Nach den Auftrittsverboten für türkische Politiker etwa in den Niederlanden, Deutschland und anderswo bahnt sich eine fundamentale Konfrontation an.
Ankara/Den Haag/Paris/Berlin/Wien. Die Krise zwischen der Türkei und EU-Europa ist am Wochenende massiv eskaliert und beschleunigt die Abkehr Ankaras vom Westen: Mit der Abweisung von Auftritten türkischer Minister in Deutschland und den Niederlanden habe der „Westen sein wahres Gesicht gezeigt“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Sonntag. Der Westen wolle nur den Aufstieg der Türkei stoppen“. Außenminister Mevlüt Cavusoğlu, der in Frankreich zu einer Rede vor hunderten Türkischstämmigen in Metz nahe der deutschen Grenze zugelassen worden war, sagte dort, die Niederlande würden „Rechenschaft ablegen“. Zuvor hatten er, Erdoğan und andere türkische Politiker Holland als „Naziland“ und Ähnliches bezeichnet.
Der Auslöser war gewesen, dass die holländischen Behörden dem Außenminister am Samstag aus Sicherheitsgründen und nach offen politischen Erwägungen verboten hatten, in Rotterdam eine Wahlveranstaltung zugunsten der Annahme der Verfassungsreform in der Türkei Mitte April abzuhalten; Kritiker fürchten ein autokratisches Regime Erdoğans. Çavuşoğlu war gar die Einreise per Flugzeug verboten worden, worauf die Türken es durch die Hintertür probierten und Familienministerin Fatma Betül Sayan, die in Deutschland war, per Auto zum türkischen Konsulat in Rotterdam einschmuggelten. Dort kam es zu einer beispiellosen Konfrontation, als die Polizei ihr kurz vor dem Konsulat die Zufahrt verwehrte und die Ministerin als „persona non grata“ mit einer bewaffneten Eskorte außer Landes gebracht wurde. Medien zeichneten auf, wie Sayan auf Türkisch fluchte, und zwar auch auf die Holländer. Später gab es Zusammenstöße zwischen teils berittener Polizei und bis zu 2000 Türken in Rotterdam.
„Ich dachte, ich bin im falschen Film. Aber wir konnten nicht anders. Wir sind auch ein stolzes Land“, sagte Ministerpräsident Mark Rutte am Sonntag. Die Initiative zum Verbot der Auftritte war übrigens federführend vom Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb ausgegangen, der aus Marokko stammt. In vielen Medien der Niederlande, wo diese Woche das Parlament gewählt wird, gibt es Lobeshymnen für das harte Auftreten gegenüber der Türkei. Das Magazin Elsevier schreibt: „Endlich eine europäische Regierung, die sich traut, dem Tyrannen in der Türkei Paroli zu bieten.“ Die Holländer sind überhaupt schwer beleidigt, „Nazis“ gescholten zu werden – immerhin wear man 1940 bis 1945 von diesen besetzt.
Der Graben zu Europa geht tiefer
Am Sonntag kam es in mehreren Städten Deutschlands, etwa Düsseldorf, zu Demos von Türken vor niederländischen Einrichtungen, die friedlich verliefen. Innenminister Thomas de Maiziere sprach sich gegen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland aus, der türkische Wahlkampf „hat hier nichts verloren“. Auch in Zürich war, wie in den Tagen zuvor in Österreich und Deutschland, ein Auftritt türkischer Politiker zu Wahlkampfzwecken abgesagt worden. Die dänische Regierung verschob aus Solidarität mit Den Haag einen anstehenden Besuch des türkischen Premierministers.
Die harten Worte aus der Türkei zeigen, dass der Graben zu Europa tiefer geht und nicht nur der umstrittenen Causa der Verfassungsreform geschuldet ist. Es sei nicht überraschend, dass in der EU demokratische Werte mit Füßen getreten würden, sagte Erdoğan, aus dessen Mund das freilich für viele etwas seltsam klingt. Vermutlich steckt hinter allem auch der türkisch-nationalistische Grundgedanke, dass das Osmanenreich dem Nahen Osten Stabilität brachte, während das Abendland aus Eigeninteresse dort die Saat von Streit gesät habe.
„Die Hunde des Kreuzes bellen“
Auch werden die islamisch unterfütterten Töne der Politik immer offener: „Wenn die Hunde des Kreuzes bellen, sind wir auf dem richtigen Weg“, schrieb ein türkischer Facebook-Nutzer zur Haltung der Holländer. Der politische Islam suche jetzt die harte Auseinandersetzung mit Kultur, Religion und Werten des Westens, schrieb die Erdoğan-kritische Historikerin Ayşe Hür auf Twitter. Diese Spannungen nützten Erdoğan und Politikern wie dem niederländischen Populisten Geert Wilders. Erdoğan hat übrigens angedeutet, Europa noch vor dem Verfassungsreferendum besuchen zu wollen.
HINTERGRUND
Mitte April wird in der Türkei über eine Verfassungsreform abgestimmt, die das Land zu einer De-facto-Diktatur von Präsident Recep Tayyip Erdoğan deformieren könnte. Dass zahlreiche türkische Politiker bis hin zu Ministern in der türkischen Diaspora in der EU Werbung dafür machen wollten, stößt auf offenen Widerstand bisher v. a. aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz. Am Wochenende eskalierte die Lage, als die türkische Familienministerin vom Besuch des Konsulats in Rotterdam abgehalten und außer Landes verfrachtet wurde. Sie war freilich heimlich eingereist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2017)