Den Haag wirft US-Armee Kriegsverbrechen in Afghanistan vor

Die CIA hatte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Verhörprogramm entwickelt, um Terrorverdächtige zur Herausgabe von Informationen zu bewegen.
Die CIA hatte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Verhörprogramm entwickelt, um Terrorverdächtige zur Herausgabe von Informationen zu bewegen.APA/AFP/PATRICK BAZ
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Mitglieder des US-Militärs hätten womöglich mindestens 61 Häftlinge gefoltert oder brutal behandelt, heißt es in einem Bericht

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) verdächtigt das US-Militär und den Geheimdienst CIA, bewusst Kriegsverbrechen in Afghanistan begangen zu haben. Die Chefanklägerin des IStGH, Fatou Bensouda, veröffentlichte am Montagabend in Den Haag die Ergebnisse einer ersten umfassenden Untersuchung zu den Geschehnissen in Afghanistan seit dem Mai 2003.

Sie werde demnächst entscheiden, ob sie vollständige Ermittlungen beantragen werde, sagte Bensouda. Es gebe "eine vernünftige Grundlage zu glauben", dass Angehörige der afghanischen Regierungstruppen, Taliban-Kämpfer und deren Verbündete, aber auch US-Soldaten und CIA-Agenten in Afghanistan Kriegsverbrechen begingen, sagte Bensouda. Die Anschuldigungen beziehen sich demnach vor allem auf die Jahre 2003 und 2004.

Zudem verdächtigt Bensouda die Taliban und deren Verbündete, für den Tod von rund 17.000 Zivilisten zwischen 2007 und Ende 2015 verantwortlich zu sein, indem sie zahlreiche Angriffe auf Schulen, Krankenhäuser und Moscheen verübten.

Rolle der US-Streitkräfte

Erstmals beleuchtete die Chefanklägerin im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen auch im Detail die Rolle der US-Streitkräfte. Auf Grundlage der Untersuchungen kam Bensouda zu dem Ergebnis, dass Angehörige der US-Streitkräfte auf afghanischem Boden mindestens 61 Gefangene mit Folter, Misshandlungen oder durch Verletzung ihrer Menschenwürde gequält haben könnten. Womöglich seien überdies mindestens 27 Häftlinge von CIA-Agenten misshandelt worden, nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Geheimgefängnissen in Polen, Rumänien und Litauen.

Bei den Verhören hätten Angehörige der US-Streitkräfte und der CIA vermutlich auf Techniken zurückgegriffen, die "auf die Verübung des Kriegsverbrechens Folter hinauslaufen". Es handle sich nicht um Einzelfälle, sondern offenbar um das Ergebnis einer vorsätzlich betriebenen Politik.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington waren die US-Streitkräfte in Afghanistan einmarschiert und hatten die radikalislamischen Taliban von der Macht vertrieben. Im Zuge des von dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush eingeleiteten weltweiten Kampfes gegen den Terror hatte die CIA in Afghanistan und einigen europäischen Ländern geheime Gefängnisse eingerichtet, in denen Terrorverdächtige festgesetzt und verhört wurden.

Die Bush-Regierung erlaubte sogenannte erweiterte Verhörtechniken, zu denen auch die Foltermethode des Waterboarding gehörte. US-Präsident Barack Obama stoppte dies mit seinem Amtsantritt im Jänner 2009; sein Nachfolger Donald Trump hatte im Wahlkampf gesagt, derlei Verhörmethoden halte er für angemessen.

USA erkennt Gerichtshof nicht an

Sollte Bensouda umfassende Ermittlungen beantragen, so würde der seit 2002 tätige Internationale Strafgerichtshof Neuland betreten und die bisher wohl komplexesten und umstrittensten Untersuchungen zu leisten haben. Die USA haben das Römische Statut zur Gründung des Gerichtshofs in Den Haag aber nicht ratifiziert; es gilt als unwahrscheinlich, dass sie bei Ermittlungen kooperieren, die US-Soldaten am Ende vor Gericht bringen könnten.

Für Kriegsverbrechen in den 80er und 90er-Jahren in Afghanistan wird hingegen maßgeblich der Milizenführer Gulbuddin Hekmatjar verantwortlich gemacht. Der als "Schlächter von Kabul" bekannt gewordene Chef der Miliz Hesb-i-Islami, die im September ein Friedensabkommen mit der afghanischen Regierung schloss, wies in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP den Vorwurf zurück und lehnte eine Entschuldigung ab.

"Diejenigen, die Kriegsverbrechen begangen haben oder von einem anerkannten Gericht angeklagt wurden, sollten sich entschuldigen, nicht die diejenigen, denen der Krieg aufgezwungen wurde, die sich den Invasoren entgegen stellten, die sich und das Land verteidigten", sagte Hekmatjar. Der Milizenchef ist seit zwei Jahrzehnten abgetaucht. Das Friedensabkommen ist umstritten, weil es Hekmatjar Schutz vor Strafverfolgung gewährt.

(APA/dpa)

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