist und sie nur deshalb nach Budapest reist, um ihm die Leviten zu lesen.

Tausende demonstrierten am Sonntag dann auch gegen die Regierung in Budapest und für ein europäisches Ungarn. Man wolle zeigen, dass "Viktor Orbán nicht gleichzusetzen ist mit Ungarn", teilten die Organisatoren mit.

Die Opposition verweist einerseits auf die "autoritäre" und "demokratiepolitisch fragwürdige" Politik der Regierung Orbán, andererseits auf die EU-kritischen Töne des Premiers und seine Annäherung an Russland. Unabhängige Experten gehen davon aus, dass beim Orbán-Merkel-Treffen vor allem drei Themen auf der Agenda stehen: der Ukraine-Konflikt, die EU-Sanktionen gegen Russland und die Situation der deutschen Unternehmen in Ungarn.

Diplomatische Eskalation

Im Ukraine-Konflikt erwartet die Regierung Orbán eine Eskalation. Kürzlich erklärte Kanzleramtsminister János Lázár, Orbáns rechte Hand, dass das "wahrscheinlichste Szenario" in der Ukraine ein offener Krieg sei. Die ungarische Regierung sei dann auch darauf vorbereitet, von der jetzigen "Konsolidierungspolitik" in den "Krisenmodus", der einer "Kriegslogik" folgen würde, zu schalten.

Was das EU-Embargo gegen Russland angeht, das im März verlängert werden soll, legen Orbán und seine Regierung eine ambivalente Haltung an den Tag. Im Rahmen ihrer Politik der "Ostöffnung" hat Budapest die feste Absicht, mit Russland noch engere Bande zu knüpfen. Schon bisher sind mehrere bedeutende Wirtschaftsabkommen zwischen den zwei Staaten geschlossen worden.

Das Wirtschaftsembargo der EU gegen Russland geht der ungarischen Regierung mithin mächtig gegen den Strich. Ganz zu schweigen von der ungarischen Exportwirtschaft, die unter den Sanktionen ächzt. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass Orbán den Beschluss des EU-Embargos im Vorjahr nur zähneknirschend mitgetragen hat.

Einzelne Beobachter schließen nicht aus, dass Orbán sogar ein Veto gegen eine Verlängerung der EU-Sanktionen einlegen könnte. Der Premier selbst sagte unlängst nur so viel: Ungarn habe seine Interessen dem europäischen Standpunkt bisher deshalb untergeordnet, weil ein einheitliches Auftreten der EU dazu beitragen könnte, den Ukraine-Konflikt beizulegen.

Ein Thema des Treffens dürfte aber auch die von der Kanzlerin angedachte "eurasische Wirtschaftskooperation" sein, sprich ein gemeinsamer Wirtschaftsraum zwischen der EU und der von Russland dominierten Eurasischen Union. Eine Voraussetzung dafür sei jedoch die Bereitschaft Moskaus, den Ukraine-Konflikt zu lösen.  Orbán meinte dazu jüngst: "Das ist der beste Plan, den man sich für Ungarn ausdenken kann."

Sondersteuer für Firmen

Schließlich werden Merkel und  Orbán wohl auch über die in Ungarn tätigen deutschen Unternehmen sprechen. Viele Firmen klagen, dass nicht wenige Maßnahmen der Regierung Orbán intransparent und willkürlich gewesen seien. Hinzu kommen die Sondersteuern in Ungarn, von denen zahlreiche Unternehmen aus Deutschland betroffen sind. Jüngstes Beispiel dafür ist die im Sommer des Vorjahrs eingeführte Werbesteuer, die vor allem den regierungskritischen Privatfernsehsender RTL Klub trifft, der zur deutschen Bertelsmann-Gruppe gehört.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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