US-Präsidentenwahl: Ted Cruz, der Gotteskrieger

U.S. Republican presidential candidate Cruz speaks at the Webster City Municipal Airport in Webster City, Iowa
U.S. Republican presidential candidate Cruz speaks at the Webster City Municipal Airport in Webster City, IowaREUTERS
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Am 1. Februar erfolgt in Iowa der Auftakt für die US-Präsidentenwahl 2016. Der Senator Ted Cruz aus Texas hat gute Chancen, hier zu gewinnen. "Die Presse am Sonntag" ist ihm bei der Wahltour gefolgt.

Am Ende, nach einer Stunde, in der er seinen knapp 200 Zuhörern im Old Rossville Store dargelegt hat, dass man gegen Behördenvertreter durchaus mit Schädlingsvernichtungsmitteln vorgehen kann, dass die Hauptstadt Washington von „blutsaugenden Parasiten“ bevölkert sei und dass all die Journalisten, die ihn kritisieren, nach acht Jahren seiner Präsidentschaft reif für die Psychotherapie sein werden, nach dieser von „Amen!“- und „Hört, hört!“-Rufen durchzogenen Rede in der nordöstlichsten Ecke des US-Teilstaats Iowa bittet Ted Cruz sein Publikum zum Gebet: „Ich ersuche Sie zu beten, auch wenn es nur eine Minute am Tag ist: ,Gottvater, bitte setzte dieses Erwachen fort und führe diese spirituelle Erneuerung fort. Erwecke den Leib Christi, um uns vom Abgrund zurückzureißen!‘“

Fünfmal wird Cruz, der 45-jährige Senator aus Texas, an diesem eisigen Samstag auf diese Weise an die tiefe Religiosität der Besucher seiner Wahlkampfveranstaltungen appellieren. Wer ihm auf dieser zermürbenden Ochsentour über die einsamen Landstraßen Iowas folgt, durch menschenleere Weiler mit Namen wie Volga City oder Farmersburg oder St. Olaf, wo der Wind bei minus 15 Grad Celsius so scharf bläst, dass er den Schnee auf dem Asphalt zu spiegelglattem Eis poliert, vorbei an Stoppelfeldern, deren Maisernte in den zahlreichen Ethanolraffinerien zu Treibstoff verarbeitet wird, wer also dem Autobus mit der Aufschrift „Courageous Cruzer“ folgt, der kennt diese Wahlkampfrede rasch auswendig; die sorgfältig einstudierten Scherze, das Changieren zwischen dem salbungsvollen Singsang eines Fernsehpredigers und den vergeistigten juristischen Ausführungen des einstigen Starstudenten in Princeton und Harvard.


Man schämt sich für Obama.
Und man versteht vor allem eines: Wieso Ted Cruz mit großer Wahrscheinlichkeit am 1. Februar die erste Vorwahl der republikanischen Partei gewinnen wird. Je näher der Wahltag rückt, desto öfter und klarer liegt er vor dem Baumilliardär Donald Trump, der momentan noch die US-weiten Umfragen anführt. Denn Cruz verbindet, anders als der in der Glitzerwelt von Manhattan sozialisierte, mehrfach geschiedene Lebemann Trump dessen Verachtung für das politische Establishment mit einem Gespür dafür, dass sich die Menschen hier im ländlichen Herzen Amerikas oft alleingelassen fühlen. Trump füllt Hallen und beeindruckt das Volk mit seinem Hubschrauber und seinem Reichtum. Aber würde er vor 200 Menschen in einem heruntergesandelten Landpub wie dem Old Rossville Store in der Kleinstadt Waukon auftreten, wo Plastikforellen die Wände zieren und einen der Charme osteuropäischer Autobahnraststätten vor der EU-Erweiterung anweht?

„Ich denke, 90 Prozent der Leute hier werden am Caucus teilnehmen. Wenn Sie in Iowa gewinnen wollen, müssen Sie die 65-jährige weiße Frau überzeugen“, sagt John Ellingson, der mit 43 Jahren einer der Jüngeren im Saal ist. Ausnahmslos alle hier sind weiß, rund zwei Drittel älter als 60 Jahre. Viele von ihnen tragen Baseballmützen oder Jacken, die sie als Veteranen der Streitkräfte ausweisen. Der einzige Schwarze im Raum ist Cruz' Leibwächter.

Ellingson hat Politikwissenschaften studiert, in einem Hochsicherheitsgefängnis gearbeitet und ist derzeit als behördlicher Ermittler in Sachen Kindesmissbrauch tätig: „Ich sehe, was die Abhängigkeit vom Wohlfahrtssystem anrichtet.“ Seit er wählen darf, hat er an jedem Caucus teilgenommen, stets für die Republikaner, und dieses Mal neigt er Cruz zu: „Er ist wahrscheinlich der stärkste Konstitutionalist.“ Cruz' scharfe Attacken auf Präsident Obama gefallen ihm: „Die Leute hier schämen sich für Obama. Sie hassen es, Amerika so schwach zu sehen.“

In jedem Wahlsprengel werden sich am 1. Februar um Punkt 19 Uhr für zwei Stunden rund 30 bis 50 Bürger treffen, um zu debattieren und geheim abzustimmen. „Beim Caucus treffe ich alle meine Nachbarn“, sagt Ellingson. „Aber man muss dafür Mühen auf sich nehmen, das mit der Arbeit und der Familie koordinieren.“ Der erfolgreiche Kandidat braucht also in jedem Wahlsprengel einen Antreiber, einen „Precinct Captain“, der seine Anhänger rechtzeitig in den Caucus treibt. Das ist Trumps wesentliche Schwäche: rund 1700 Wahlsprengel gibt es, doch er hat in rund 90 Prozent von ihnen keinen permanenten Vertreter. Cruz hingegen wirft sich mit beachtlicher Verve in diesen Wahlkampf. Alle 99 Bezirke von Iowa will er besuchen, 77 hat er bereits hinter sich. Allein in den fünf Tagen der Bustour, zu deren Abschluss ihm die „Presse am Sonntag“ folgt, hat er 28 Auftritte absolviert.

Ryan Weber, ein 38-jähriger Handelsvertreter des Saatgutkonzerns Pioneer, wird ihn wählen. „Cruz hat Bodenhaftung. Dieses Land fühlt sich derzeit niedergeschlagen, es ist reif für die Wahrheit“, sagt er nach dessen Auftritt im Luigi's Restaurant in der Stadt Oelwein, die schon bessere Tage erlebt hat. „Wir haben die Lügen satt. Wir brauchen nicht mehr Hilfe von der Regierung, sondern weniger. Sie sollte das System einfach seinen Lauf nehmen lassen.“ Und er fügt hinzu: „Unsere Rechte wurden uns nicht von der Regierung gegeben, sondern von Gott.“

Ehrlichkeit, Bodenhaftung: Mit diesen Atouts versucht Cruz zu punkten, und mit wem man hier auch spricht, die Leute glauben ihm. Es lässt sie unbekümmert, dass Cruz es mit der Wahrheit manchmal nicht so ernst nimmt. So hat er, wie die „New York Times“ in der Woche nach seiner Tour durch Iowa enthüllt hat, zwei Kredite der Wall-Street-Banken Goldman Sachs und Citibank für seine Senatswahlkampagne vor vier Jahren nicht ordnungsgemäß gemeldet. Und dass er nicht müde wird, den Staat an sich zu verdammen, aber mit 45 Jahren in Summe nur rund drei Jahre in der Privatwirtschaft gearbeitet hat, als Anwalt nämlich, der unter anderem den Pharmakonzern Pfizer gegen den Vorwurf der Preistreiberei verteidigt hat, ficht seine Fans auch nicht an.


Ein Jackpot namens Heidi.
Überhaupt haben die Menschen hier im ländlichen Iowa eine widersprüchliche Einstellung zur öffentlichen Hand: Wer nicht Landwirt ist und somit von Steuersubventionen und dem staatlichen Schutz vor ausländischem Wettbewerb profitiert, arbeitet oft in einer Behörde oder ist Soldat. Dennoch wird der Staat von vielen Leuten hier verteufelt.

Und noch etwas ist seltsam: Wann immer man hier nach der größten Sorge fragt, bekommt man „radikaler Islamismus“ als Antwort – doch die meisten Bewohner dieser Ecke von Iowa haben noch nie einen Muslim getroffen, geschweige denn einen Jihadisten. Die mangelnden Jobaussichten für die Jungen, die verheerende Heroinepidemie, das zunehmend launenhafte Wetter in Folge des Klimawandels: Diese Themen werden, wenn überhaupt, erst auf Nachfrage mit Achselzucken erwähnt.

Eine Trumpfkarte von Cruz ist seine Frau. Heidi Cruz lernte ihn im Jahr 2000 kennen, als die beiden für die Kampagne von George W. Bush arbeiteten; ein Jahr später heirateten sie. Die zierliche 43-jährige Blondine wirkt wie das Klischee einer Hausfrau ohne eigene Ambitionen, wenn sie davon schwärmt, wie süß Cruz mit seinen beiden kleinen Töchtern spielt (auch sie werden bei jedem Auftritt vor den Vorhang geholt). Doch dieser Eindruck täuscht gewaltig: Heidi Cruz hat an der Harvard Business School studiert, hat an der Wall Street für JP Morgan gearbeitet, war in Bushs Weißem Haus im Nationalen Sicherheitsrat und danach in Houston Vizepräsidentin von Goldman Sachs. Für den Wahlkampf hat sie sich karenzieren lassen; die „Washington Post“ hat neulich zu bedenken gegeben, dass seit Hillary Clinton keine Politikergattin mit derartigen Begabungen sich so diszipliniert hinter ihren Mann gestellt hat. „Wir haben mit Heidi den Jackpot gewonnen“, frohlockt der Kongressabgeordnete Steve King. Ted Cruz lobt King seinerseits als den „gewissenhaftesten konstitutionellen Messerkämpfer im Kongress“.

13 Stunden nach seinem Besuch des Old Rossville Store endet der Tag für Cruz im Wartburg College in Waverly. „Man gewinnt Iowa nur, indem man jeden Wähler einzeln überzeugt“ sagt er den mitreisenden Reportern. Er ist, anders als auf der Bühne, ausgesucht freundlich zu ihnen, schlagfertig und witzig. Das macht diesen Politiker so schwer zu fassen: Er ist tief in einem biblischen Erzkonservatismus verwurzelt, der ihn für die meisten Amerikaner unwählbar macht – aber er kann auch gut zuhören und selbst Leuten, die ihn nicht unterstützen, durchdachte Antworten geben. Die 19-jährige Studentin Taylor Vos etwa wird für den sozialistischen Senator Bernie Sanders stimmen. Doch Cruz' Antwort auf ihre Frage nach der Reform des Strafvollzugs hat sie beeindruckt: „Ich verstehe jetzt, wieso er in Iowa voran liegt.“

Zur Person

Ted Cruz kam am 22. Dezember 1970 im kanadischen Calgary als Sohn einer Amerikanerin und eines kubanischen Flüchtlings zur Welt. Dieser Umstand lässt seine Gegner an seiner Berechtigung zur Kandidatur für das Präsidentenamt zweifeln, doch die überwiegende Juristenmeinung hält das für eine Scheindebatte.

Cruz wuchs in Houston, Texas, auf und studierte in Princeton und Harvard Jus. Er arbeitete danach ein Jahr lang für eine Anwaltsfirma und engagierte sich für die Waffenlobby NRA sowie im Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Bill Clinton. 2000 schloss er sich der Kampagne von George W. Bush an, dort lernte er seine Frau Heidi kennen.

Weil ihm der Juristenposten in Bushs Weißem Haus zu niedrigrangig war, trat er in Washington als stellvertretender Staatsanwalt in den Bundesdienst, ehe er politischer Direktor in der Federal Trade Commission wurde, der US-Wettbewerbsbehörde. Danach trat er in den Dienst des Justizministeriums von Texas, ehe er nach ein paar Jahren bei einer Anwaltsfirma 2012 in den US-Senat gewählt wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2016)

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