Der Kopf von Wikileaks mutierte zum Einzelkämpfer.
Wien/London. Seit viereinhalb Jahren beschränkt sich der Aktionsradius Julian Assanges auf zwei Zimmer samt Miniküche und Bad in der ecuadorianischen Botschaft im Londoner Nobelviertel Knightsbridge unweit von Harrods – und auf das World Wide Web, sofern Ecuador die Internetverbindung nicht kappt wie kurz vor der US-Wahl. Doch das Asyl für den 45-jährigen Australier, das Mastermind der Enthüllungsplattform Wikileaks, könnte bald zu Ende gehen. Für ihn ist es ohnehin längst zu einer Art Hausarrest geworden.
Assanges Schicksal hängt von der Präsidenten-Stichwahl in Ecuador am 2. April ab. Sollte Guillermo Lasso, der Kandidat der konservativen Opposition, den Sieg erringen, ist es mit Schutz und Obdach wohl vorbei. Vor dem Hintergrund eines jahrelangen Rechtsstreits um Vergewaltigungsvorwürfe droht Assange eine Auslieferung an Schweden – und letztlich an die USA.
„Instrument Putins“
Noch vor dem Amtswechsel im Weißen Haus hatte Assange für den Fall einer Begnadigung Chelsea Mannings, die Wikileaks vor ihrer Geschlechtsumwandlung Geheimdokumente aus dem Irak- und Afghanistankrieg zugespielt hatte, mit einer freiwilligen Auslieferung an Washington kokettiert. Offenbar rechnet er mit einer milden Strafe, obwohl Donald Trump einst die Todesstrafe für ihn gefordert hat.
Assange hat im Wahlkampf gegen Hillary Clinton agitiert, E-Mails der Demokraten und aus Clintons Team veröffentlicht. In US-Geheimdienstkreisen gilt er als „Instrument Putins“. Assanges Russland-Connection ist unbewiesen, die Schlagseite indes eindeutig. Dass er einer Serie im Propagandasender „Russia Today“ auftrat, ist nur ein Indiz. Der Sprecher des Kollektivs Wikileaks mit autoritär-paranoiden Zügen, der sich mit führenden Mitstreitern überworfen hat, ist zum Einzelkämpfer mutiert – zu einer One-Man-Show. Eine kolportierte Affäre mit Ex-Baywatch-Star Pamela Anderson schmeichelte seinem Ego. (vier)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2017)