Opposition stellt Antrag auf Annullierung von Referendum

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Auch internationale Beobachter und Brüssel fordern Ankara auf, die Manipulationsvorwürfe vom Wahltag aufzuklären.

Wien/Brüssel/Ankara. Die türkische Opposition will mit rechtlichen Mitteln gegen das Referendum vom Sonntag vorgehen. Die Republikanische Volkspartei (CHP) stellte gestern bei der Hohen Wahlkommission einen Antrag auf Annullierung des Volksentscheids. Die CHP wirft der Wahlkommission die Manipulation der Abstimmung vor.

Anlass für die Vorwürfe ist die fragwürdige Entscheidung der Wahlkommission, die mittags am Wahltag plötzlich entschied, auch die nicht zugelassenen Wahlunterlagen als gültig zu werten. Es handelt sich dabei um nicht abgestempelte Wahlzettel. Die türkische Anwaltskammer kritisierte gestern den Entschluss der Wahlkommission heftig und sprach von gravierenden Gesetzesverstößen. „Die Entscheidung der Wahlkommission, die klar gegen das Gesetz war, hat zu Unregelmäßigkeiten geführt und zur Vermeidung von Protokollen, die Unregelmäßigkeiten aufdecken könnten“, hieß es in einer Aussendung. Die Opposition hält es für möglich, dass bis zu eineinhalb Millionen Stimmen auf diesem Weg in die Urnen gelangt sind, eine Anzahl, die wahlentscheidend wäre. Der Unterschied zwischen beiden Lagern beträgt 1,38 Millionen Stimmen.

Beobachtung nur „stichprobenartig“

Von einer Manipulation der Wahl an den Urnen hat Alev Korun selbst nichts bemerkt, die Parlamentsabgeordnete der Grünen hält eine Klärung auf rechtsstaatlichem Wege aber für nötig, wie sie gestern in Wien anlässlich einer Pressekonferenz erklärte.

Korun war im Rahmen einer internationalen Wahlbeobachtermission in der Türkei; sie befand sich am Wahltag in Istanbul. „In den Lokalen, die ich besuchte, war der Ablauf in Ordnung“, sagte sie. Was den Antrag der türkischen Opposition betrifft, schätzt sie die Aussicht auf eine positive Beurteilung als mäßig ein. „Es wird allgemein erwartet, dass die Wahlkommission zugunsten des Präsidenten entscheidet.“ Aufgrund der geringen Zahl der internationalen Beobachter sei die Kontrolle der Wahl nur „stichprobenartig“ möglich gewesen, erklärte Korun.

Drastischer in seiner Kritik war Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ), der ebenfalls als Wahlbeobachter in der Türkei war. Das Referendum sei „weder frei noch fair“ gewesen, twitterte er noch am Sonntag.

„Gegen das Gesetz“ verstoßen

Internationale Beobachter üben gerade in sensiblen Wahlgängen eine wichtige Kontrollfunktion aus, da sie unabhängiger agieren können als einheimische Beobachter. Sie werden von den jeweiligen Regierungen eingeladen. Die im europäischen Zusammenhang wichtigste Organisation ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Von der OSZE waren elf Experten und 24 Langzeitbeobachter unterwegs, die am Wahltag von 23 Delegierten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Pace) unterstützt wurden. Insgesamt waren in der Türkei 73 internationale Beobachter vor Ort – eine geringe Anzahl im Vergleich zu anderen Urnengängen.

In einem gemeinsamen Statement von OSZE und Pace wurde ebenfalls die späte Änderung der Abstimmungsregeln kritisiert. Dies habe „gegen das Gesetz“ verstoßen und wichtige „Schutzvorkehrungen“ beseitigt, kritisierte der Chef der Mission, Cezar Florin Preda. Auch die Europäische Kommission forderte Ankara auf, die Zweifel über die Rechtmäßigkeit des Referendums zu beseitigen: „Wir fordern die Behörden auf eine transparente Untersuchung der mutmaßlichen Verstöße einzuleiten.“ (som)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2017)

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