Uruguay: Der Guerillero greift nach der Macht

(c) AP (Matilde Campodonico)
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José Mujica, ehemals Untergrundkämpfer, könnte die Präsidentenwahl am Sonntag schon im ersten Durchgang gewinnen. Sein Rezept: gemäßigter Linkspopulismus.

BUENOS AIRES/MONTEVIDEO. José Mujica sagt, er würde sich sehr freuen, sollte er die Präsidentenwahl gewinnen. Und er sagt, er würde sich sehr freuen, sollte er die Präsidentenwahl nicht gewinnen. Wer 15 seiner 74 Jahre im Gefängnis verloren hat, habe noch viele Ideen, aber nur noch wenig Zeit, lächelt er. Aber natürlich will er am Sonntag siegen.

Die Aussichten sind ganz gut, zumindest auf den ersten Blick: Der Kandidat der – Uruguay regierenden – Partei „Frente Amplio“ führt alle Umfragen mit erheblichem Vorsprung an. 44 Prozent der 2,5 Millionen Wähler wollen für das linke Bündnis stimmen, orakeln die Meinungsforscher. Der zweitplatzierte Kandidat Luis Alberto Lacalle, ein korruptionsumwitterter Expräsident vom ländlich-konservativen „Partido Nacional“ liegt bei 30 Prozent, der Vertreter des städtisch-konservativen „Partido Colorado“ bei zehn Prozent.

„Sieg in der ersten Runde“ haben die Wahlkampfhelfer von Uruguays erster linker Regierung in Rot-Weiß-Blau auf tausende Mauern und Hauswände im ganzen Land gepinselt. Das Bündnis mehrerer Linksparteien will unbedingt vermeiden, dass in einer etwaigen Stichwahl Ende November seine „breite Front“ von einer noch breiteren bürgerlichen Gegenfront aus dem Amt gedrängt wird.

Elf Jahre lang „Staatsgeisel“

Dürfte der amtierende Staatspräsident Tabaré Vásquez nochmals antreten, wäre die Absolute im ersten Streich wahrscheinlich. Denn der nüchterne Krebsmediziner konnte auch viele Bürger der Mittelschicht davon überzeugen, dass die „Frente“ keine Revoluzzerbande ist, trotz der zahlreichen ehemaligen Guerilleros in ihren Reihen. Doch nun tritt die Front mit José Mujica an, und der ist der Anführer der früheren Untergrundkämpfer.

Der Bauernsohn, den alle immer schon „Pepe“ nannten, schloss sich in den 1960ern den Tupamaros an. Er soll an mehreren Kommandoaktionen dieser Stadtguerilla beteiligt gewesen sein. Heute will Mujica über die Jahre im Untergrund nicht mehr sprechen, auch nicht über jene im Gefängnis oder über seine zwei Ausbrüche aus dem Kerker. Als die Militärs 1973 die Macht an sich rissen, erklärten sie mehrere Tupamaros-Bosse zu „Staatsgeiseln“. Jede weitere Guerillaaktion hätte die Exekution eines Anführers bedeutet. Elf Jahre war Mujica Geisel, elf Jahre in Einzelhaft.

Weder Apokalypse noch Paradies

Heute verspricht der ehemalige Umstürzler seinen Wählern „Kontinuität“. Wie sein brasilianisches Vorbild „Lula“ werde auch ein Präsident Mujica den frei floatenden Peso nicht antasten. Und er werde keine Subventionen unter den Parteigängern ausschütten wie Argentiniens Präsidentenpaar Kirchner. Weder die Apokalypse noch das Paradies werden ausbrechen, sagte Mujica vor Unternehmern.

Tatsächlich hat Südamerikas zweitkleinstes Land vier ordentliche Jahre hinter sich. Der Boom der Preise für Agrarprodukte brachte nach der Schuldenkrise im Jahr 2002 dringend benötigte Dollar ins Land. Die Wiedergeburt der Landwirtschaft wurde vom Agrarminister José Mujica mitorganisiert. Die Regierung garantierte den ausländischen Abnehmern Rechtssicherheit und damit die Möglichkeit für langfristiges Wirtschaften.

Das Ergebnis: Vier Jahre wuchs Uruguays Wirtschaft um jährlich sechs Prozent, selbst die Finanzkrise überstand das Land mit einer Wachstumsrate von 1, 2 Prozent. Und 2008 exportierte das „paisito“ mehr Rindfleisch als der riesige Nachbar Argentinien. Im selben Jahr stiegen die ausländischen Direktinvestitionen im Land um stolze 70 Prozent, ein ungewohnter Vertrauensbeweis für eine linke Latino-Regierung.

Eigentlich gibt es Gründe genug für einen Wahlsieg schon in der ersten Runde, wäre da nicht der Kandidat selbst. Der rundliche Kauz, der lange mit einer verbeulten Vespa zu Sitzungen im Senat fuhr, ist einfach nicht jedermanns Typ. Mujica, von dem es viele Fotos in Schlabberjeans und Gummistiefeln gibt, spricht im Palacio Legislativo so unverblümt wie daheim auf seinem Bauernhof und sagt dabei oft Dinge, die man nicht sagt, schon gar nicht auf internationalem Parkett.

Seit einem Monat gibt Mujica keine Interviews mehr. Seine Wahlkampftruppe musste ihn bremsen, nachdem eine Interviewserie als Buch erschienen war.

„Hysterisches Argentinien“

Ein Kapitel galt den Nachbarn aus Argentinien, die in Uruguay ähnlich beliebt sind wie die Deutschen in Österreich. Da steht zu lesen: „Die Kirchners gehören fraglos zur Linken, aber, mamma mia, zur peronistischen Schlägertrupp-Linken. Die (oppositionellen) Radikalen sind offenbar gute Menschen, aber Trottel. In Argentinien musst du mit den kriminellen Gewerkschaftern reden, das sind dort die Könige. Argentinien neigt zu hysterischen, verrückten, paranoiden Reaktionen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2009)

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