Das 113-Milliarden-Dollar-Fiasko am Hindukusch

Afghanistan. Trump hat den längsten Krieg der US-Geschichte geerbt. Der Ausblick ist düster. Die Regierung in Kabul kontrolliert einem neuen Bericht zufolge nur noch 57 Prozent des Landes. Die Taliban sind zurückgekehrt.

Wien/Kabul. Unbemerkt hatten die Taliban-Angreifer einen Tunnel gegraben und den Sprengstoff platziert, genau unter einem Militärposten: der nächste Anschlag, die nächsten Toten. Daraufhin stiegen US-Kampfjets auf und flogen „zehn Luftangriffe in 24 Stunden“. Es ging auch darum, den Fall der Stadt Sangin zu verhindern.

Wochenstart in der Problemprovinz Helmand.

16 Jahre nach dem Einmarsch der US-Truppen ist Afghanistan weder befriedet noch vereint. Stattdessen sind die islamistischen Taliban im Vormarsch, die Regierung verliert schleichend die Kontrolle, und die Sicherheitskräfte bauen Personal ab: Das ist der alarmierende Befund des Aufsichtsgremiums des US-Senats für die Hilfe in Afghanistan (Sigar). Im jüngsten Sigar-Bericht wird das Fiasko in Zahlen gegossen: Demnach kontrollierte die Regierung im November 2016 nur noch 57 Prozent der 407 Distrikte des Landes und damit um 15 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2015. Der Rest ist umkämpft – oder in der Hand der Taliban (10,1 Prozent).

Denn die Islamisten wähnen sich seit Ende 2014 im Aufwind. Damals war der Nato-Kampfeinsatz von einer Ausbildungsmission abgelöst worden. Es schwappte eine Welle der Gewalt über das Land. Allein zwischen Jänner und November 2016 wurden 6785 Sicherheitskräfte getötet – ein Anstieg um 35 Prozent.

Dem Bericht zufolge gibt es auch kleine Lichtblicke, wie Erfolge im Kampf gegen Korruption, der Achillesferse jeder afghanischen Regierung. Und die Taliban kontrollieren zwar mehr Fläche als 2015, aber weniger Menschen: 2,5 Millionen Afghanen lebten in ihrem Einflussgebiet. Das hat auch mit einem Strategiewechsel der afghanischen Streitkräfte zu tun. Sie haben sich auf die Verteidigung wichtiger bevölkerungsreicher Gebiete verlegt – um eine „Niederlage zu verhindern“, wie es in dem Bericht wörtlich heißt. Angriffe auf größere Städte wurden zuletzt abgewehrt. Aber die Strategie hat ihren Preis: Weniger bedeutsame und bevölkerungsärmere Gebiete kassieren oft Taliban.

Rätseln um Trumps Linie

Den verworrenen Endlos-Konflikt am Hindukusch hat nun US-Präsident Donald Trump geerbt. Im Wahlkampf zwischen Clinton und ihm war das Thema unter dem Radar gelaufen. Und das obwohl die USA in Afghanistan seit 2002 113 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau ausgegeben haben. Und so kann man sich Trumps möglicher Afghanistan-Linie nur annähern. Zwar nannte der Präsident den Feldzug einmal ein „Desaster“ und forderte den Truppenabzug, was sich in seine „America first“-Strategie fügt. Aber im Dezember versicherte er Afghanistans Präsidenten Ashraf Ghani den Rückhalt der USA. In seiner Angelobungsrede hatte er angekündigt, den islamistschen Terrorismus auszulöschen: In Afghanistan ist auch der IS vertreten. Drittens hatte der neue Verteidigungsminister James Mattis einst als General gegen Obamas Truppenabzug opponiert.

Die Taliban riefen Trump bereits in einem offenen Brief zum Rückzug auf: „Sie müssen erkennen, dass sich die afghanische muslimische Nation gegen die ausländischen Besatzer erhoben hat.“

In ihren Gebieten sind die Taliban um den Anschein von Staatlichkeit bemüht, lancieren auf Twitter Bilder vom Straßenbau. Gestern wurde zudem bekannt, dass die Islamisten im Distrikt Yuman eine Frau erschossen hatten. Wegen Ehebruchs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2017)

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