"Ein türkischer Wahlkampf hat hier nichts verloren"

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU)
Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) Reuters
  • Drucken

Nach der Eskalation geht die Debatte weiter. Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere spricht sich entschieden gegen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in der Bundesrepublik aus.

Nach der Eskalation des Streits zwischen den Niederlanden und der Türkei am Wochenende hält die Debatte um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker auch in Deutschland an. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) sprach sich am Sonntag im ARD-"Bericht aus Berlin" entschieden gegen derartige Auftritte aus. "Ich will das nicht. Ein türkischer Wahlkampf in Deutschland hat hier nichts verloren", sagte de Maiziere. Politiker von CDU und SPD warnten vor einer weiteren Eskalation im Streit mit Ankara.

Wie die Niederlande Einreiseverbote gegen türkische Politiker zu verhängen, "muss man klug abwägen", sagte der deutsche Innenminister in der ARD. Es gebe für solche Auftritte aber "klare Grenzen", zum Beispiel das Strafgesetzbuch. "Wer die Bundesrepublik Deutschland oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft und böswillig verächtlich macht, macht sich strafbar. Dort wäre spätestens eine Grenze", sagte der Minister. Zuletzt hatten mehrere deutsche Kommunen Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern im Vorfeld des Verfassungsreferendums über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei abgesagt. In Ankara löste dies Verärgerung aus, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf Deutschland "Nazi-Methoden" vor. Dies stieß in Berlin auf scharfen Protest.

In den Niederlanden war der Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker am Wochenende eskaliert. Die niederländischen Behörden verweigerten Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Einreise mit dem Flugzeug und wiesen die türkische Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya auf dem Landweg Richtung Deutschland aus. Erdogan erhob daraufhin auch gegen Den Haag Nazi- und Faschismus-Vorwürfe.

Keine engeren Wirtschaftskontakte

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erteilte dem türkischen Wunsch nach engeren Wirtschaftskontakten mit Verweis auf den Streit um die Wahlkampfauftritte und den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel vorerst eine Absage. In der ZDF-Sendung "Berlin direkt" sagte Schäuble, er habe mit seinem türkischen Kollegen "eine Reihe von Möglichkeiten" diskutiert", doch dies sei "vor der Verhaftung" des deutsch-türkischen Journalisten Yücel gewesen. Unmittelbar danach habe er seinem Kollegen mitgeteilt, dass es "unter diesen Umständen außergewöhnlich schwierig" sei, "daran weiterzuarbeiten".

"Ich hoffe, dass in der Türkei jetzt wieder die Vernunft demnächst ausbricht, denn was sie im Augenblick mit uns machen, mit den Niederlanden, mit Dänemark, ist natürlich absolut nicht im Interesse der Türkei", sagte Schäuble am Sonntag. Die deutsche Regierung wolle nicht in laufende juristische Verfahren eingreifen, aber "in der jetzigen Situation" zerstörten "die Verantwortlichen in der Türkei die Grundlagen für weitere Fortschritte in der Zusammenarbeit".

"Innertürkische Konflikte haben hier nichts zu suchen"

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mahnte in der "Bild"-Zeitung vom Montag: Deutschland sollte "mit kühlem Kopf bei uns Redefreiheit nach Recht und Gesetz gewähren, aber auch klarmachen, dass mit unerträglichen Nazi-Vergleichen einige türkische Politiker ihr Rederecht selbst in Frage stellen". Die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) forderte ein Auftrittsverbot für türkische Wahlkämpfer, falls der Streit weiter eskalieren sollte. "Innertürkische Konflikte haben in Deutschland nichts zu suchen. Wahlkampfauftritte, die den inneren Frieden in unserem Land gefährden, gehören verboten", sagte Kramp-Karrenbauer.

Der außenpolitische Sprecher der CDU, Norbert Röttgen, wies darauf hin, dass durch ein Auftrittsverbot für ausländische Hoheitsträger nicht das Recht auf Meinungsfreiheit eingeschränkt werden würde. Ein Einreiseverbot würde er aber nicht aussprechen. Röttgen warnte in der "Bild" davor, dass eine Eskalation "nicht unser Interesse ist und Erdogan nur hilft, Stimmung zu machen und zu mobilisieren".

"Eskalation ist erschreckend"

Ähnlich äußerte sich der SPD-Außenpolitiker Niels Annen: "Die Eskalation in den Niederlanden ist erschreckend", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Montag. "Wir dürfen nicht vergessen, dass die Eskalation des Konfliktes nur Erdogans Kampagne nützt", sagte der Sozialdemokrat. Der Grünen-Chef Cem Özdemir forderte, Wahlkampfauftritte in der EU von der Einhaltung demokratischer Regeln in der Türkei abhängig zu machen. "Die EU sollte einfordern, dass Erdogan in der Türkei eine faire und demokratische Wahl zulässt, wenn er oder seine Leute hier reden wollen", sagte Özdemir der Zeitung "Die Welt" (Montag-Ausgabe).

Eine härtere Gangart gegenüber der Türkei forderte dagegen der Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff. "Die Europäische Union sollte sich auf die einheitliche Linie verständigen, dass türkischen Ministern Wahlkampfauftritte in der EU nicht erlaubt werden", sagte das FDP-Präsidiumsmitglied der "Welt" (Montag-Ausgabe). Lambsdorff lobte das Vorgehen der Niederlande. "Die Holländer machen vor, wie es geht, die Bundesregierung dagegen eiert herum", sagte Lambsdorff. "So kann die Türkei versuchen, den einen gegen den anderen auszuspielen."

NATO-Luftwaffenstützpunkt Incirlik

Im Schatten der jüngsten Zuspitzung der Lage geraten auch die Bundeswehrsoldaten auf dem türkischen NATO-Luftwaffenstützpunkt Incirlik wieder in den Blickpunkt. Der außenpolitische Fraktionssprecher Jürgen Hardt (CDU) wies die Forderung des verteidigungspolitischen Sprechers der CSU-Landesgruppe, Florian Hahn, zurück, die Verlegung der Bundeswehrsoldaten vorzubereiten. "Die deutschen Soldaten aus Incirlik abzuziehen, nur um gegenüber der Türkei ein Zeichen zu setzen, hielte ich für falsch", sagte Hardt der "Passauer Neuen Presse" (Montag-Ausgabe).

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), sprach sich dafür aus, auch andere Standorte in den Blick zu nehmen. "Incirlik als Standort ist nicht alternativlos", sagte Bartels dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Der Anti-IS-Kampf könnte auch von dem Stützpunkt im jordanischen Amman oder dem kretischen Akrotiri aus erfolgen."

(APA/AFP/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Präsident Recep Tayip Erdoğan
Außenpolitik

Erdoğan an EU-Türken: „Macht Kinder“

Der Staatschef will Einfluss der in Europa lebenden Türken ausweiten. Innenminister droht damit, „Zehntausende Flüchtlinge“ nach Europa zu schicken.
Türkische Zeitung zeigt Merkel als weiblichen Hitler.
Konflikt-EU-Türkei

Türkische Zeitung zeigt Angela Merkel als "Frau Hitler"

Üble Fotomontage eines regierungsnahen türkischen Boulevardblattes samt Anmerkung "hässliche Tante". Berlin will sich dennoch nicht reizen lassen.
Rückführung von Flüchtlingen aus Europa in die Türkei
Außenpolitik

Hilfsorganisationen: Türkei-Flüchtlingspakt verursacht "immenses Leid"

Der Pakt zwischen der EU und der Türkei dürfe nicht als Vorlage für weitere Abkommen mit anderen Ländern dienen, heißt es in einem gemeinsamen Bericht von Hilfsorganisationen.
Archivbild: In Griechenland sitzen immer noch Tausende Flüchtlinge fest (Archivbild aus dem Vorjahr)
Europa

Ankaras Drohung, den Flüchtlingspakt aufzukündigen, geht ins Leere

Wieder einmal warnt die Türkei davor, das Flüchtlingsabkommen aufzukündigen und die EU mit Migranten zu überschwemmen. Die Folgen wären aber überschaubar.
Cavusoglu bei einem Wahlkampfauftritt
Türkei

Türkischer Außenminister: "Bald Religionskrieg in Europa"

„Schande, EU!“: Präsident Erdoğan und Außenminister ?avuşoğlu beschwören einen Konflikt zwischen „Kreuz und Halbmond“.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.