Deutschland: Zahnlose Empörung über Erdoğan

Präsident Erdoğan zeigt vier Finger – das islamische Zeichen seiner Partei, AKP
Präsident Erdoğan zeigt vier Finger – das islamische Zeichen seiner Partei, AKP(c) APA/AFP/TURKISH PRESIDENTIAL
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Trotz seiner Nazi-Vergleiche will Berlin kein Einreise- und Wahlkampfverbot für Präsident Erdoğan und die AKP. Die Absagen an türkische Minister häufen sich jedoch.

Wien/Ankara/Berlin. Wieder zwei Absagen in Deutschland: Am gestrigen Montag hätte der ehemalige AKP-Minister Taner Yıldız in Kelsterbach nahe Frankfurt auftreten wollen, aber die Betreiber der Halle haben die Veranstaltung kurzfristig abgesagt. Am heutigen Dienstag sollte Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Hamburg auftreten, aber die Veranstaltungshalle ist einer Bezirkssprecherin zufolge wegen fehlender Brandmelder gesperrt worden. "Ich werde gehen, niemand kann mich aufhalten", sendete Cavusoglu in der Tageszeitung "Hürriyet" seine Antwort. Während die Auslandsniederlassung der AKP nach alternativen Räumen suchte, landen mit den Absagen zwei weitere Themen auf der Agenda der Außenminister beider Länder. Cavusoglu und Sigmar Gabriel wollen einander am Mittwoch in Berlin treffen.

Freundlich waren die Töne zwischen Berlin und Ankara in den vergangenen Wochen nicht, das dürfte sich auch bei diesem Gespräch nicht ändern. Bereits vergangene Woche sind in zwei deutschen Kommunen die Auftritte der AKP-Minister Nihat Zeybekçi und Bekir Bozdağ untersagt worden. Das verleitete Erdoğan am Wochenende dazu, Deutschland Nazi-Praktiken vorzuwerfen. „Ihr wollt uns eine Demokratielehre geben, gleichzeitig aber nicht erlauben, dass türkische Minister dort sprechen“, so Erdoğan bei einem Auftritt in Istanbul. „Diese Nazi-Welt wollen wir nicht sehen.“ Deutschland habe nicht einmal annähernd etwas mit Demokratie zu tun, polterte der türkische Staatschef weiter. Die Minister und AKP-Anhänger bereiten derzeit ihre Werbetour für das Referendum am 16. April vor. Die Bürger entscheiden darüber, ob das Land zu einer Präsidialrepublik wird; mit einem Ja würden sie Erdoğan ganz offiziell mit weitreichender Macht ausstatten. In seiner Rede sagte der Präsident, dass Deutschland glaube, mit den Absagen das Nein-Lager stärken zu wollen.

„Yücel ist der Grund“

Und: Wohl wissend, dass ein Einreiseverbot für Erdoğan nach Deutschland nicht zur Debatte steht, sagte er dem Publikum selbstbewusst: Wenn er wolle, könne er nach Deutschland reisen und sprechen. Regierungssprecher Steffen Seibert bekräftigte am Montag, dass die Bundesregierung „nicht an irgendwelchen Einreiseverboten“ arbeite. Derartige Besuche müssten zuvor allerdings angekündigt werden. Die bisherigen Absagen oblagen den Kommunen und den Hallenbetreibern. Die Debatte über ein Einreise- bzw. Wahlkampfverbot für AKP-Politiker kam spätestens mit der Inhaftierung des deutsch-türkischen „Welt“-Journalisten Deniz Yücel in Istanbul auf. Zu Yücel äußerte sich Erdoğan auch persönlich, nannte ihn einen deutschen Agenten und PKK-Terroristen; Yücel sei der Grund für die Absagen der Ministerauftritte.

Trotz der jüngsten Absagen haben Auftritte türkischer Politiker in Deutschland stattgefunden. Dass auch ausländische Politiker Redefreiheit genießen, sei seit Jahrzehnten üblich, sagte Kanzleramtschef Peter Altmaier zu der Verbotsdebatte. Aber er und sämtliche Kommentatoren von Kanzlerin Angela Merkel abwärts haben die Nazi-Vergleiche Erdoğans scharf kritisiert. „Absolut inakzeptabel“, so Altmaier, „abstrus, infam und abwegig“, so Justizminister Heiko Maas, „absurd und deplaziert“, so Regierungssprecher Seibert. Während die Opposition eine schärfere Gangart gegenüber der AKP fordert, betont die Koalition den Wunsch, die bilateralen Beziehungen wieder zu normalisieren.

Neben Deutschland haben auch die Niederlande AKP-Auftritte untersagt, auch dazu äußerte sich Erdoğan. „Andere könnten folgen“, bereitete er sein Publikum vor, „wir werden das international zur Sprache bringen.“ Ein Auftritt von Taner Yıldız soll jedenfalls am Mittwoch in Brüssel stattfinden. Die ultranationalistische MHP, die mit der AKP für ein Ja beim Referendum wirbt, überlegt nun, auch in die ausländische Arena einzusteigen. Wahlkampfauftritte türkischer Politiker im EU-Ausland sind in dieser Intensität ein neues Phänomen, da Diaspora-Türken erst seit 2014 im Ausland wählen können. In Deutschland sind rund 1,4 Mio. Türken wahlberechtigt. Bei der Parlamentsneuwahl 2015 haben rund 570.000 Türken ihre Stimme abgegeben, rund 60 Prozent für die AKP. Es ist keine Zahl, die für die Regierungspartei ins Gewicht fällt; das türkische Säbelrasseln ist hoch symbolisch.

(duö)

AUF EINEN BLICK

Wahlkampf. Am 16. April entscheiden die Türken per Referendum, ob die Türkei in eine Präsidialrepublik umgewandelt werden soll. Die zunehmend autoritär regierende AKP wirbt auch im Ausland für ein Ja und sorgt damit für viel Kritik. Drei deutsche Kommunen haben Auftritte türkischer Minister abgesagt. Auch die Niederlande untersagten derartige Veranstaltungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2017)

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