Moskaus klitzekleine Geste

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Der Kreml gibt sich beim Einsatz bewaffneter OSZE-Beobachter im Separatistengebiet kompromissbereit. Was steckt dahinter?

Horliwka/Moskau. Der Mann mit Splitterschutzweste, Funkgerät und Fernrohr steht auf dem Flachdach des neunstöckigen Hotels Rodina im Zentrum von Horliwka, um ihn herum Plattenbauten und das Grün der Alleebäume. Er horcht in den wolkenverhangenen Himmel. Ein dumpfer Knall. Noch einer. Der Mann nimmt einen Kugelschreiber und notiert den Zeitpunkt und die Himmelsrichtung, aus der die Detonation kam.

Arbeitsalltag der Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ostukraine: Der Mann, früher Polizist in Bosnien und Herzegowina, ist ein „Horchposten“, der Verstöße gegen die Waffenruhe dokumentiert. Das Dach ist ein relativ ungefährlicher Arbeitsplatz. Man fühle sich sicher hier, heißt es, das Stadtzentrum sei lange nicht mehr beschossen worden.

Angriffe auf OSZE

Doch im Feld ist die Lage eine andere. Auf den Patrouillenfahrten im Kriegsgebiet, wo die Kämpfe vor allem an bestimmten Hotspots andauern, ist es in letzter Zeit zu schweren Zwischenfällen gekommen: Unlängst wurde ein OSZE-Team mit Handfeuerwaffen beschossen, zwei Beobachtungsdrohnen der Mission wurden durch gezielte Angriffe vom Himmel geholt.

Manche Kritiker behaupten, die unbewaffnete OSZE-Mission sei zu schwach, um die Kriegsgegner zur Einhaltung des Minsker Abkommens bringen zu können.

Womöglich könnten die derzeit exakt 701 Beobachter bald Verstärkung bekommen: Schon seit einiger Zeit wird über eine zusätzliche OSZE-Polizeimission diskutiert, die bei den geplanten Lokalwahlen im abtrünnigen Gebiet (einer der Punkte des Abkommens) die Lage vor Ort sichern sollen. Kiew befürwortete eine solche Mission.

Moskau zeigte sich nun erstmals gesprächsbereit, was eine Entsendung von bewaffneten Beobachtern betrifft. Bisher hatte man dies kategorisch abgelehnt. An besonders umkämpften Frontabschnitten zwischen ukrainischer Armee und den prorussischen Separatisten könnten rund um die Uhr zusätzliche Beobachter postiert werden, sagte der russische Außenminister, Sergej Lawrow, am Wochenende in einem TV-Interview. Diese zusätzlichen OSZE-Vertreter könnten auch das Recht bekommen, Waffen zu tragen, „wenn das der Sache dient“.

Lawrow deutete auch Diskussionsbereitschaft in Bezug auf Beobachter an, die speziell bei den geplanten Lokalwahlen zum Einsatz kommen könnten. Ob auch sie bewaffnet sein könnten, ließ er offen.

Moskau verfolgt Stimmung

Die konzilianten Äußerungen des Außenministers kommen kurz vor der Entscheidung der EU-Staaten Ende Juni über die Zukunft der Sanktionspolitik. In Russland verfolgt man die Stimmung in den einzelnen Staaten genau. Von besonderem Interesse sind die Debatten in Deutschland, wo die prinzipientreue Kanzlerin, Angela Merkel, den immer lauter vorgetragenen Ruf nach Zurückschrauben der Sanktionen von Wirtschaftsseite sowie aus SPD-Kreisen zu hören bekommt. Merkel wiederholte kürzlich, dass ein Ende der Sanktionen erst bei Erfüllung des Minsker Abkommens denkbar sei.

In einem anderen Punkt gab sich Lawrow hart: bei Kiews Forderung nach Wiedererlangung der Kontrolle über die Staatsgrenze, die derzeit in Händen der Separatisten ist. Die Aufsicht über den Abschnitt ist ein wesentliches Instrument, den Konflikt zu befeuern bzw. einzudämmen. Während Kiew die Grenzkontrolle als Bedingung für die Abhaltung der Lokalwahlen fordert, versuchen Moskau und die Separatisten, dieses Thema hinauszuzögern. Erst seien Schritte von Kiew nötig, sagte Lawrow. Gemeint sind das Amnestiegesetz und Verfassungsänderungen.

Auch die Separatisten drohen mit der Abhaltung eigener Wahlen ohne Rücksicht auf Kiew, haben diese jedoch bisher immer wieder verschoben. Lawrows Angebot ist als kleiner, gut getimter Schritt des Entgegenkommens zu bewerten. Um die großen Streitfragen macht Moskau aber noch einen Bogen.

AUF EINEN BLICK

Der russische Außenminister Lawrow kann sich bewaffnete OSZE-Beobachter in der Ostukraine in bestimmten, besonders gefährlichen Zonen vorstellen. Auch spezielle Beobachter während der Wahlen seien denkbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2016)

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