Ostukraine: Kurz an der Front

Im Hubschrauber in Richtung Front. Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, auf Besuch in der Ostukraine.
Im Hubschrauber in Richtung Front. Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, auf Besuch in der Ostukraine.(c) APA/BMEIA/DRAGAN TATIC
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Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, will als OSZE-Vorsitzender in der Ostukraine vermitteln. Doch ein Besuch in der kriegsgeschundenen Region zeigt: Einfach wird das nicht.

Mariupol. Es dauert bis zur Front: 70 Minuten lang fliegt der etwas zerbeulte und verrußte Armeehubschrauber über eine immer gleiche Landschaft aus verschneiten Ackerflächen. Die Piloten steuern den Helikopter dabei nur einige Meter über dem Boden – wohl auch, um dem feindlichen Radar zu entgehen. Nach dem Flug Dnipro–Mariupol geht es im Autokonvoi weiter in Richtung Front. Die roten Warnschilde mit weißen Totenkopfabbildungen am Straßenrand häufen sich nun: Minengefahr. Und einige Felder sind unbewirtschaftet: „Ein sicheres Zeichen, dass dort Minen oder Blindgänger liegen“, wie es heißt. Dann hält der Konvoi, rechts eine Reihe teilweise vom Krieg ramponierter Häuser, links ein paar Container: der Übergang Pyschtschewyk. Von hier aus geht es ins Separatistengebiet. Sebastian Kurz steigt aus, um die Schulter eine blaue schusssichere Weste, neben ihm Pawlo Klimkin, sein ukrainischer Amtskollege. An diesem Tag ist es ruhig, am Vorabend aber gab es Beschuss nur vier, fünf Kilometer entfernt.

Die Front hier in der Ostukraine wird Kurz 2017 beschäftigen. Mehr als bisher. Seit 1. Jänner hat der Außenminister den Vorsitz über die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE. Mit dem zweitägigen Besuch will er sich ein Bild vor Ort machen, bevor er am 17./18. Jänner nach Kiew und Moskau reist. Der „Frontbesuch“ soll zugleich die Aufmerksamkeit auf den Krieg in der Ostukraine lenken, der zuletzt wieder unter die Wahrnehmungsschwelle gerutscht ist, wiewohl er bereits mehr als 9700 Menschenleben gekostet und mindestens 2,5 Millionen Ukrainer aus ihren Häusern vertrieben hat.

Österreichs Vorsitz über die in der Wiener Hofburg residierende OSZE wird daher ein schwieriges Heimspiel. Wie schon beim ersten Mal, im Jahr 2000, damals wegen des Boykotts gegen die schwarz-blaue Regierung. Diesmal warnte Frank-Walter Steinmeier seinen Nachfolger öffentlich vor dem „rauhen Wind“.

Kurz will seine Zweitrolle als OSZE-Vorsitzender nun als Brückenbauer anlegen. Der Minister wird den Vermittler zwischen den 57OSZE-Mitgliedstaaten geben. Zugleich aber bleibt er wohl auch 2017 in seiner Erstrolle lautstarker Außenminister und Interessenpolitiker, der in deutschen Talkshows mit Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik aneckt wie punktet und die EU-Gegner der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei anführt. Ein Spagat. In der Ukraine begleiten Österreichs Außenminister jedenfalls unter anderem auch deutsche Medien wie „Bild“ und ZDF.

Den großen Wurf erwartet niemand. Dafür ist der Konflikt zu festgefahren. Auch Kurz spricht von einer „Sackgasse“. Österreichs OSZE-Vorsitzender setzt aber auf den historisch guten Draht nach Moskau. Die Ukraine-Krise hatte auch die OSZE auf ihren ursächlichsten Zweck zurückgeworfen: Die 1975 gegründete und damalige KSZE sollte für Entspannung oder zumindest Gesprächskanäle zwischen Ost und West sorgen. So wie nun die OSZE.

„Zug um Zug“ mit Russland

Als politischen Hebel will Kurz die EU-Sanktionen nutzen. Dass Österreich die Strafmaßnamen gegen Russland mitgetragen hat, war nie ein Akt der Überzeugung. Nun kündigte Kurz erneut an, sich für eine stufenweise Lockerung der Sanktionen einsetzen zu wollen – im Abtausch für Fortschritte vor Ort – „Zug um Zug“. „Ohne Russland gibt es keine Sicherheit in Europa“, sagt Kurz. Und vor allem gibt es ohne Russland keine Beschlüsse in der OSZE, dieser wegen des Einstimmigkeitsprinzips so schwerfälligen Sicherheitsorganisation.

Der Spielraum des OSZE-Vorsitzenden hat eben enge Grenzen. Genauso wie die zivile Beobachtermission der OSZE in der Ostukraine. Es gibt Schikanen, einmal wird der Zutritt wegen Minengefahr verwehrt, dann wieder, weil es ein „Kommandant“ so befohlen hat. Die OSZE ist zwar bei ihren Schuldzuweisungen notorisch vorsichtig. Der Chef der OSZE-Militärbeobachter, Ertugrul Apakan, erklärte gestern aber, die Einschränkungen für seine Mitarbeiter seien in den Separatistengebieten „viel größer“. Eine ältere Dame klagte gegenüber Kurz, dass die OSZE nur untertags im Einsatz sei: „Der Beschuss beginnt aber immer nachts, wenn die OSZE-Beobachter gehen.“

Trotz aller Unwägbarkeiten gelingt es den 1000 OSZE-Mitarbeitern, darunter 19 Österreicher, in ihren täglichen Berichten über Explosionen und Schüsse einen Teil der Gewalt auf beiden Seiten festzuhalten. Dabei wird klar: Der Waffenstillstand existiert nur auf dem Papier, auch wenn es nun vor dem orthodoxen Weihnachtsfest etwas ruhiger wurde. Eher schon gleicht die Lage an der Front einem Krieg auf Sparflamme, den auch das bald zwei Jahre alte Minsk-II-Abkommen nicht gelöst hat.

Moskau und Kiew geben sich daran gegenseitig die Schuld: Russland und die Separatisten führen an, dass die Ukraine noch immer den Autonomiestatus und Lokalwahlen verwehrt – zwei der 13 Punkte des Minsker Abkommens. Kiew hält dagegen, zuerst müssten die Waffen schweigen. Zudem verlangt es die Kontrolle über seine Ostgrenze zurück, wo russische Waffen und Truppen einsickerten.

Und so rückt der große politische Wurf in weite Ferne. Als Ziele formuliert Kurz einen weiteren Gefangenenaustausch, einen echten Waffenstillstand und „mittelfristig“ Lokalwahlen. Wobei Letzteres eher Wunsch als Ziel sein dürfte.

Warten an der Front

Den Übergang in Pyschtschewyk queren keine Busse. Zu gefährlich. Deshalb gehen bisweilen Pensionisten durchs verminte „Niemandsland“, von einem Bus zum nächsten. Zugleich haben die nur fünf intakten Übergänge entlang der 500 Kilometer langen „Kontaktlinie“ nur von acht bis 16 Uhr geöffnet.

Bisweilen warten Ukrainer dort „acht, neun Stunden“ pro Tag. 30.000 Menschen sind davon täglich betroffen. Außenminister Kurz will sich nun für längere Öffnungszeiten einsetzen, „bis zu 24 Stunden“, um den schwierigen Alltag der lokalen Bevölkerung zu verbessern. Im dritten Kriegswinter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2017)

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