Fünf Fragen zur Wahl in den Niederlanden

Mark Rutte könnte nach der Parlamentswahl sein drittes Kabinett bilden.
Mark Rutte könnte nach der Parlamentswahl sein drittes Kabinett bilden.(c) APA/AFP/JOHN THYS (JOHN THYS)
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Europa blickt gebannt in die Niederlande, wo Premier Mark Rutte bei den Parlamentswahlen nach viel Erdogan-Hick-Hack hofft, den ersten Platz gegen den Rechtspopulisten Geert Wilders verteidigen zu können.

Es ist der Auftakt zu einem europäischen Superwahljahr. Heute die Parlamentswahlen der Niederländer, im April und Mai die Präsidentschaftswahl in Frankreich und schließlich im Herbst die deutsche Bundestagswahl. Drei Wahlen, bei denen politisch rechte Gruppen oder Persönlichkeiten ordentlichen mitmischen wollen.

In den Niederlanden wird heute also ein Parlament gewählt. Rund 13 Millionen Niederländer sind aufgerufen, ihre Stimme für eine Partei abzugeben. Alle Wahllokale schließen um Punkt 21 Uhr - mit Ausnahme in den besonderen Kommunen auf den karibischen Inseln Bonaire, Saba und Sint Eustatius. Wegen des Zeitunterschiedes schließen sie dort fünf Stunden später. Hochrechnungen gibt es ab Wahlschluss in Europa, also ab 21 Uhr ca. Bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen könnte es also bis in die Nacht hinein dauern, um einen Sieger zu küren.

Es gibt mehrere Gründe, warum die Wahl spannend ist. Das Kopf-an-Kopf-Rennen der liberal-konservativen "Volkspartij voor Vrijheid en Democratie" ("Volkspartei für Freiheit und Demokratie") von Premier Mark Rutte und Geert Wilders " Partij voor de Vrijheid" ("Partei für die Freiheit") ist auch wegen des anhaltenden Konflikts mit der Türkei rund um Auftrittsverbote türkischer Politiker brisanter geworden. Die "Presse" beantwort die fünf wichtigsten Fragen zur Wahl.

Was wird gewählt?

Die 13 Millionen Wahlberechtigten können eine von 28 Parteien wählen. Die Zersplitterung des niederländischen Parteienspektrums ist groß. Gewählt werden die 150 Abgeordneten der Zweiten Kammer des Parlaments. Seit der Wahl im September 2012 sitzen 13 Gruppierungen und drei Einzelabgeordnete in der gesetzgebenden Kammer des niederländischen Parlaments. Die Erste Kammer wird ähnlich des österreichischen Bundesrats aus den Provinzparlamenten beschickt und kann Gesetzen nur prinzipiell zustimmen oder sie ablehnen. Das Parlament (Generalstaaten) tagt übrigens in Den Haag und nicht in der Haupstadt Amsterdam.

Welche Rolle spielt der Türkei-Konflikt bei der Wahl?

Eine große. Die rigorose Haltung des Regierungschefs macht sich bezahlt, er profitiert vom Amtsbonus. Er hat in den Umfragen Aufwind – doch auch sein Herausforderer Wilders könnte profitieren. Für die anderen Parteien ist es im Türkei-Konflikt schwierig, echte Akzente der Aufmerksamkeit zu setzen. Es herrscht eine von Rutte und Wilders durchaus gewollter Zweikampf der Polarisierung.

Die große Mehrheit der Wähler und der Parteien unterstützt den Kurs Ruttes in der Türkei-Krise, die Niederländer scharen sich um den „Landesvater“ mit der jugendlichen Aura. Wie zuletzt beim mutmaßlichen Abschuss des Passagierflugzeugs der Malaysia-Airlines (MH 17) im Juli 2014 über der Ostukraine, bei dem 193 Niederländer ihr Leben ließen, rückt die Nation zusammen – vereint gegen einen „gefährlichen Diktator“, wie der Schriftsteller Arnon Grünberg den türkischen Staatschef in seiner Kolumne für die Zeitung „Volkskrant“ apostrophiert. „Wir sind hier der Boss“, brachte der „Telegraaf“ die Stimmung im Land auf den Punkt.

Im TV-Duell, einem halbstündigen, heftigen Schlagabtausch am Montagabend, stilisierte sich Rutte zum Wilders-Dompteur. Gegen die Attacken seines Kontrahenten – „Sie lassen sich von Erdoğan zur Geisel nehmen“ – und dessen radikale Parolen gegen den Islam setzte er eine entwaffnende Replik: „Es ist etwas anderes, ob man auf dem Sofa sitzt und twittert oder ob man ein Land regiert.“

Kann Geert Wilders die Wahl gewinnen?

Nur noch sehr theoretisch. In den Tagen vor der Wahl verlor er deutlich in den Umfragen - was nichts bedeuten muss. Nach den Analysen von vier Instituten wird die Wilders-Partei bei der Wahl am Mittwoch sicher nicht die stärkste Partei werden, hieß es noch am Dienstag. Auch ein Rückfall auf den vierten Platz hinter die  rechtsliberale VVD von Ministerpräsident Mark Rutte, der liberalen D'66 und den Grünen.

Den Umfragen (Ja, es sind nur Umfragen...) zufolge konnte die rechtsliberale Regierungspartei VVD ihren Vorsprung in den Umfragen deutlich ausbauen und liegt nun bei bis zu 20 Prozent. Die Partei von Premier Mark Rutte profitierte vom diplomatischen Konflikt mit der Türkei der vergangenen Tage, analysierte das Forschungsinstitut I&O.

Die Befürchtung Brüssels, dass Wilders in die Regierung kommt und damit das Land aus der EU führt ("Nexit"), gilt allerdings als unwahrscheinlich. Beinahe alle Parteien schließen die Zusammenarbeit mit der PVV aus. Die Rolle des Königsmachers wird wohl anderen Parteien zukommen. Wilders' PVV könnte allerdings alleine regieren, müsste dafür aber 76 der 150 Mandate erringen, was ausgeschlossen ist.

Welche Parteien mischen abseits des Spitzenduells in den Niederlanden mit?

Derzeit regiert Ruttes VVD gemeinsam mit der sozialdemokratischen PvdA von Lodewijk Asscher. Sie kommen ingsgesamt auf 79 Abgeordnete (41 und 38) in der Zweiten Kammer und bilden eine Art Große Koalition. Die sozialistische Partei und die Partei von Wilders haben derzeit je 15 Sitze. Das Machtverhältnis wird sich jedoch deutlich verschieben. Wilders wird mindestens Platz zwei erreichen. Noch 2006 war die konservative CDA die stimmenstärkste Partei gewesen, sie kam 2012 nur noch auf 8,51 Prozent der Stimmen. Viele ihre Wähler verliert die Partei an Rutte (den liberaleren Flügel) und auch Wilders (den rechten Flügel). Im Aufwind dürften bei den Wahlen auch die Grünen sein. Die GroenLinks sackte 2012 massiv ab (2,33 Prozent) und hofft mit Jesse Klaver an der Spitze diesesmal auf ein kräftiges Lebenszeichen. Klaver könnte laut Umfragen für GroenLinks bis zu 17 Mandate holen - derzeit hat er nur vier.

(c) APA/AFP/ANP/GIANLUIGI GUERCIA/ROBERT VOS/ROBIN UTRECHT/PHILIPPE HUGUEN/BART MAAT/ROBIN VAN LONKHUIJSEN (GIANLUIGI GUERCIA ROBERT VOS ROBIN UTRECHT PHILIPPE HUGUEN BART MAAT ROBIN VAN LONKHUIJSEN)

Im Bild im Uhrzeigersinn: Emile Roemer (SP), Lodewijk Asscher (PvdA), Jesse Klaver (GroenLinks), Alexander Pechtold (D66), Mark Rutte, Sybrand Haersma Buma (CDA), Gert-Jan Segers (CU), Geert Wilders (PVV), Henk Krol (Seniorenpartei 50+), Marianne Thieme PVDD (Tierrrechtspartei) und Tunahan Kuzu (Migrantenpartei DENK)

Welche Regierungskonstellation scheint möglich?

Der rechtsliberale Ministerpräsident Rutte hat trotz Verlusten beste Chancen, zum dritten Mal eine Regierung zu bilden. Doch dazu braucht er mindestens drei Partner. Seine VVD ist zur Zeit mit rund 16 Prozent oder 23-27 Sitzen die Nummer eins in den Umfragen. Mögliche Partner wären die christdemokratische CDA und die linksliberale D66.

Doch das reicht noch nicht aus. Ein möglicher weiterer Partner könnte die grüne Partei GroenLinks sein. Ob Ruttes bisheriger Partner, die sozialdemokratische Partei für die Arbeit, noch mal will, ist mehr als fraglich. Der Partei droht die größte Niederlage ihrer Geschichte - nur noch zwölf statt jetzt 35 Sitze.

Eine Mitte-Links-Regierung wäre die Riesenüberraschung, doch rechnerisch möglich. Die Sozialdemokraten, die Sozialisten und GroenLinks könnten sich schnell einigen. Sie verstehen sich auch relativ gut mit den Linksliberalen der D66 und der linken ChristenUnie. Aber: Die konservativen Christdemokraten würden wohl nicht mitmachen.

Angesichts der total zersplitterten Parteienlandschaft ist auch eine Minderheitsregierung nicht auszuschließen: Die rechtsliberale VVD könnte eine Minderheitsregierung mit den Christdemokraten und den Linksliberalen bilden. Diese würde wohl von den Sozialdemokraten, den Grünen und anderen kleineren Parteien geduldet werden.

"Ich glaube nicht, dass es wahrscheinlich ist - und ich denke auch nicht, dass es wünschenswert ist - eine wirkliche Mehrheitsregierung anzustreben", sagte Politikwissenschaftler Wouter van den Brug der Austria Presse Agentur. Tatsächlich ist es relativ schwierig, eine Regierung zu bilden, die über eine Mehrheit in beiden Kammern (Parlament und Senat, Eerste und Tweede Kamer) verfügt. "Die Zusammensetzung in der Ersten und Zweiten Kammer ist sehr unterschiedlich", betont van der Brug. Er rechnet mit einer Koalition aus Ruttes Partei für Freiheit und Demokratei (VVD), den Christdemokraten (CDA) und den Linksliberalen D66.

(klepa)

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