Das Arsenal der „Super-Bomben“

Ein Exemplar der "Massive Ordinance Air Blast"-Bombe
Ein Exemplar der "Massive Ordinance Air Blast"-BombeUS Army
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Der Abwurf der zehn Tonnen schweren US-Bombe, vulgär auch „Mutter aller Bomben“ genannt, am Donnerstag auf Afghanistan enthüllte eine weithin wenig bekannte Waffengruppe.

Es war ein weiter Weg von den ersten kleinen rohr- bzw. kugelförmigen Sprengkörpern, die Soldaten des Jin-Reichs im heutigen Ostchina um 1220 herum händisch gegen Feinde etwa des Song-Reiches im Süden warfen, bis zu jener zehn Tonnen schweren Riesenbombe, die ein US-Transportflugzeug am Donnerstag über Ostafghanistan abwarf, um ein festungsartiges Stellungssystem des Islamischen Staates (IS) zu zertrümmern: Der mächtigen Explosion, die auch Erdbebenwellen freisetzte, sollen mindestens 36 Kämpfer zum Opfer gefallen sein. Allerdings hatten sich im Einsatzraum angeblich 600 bis 800 Kämpfer aufgehalten.

Ein fünf Kilometer entferntes Dorf blieb indes heil, und zivile Opfer gab es angeblich nicht. Der Einsatz der neun Meter langen Bombe GBU-43/B „Massive Ordnance Air Blast" sei seit Monaten erwogen worden und eine taktische, keine politische Entscheidung gewesen, ließ der US-Befehlshaber in Afghanistan, General John Nicholson, wissen. Man habe selten zuvor ein so schwieriges Hindernis angetroffen, eine seit März laufende Offensive habe sich daran festgerannt. „Also war es die richtige Zeit und das richtige Ziel dafür." In der Tat standen bald darauf US-Truppen in der Einschlagszone.

Biblische Referenzen

Die Bombe, deren Akronym „MOAB" gern als „Mother of all bombs" ausgesprochen wird, aber auch ans biblische Reich Moab am Ostufer des Toten Meers erinnert, das einst mit den Israeliten kämpfte und von diesen im Alten Testament ziemlich übel dargestellt wird, war Anfang der 2000er am Air Force Research Laboratory entwickelt und seit 2003 in kleiner Zahl von der McAlester-Munitionsfabrik in Oklahoma gebaut worden. Der Stückpreis wurde 2014 mit 16 Millionen Dollar angegeben.

Al Weimorts (re.), Erbauer der MOAB, anno 2008 mit einem Testmodell.
Al Weimorts (re.), Erbauer der MOAB, anno 2008 mit einem Testmodell.US Air Force

Sie soll vor allem Ziele an der Oberfläche und in nicht allzugroßer Tiefe im Boden bekämpfen, der Radius totaler Zerstörung in einer Ebene beträgt etwa 150 Meter, alles ist eine Frage der Topografie. Ein „echter" Bunkerknacker soll sie indes nicht sein, aber der enorme Explosionsdruck, den die 8,5 Tonnen Sprengstoff (ein Mix vor allem aus TNT, Hexogen und Aluminiumpulver) erzeugen, kann auch tief drinnen in Höhlen für Menschen verheerend sein. Die für Fliegerbomben an sich unüblich überproportionale Sprengladung (das Bruttogewicht von Bomben besteht nämlich meist nur zur Hälfte und weniger aus Sprengstoff) entspricht umgelegt auf ein Norm-Maß jenem der Explosionskraft von elf Tonnen TNT.

Der große Hammer der Russen

Deshalb ist die Moab auch nicht die stärkste heutige Bombe: Russlands 2007 vorgestellte „Thermobarische Fliegerbombe verstärkter Sprengkraft" AVBPM, auch „Vater aller Bomben" genannt, ist kräftige drei Tonnen leichter, auch zu mehr als 80% sprengstoffgefüllt, hat aber weit größere 40 bis 44 Tonnen TNT-Äquivalent bei einem Vernichtungsradius von 300 Metern. Noch in 2000 Metern soll es Menschen umwerfen.

Illustration der russischen "AVBMP"-Bombe unter einem "Blackjack"-Bomber
Illustration der russischen "AVBMP"-Bombe unter einem "Blackjack"-Bomber WN/globalsecurity (Illustration)

Ihr schreckliches Geheimnis: Sie setzt eine Aerosolwolke aus Ethylenoxid und Aluminiumpulver frei, die sich schnell ausbreitet und durch Sprengladungen entzündet wird. Da der Feuerball in sich jeden Sauerstoff verbraucht, entsteht eine Unterdruckzone, in die nun Umgebungsluft gerissen wird, was bei Menschen auch außerhalb des Feuerballs Lungenverletzungen (Barotrauma) bewirken kann. Informationen und Bilder zu der Bombe, die nie benutzt worden sein soll, sind spärlich; es gibt auch Stimmen, wonach sie weit schwächer wirke. Die Wirkung kleiner thermobarischer Waffen, die die Russen als Fliegerbomben oder Raketensprengköpfe schon im Kaukausus und Syrien eingesetzt haben, wird als für Menschen ungewöhnlich grausam beschrieben.

60 Meter durch Beton

Der reinen Masse nach am schwersten wiederum ist die amerikanische Bombe GBU-57/A „Massive Ordnance Penetrator" MOP (GBU steht für „Guided Bomb Unit", was Lenkbarkeit etwa durch Laser und GPS  anzeigt). Diese sechs Meter lange, seit etwa 2009 von Boeing gefertigte Waffe wiegt satte 14 Tonnen bei nur 2,4 bis 2,7 Tonnen Sprengstoff.

Ihr Zweck ist aber nicht große oberflächliche Verheerung: Sie soll, aus großer Höhe abgeworfen, aufgrund ihrer Masse extrem tief eindringen, angeblich durch 60 Meter Beton und noch mehr Erde/Felsgemisch, und dann erst in der Tiefe explodieren. Die in der Praxis oft genutzte kleinere Bunkerknackerbombe GBU-28 (Masse 2300 kg, 290 kg Tritonal) durchschlägt im Vergleich dazu sechs Meter Beton oder 30 Meter Erde.

Der Bau von MOP (Abwurf zu je zwei Stück von im Radar unsichtbaren B-2-Bombern oder durch B-52) wurde nach Auffliegen von Irans Atomprogramm 2003 beschleunigt, als man fand, dass viele Einrichtungen der Iraner tief unter der Erde lagen. Jagt man eine zweite Bombe in den Schacht, den die erste aufriss, kann man sogar noch tiefer „graben". Wie viele MOPs es gibt, ist aber nicht so klar. 2011 wurden 16 bestellt, später war die Rede von mehr als 20 im US-Arsenal.

Wurzeln im Zweiten Weltkrieg

„Superbomben" solcher Art gab es übrigens schon im Zweiten Weltkrieg. Berühmt-berüchtigt war vor allem die britische „Grand Slam" (Masse 10.000 kg, 4100 kg Sprengstoff), von denen 41 Stück auf deutsche U-Boot-Bunker und Brücken fielen und die schon allein durch die erdbebenartigen Erschütterungen, die sie auslösten, Gebäude im weiten Umkreis zum Einsturz brachten.

Britische "Grand Slam" im Zweiten Weltkrieg
Britische "Grand Slam" im Zweiten WeltkriegImperial War Museums

Die damals und in der Regel noch heute üblichen Nominalmassen von Fliegerbomben betragen (im Kilogramm-Maß) im Vergleich dazu "nur" 100, 250, 500 und 1000 Kilogramm. Und auch davon ist, wie erwähnt, stets meist nur ein kleinerer Teil wirklich Sprengmittel: Bei der Mark 82, der häufigsten Fliegerbombe der Nato-Staaten mit 500 Pfund (227 kg) Gewicht, sind es etwa 192 Pfund (87 Kilogramm), also knapp 40 Prozent.

Bomben der RAF von 40 Pfund (18kg) bis zur mächtigen Grand Slam (22.000 Pfund, 9980 kg)
Bomben der RAF von 40 Pfund (18kg) bis zur mächtigen Grand Slam (22.000 Pfund, 9980 kg)RAF

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2017)

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