"Duterte ist mächtiger als Marcos"

Philippinischer Präsident „flirtet“ nun auch mit Moskau und plant gemeinsame Militärübungen mit Russland.
Philippinischer Präsident „flirtet“ nun auch mit Moskau und plant gemeinsame Militärübungen mit Russland. (c) APA/AFP/POOL/NOEL CELIS
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Bis zu 60 Menschen pro Tag werden im Drogenkrieg des Präsidenten ermordet. Menschenrechtsaktivisten beschreiben, wie Duterte Schritt für Schritt die Demokratie aushöhlt.

Manila/Wien. Auf der Leiche am Straßenrand liegt ein Pappkarton: „Ich bin ein Drogendealer“ steht drauf. Damit ist für die philippinische Polizei der Fall abgehakt. „Wir ermitteln“, heißt es. Aber de facto signalisiert das Schild: Dieser Mord muss nicht weiter untersucht werden. Hat doch der Präsident persönlich dazu aufgerufen, alle, die mit Rauschgift zu tun haben, „abzuschlachten“.

Seit einem halben Jahr ist Rodrigo Duterte Staatschef der Philippinen und führt seinen „Drogenkrieg“. Der Mann, der sich selbst mit Hitler vergleicht, hat das unbestrafte Morden zum Alltag im südostasiatischen Staat gemacht: 6259 Menschen wurden laut Polizei bisher getötet – oft vor aller Augen auf offener Straße erschossen. Auch Kinder sind unter den Opfern, für Duterte „bedauerliche Kollateralschäden“. Also 60 von der Regierung gebilligte Morde pro Tag – wobei „die Dunkelziffer viel höher liegen dürfte“, sagt Dominik Hammann der „Presse“. Der Deutsche arbeitet als Menschenrechtsbeobachter für das „International Peace Observers Network“ auf den Philippinen. Gemeinsam mit dem Philippinen-Experten Niklas Reese hält er sich auf Einladung der Dreikönigsaktion in Wien auf.

Die beiden erzählen von „Todeslisten“, die Lokalbehörden auf Antrag der Regierung regelmäßig aufstellen müssen. Darauf stehen dann mutmaßliche Dealer, Abhängige oder auch nur Menschen, die Drogen konsumiert haben. Die Beamten stünden unter enormem Druck, so Hammann. Denn sie müssten festgelegte Quoten erfüllen, sonst drohe Strafversetzung oder Suspendierung. „Viele werden dann kreativ“, sagt Hammann. Es kämen Leute auf die Liste, die gar nichts mit Drogen am Hut hätten, aber als Unruhestifter oder Außenseiter gelten – langhaarige Jugendliche, Musiker, Aktivisten.

Dass Menschen ohne jeglichen Drogenhintergrund ins Visier der Todesschwadronen geraten, hat Reese persönlich erlebt. Ein Bekannter habe mit einer Lokalgröße Streit gehabt, daraufhin sei auf der Wand seines Hauses in roten Lettern folgende Warnung gesprayt worden: „Hier wohnt ein Drogenabhängiger, du bist der nächste.“ Der Mann traut sich nicht mehr heim.

„Nur“ ein Drittel der Morde ist laut Hammann auf Polizeioperationen zurückzuführen, der Großteil der Tötungen geht aufs Konto von Privatpersonen. Oft handle es sich um Polizisten in Zivil, die mit Auftragsmorden ihr Gehalt aufrunden.

In den Philippinen, wo trotz des vergossenen Blutes nach wie vor 83 Prozent Duterte vertrauen, hat man sich an das systematische Morden gewöhnt. Über die Toten wird kaum noch in Medien berichtet. Für Reese macht sich eine bedrohliche „Kultur der Straflosigkeit“ breit, „in der es okay ist, jemanden um die Ecke zu bringen, weil ohnehin nichts passiert“. Duterte fördere diese Selbstjustiz, denn er profitere davon: Der Präsident sagte offen, dass Rechtsanwälte, die Drogenkriminelle vor Gericht verteidigen, den Tod verdienten. Und dass es „wohl einen Grund hat“, wenn Journalisten oder Menschenrechtler ermordet werden.

Kinder sollen ins Gefängnis

Aus Sympathien für Autokraten macht Duterte kein Geheimnis. Er ist ein Fan von Ex-Diktator Ferdinand Marcos, den er auf dem Heldenfriedhof begraben ließ. Aber im Gegensatz zu seinem Vorbild hat es der Präsident gar nicht notwendig, die Opposition mundtot zu machen und das Kriegsrecht zu verhängen – etwas Kritik sei für ihn sogar ganz nützlich, so Reese: Duterte habe es geschafft, „das Land zu polarisieren. Wer ihn kritisiert, wird sofort als Gelber (Farbe der oppositionellen Liberalen), also als ,elitär‘ abgestempelt. Als einer, der mit westlichen Regierungen den Sturz Dutertes plant“, sagt Reese. „Duterte ist jetzt schon mächtiger als Marcos.“

Denn de facto habe er Parlament und Justiz bereits neutralisiert. In der Bevölkerung habe er sich erfolgreich als „Heilsbringer“ verkauft, der endlich mit all den endemischen Problemen wie Korruption und Kriminalität aufräumen wird. Da verzeihe man ihm vieles. Die nächsten Schritte im Law-and-Order Kurs sind bereits geplant: Im Jänner soll die Todesstrafe wieder eingeführt werden, dann will Duterte auch Kinder ins Gefängnis stecken: Er möchte die Strafmündigkeit von 15 auf neun Jahre senken. Widerstand gibt es kaum. Nur in der katholischen Kirche regt sich der Protest, was aber bisher wenig Resonanz in der Bevölkerung hat.

„Die Philippinen sind de iure eine Demokratie, aber de facto eine Diktatur“, konstatiert Hammann. Die EU dürfe nicht weiter zusehen. Man müsse sich etwa überlegen, ob man weiter über Handelspakte mit Manila verhandeln wolle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2017)

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