Erdogan verbittet sich den Vorwurf des Diktators

Der türkische Präsident Erdogan.
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In seinem ersten Interview nach dem Referendum streitet der türkische Präsident ab, sich das Präsidialsystem auf den Leib geschneidert zu haben. Die Wahlbeschwerde der Opposition wurde abgelehnt.

In seinem ersten Interview nach dem umstrittenen Referendum in der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan den Vorwurf weit von sich gewiesen, sein Land in eine Diktatur führen zu wollen. "Haben wir nicht Wahlurnen? Die haben wir", sagte er in dem in der Nacht auf Mittwoch ausgestrahlten Gespräch.

"Wenn Sie sagen, dass die Wahlurne einen Diktator produziert, dann wäre das eine große Grausamkeit und Ungerechtigkeit gegenüber der Person, die gewählt wird", fuhrt Erdogan fort, der das umstrittene Referendum nur sehr knapp gewonnen hatte und sich jetzt mit Manipulationsvorwürfen konfrontiert sieht. "Gleichzeitig wäre das auch eine große Respektlosigkeit gegenüber denjenigen, die an der Wahlurne ihre Wahl treffen. Woher bezieht die Demokratie ihre Macht? Vom Volk."

Was er Kritikern denn entgegenhalte, die ihm einen "Marsch in die Diktatur" vorwerfen?, fragte ihn der CNN-Journalist. Den Vorwurf gebe es seit Jahren, winkte Erdogan ab. Und der lediglich sehr knappe Vorsprung bei dem Referendum über Präsidialsystem vom Sonntag?  Nur das Ergebnis zähle, meinte der Staatschef. "Wichtig ist, das Spiel zu gewinnen."

Erdogan betonte, das Präsidialsystem, das ihn mit deutlich mehr Macht ausstattet, sei nicht auf seine Person zugeschnitten. "Das ist kein System, das Tayyip Erdogan gehört. Ich bin sterblich, ich könnte jeden Moment sterben."

Wahlkommission weist Wahlbeschwerde zurück

Unterdessen eskalierte am Mittwoch der Streit um Unregelmäßigkeiten bei der Wahl weiter. Die türkische Wahlkommission lehnte die Wahlbeschwerde der Opposition am Mittwoch erwartungsgemäß ab. Die Gegner des Referendums hatten gefordert, das Referendum wegen der Unregelmäßigkeiten zu annullieren.

OSZE-Wahlbeobachter kritisierten die fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu verbat sich jegliche Einmischung Europas.

"Ihr könnt nicht in die Türkei kommen und Euch in ihre Politik einmischen", sagte Cavusoglu an die Adresse der Wahlbeobachter. Das Referendum sei "transparent" verlaufen, betonte der türkische Außenminister. Die Feststellungen der Wahlbeobachter - die internationale Standards bei dem Referendum nicht erfüllt sahen - seien "äußerst parteiisch". "Und so haben sie auch überhaupt keine Geltung und keinen Wert."

In dem vorläufigen Bericht der Beobachter gebe es "eine Vielzahl an technischen und konkreten Fehlern und da sehen wir eine Absicht dahinter".

Der Chef der OSZE-Wahlbeobachter, Michael Georg Link, hatte zuvor erklärt, von einer Kooperation der türkischen Regierung zur Klärung der Vorwürfe könne "leider keine Rede sein". Und: "Die jetzt öffentlich vorgebrachten Zweifel an unserer Neutralität sind eindeutig politisch motiviert."

Festnahmen in Istanbul

Die deutsche Regierung riet der Türkei dennoch, die Bedenken der internationalen Wahlbeobachter nicht einfach abzutun. Die Regierung in Ankara sei "gut beraten, das ernst zu nehmen, intensiv zu prüfen", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn erklärte: "Nach dem Referendum ist jetzt die Zeit gekommen, eine grundlegende Diskussion über die EU-Türkei-Beziehungen zu beginnen, inklusive einer möglichen Neubewertung."

Nach Protesten gegen den Ausgang des Referendums wurden in der Metropole Istanbul am Mittwoch Medienberichten zufolge 38 Menschen festgenommen. Die Polizei sei am frühen Morgen in die Häuser der Aktivisten eingedrungen, berichtete die regierungskritische Zeitung "Birgün".

In Istanbul sowie in mehreren anderen Städten in der Türkei waren am Dienstagabend und in den Tagen zuvor Tausende Menschen aus Protest gegen den Ausgang des Referendums auf die Straße gegangen. Sie werfen der türkischen Führung vor, die Wahl manipuliert zu haben und bezeichnen das Ergebnis daher als nicht legitim. Der Wahlkommission werfen die Demonstranten vor, "parteiisch" zu sein.

Erdogan hatte das Referendum am Sonntag nach dem vorläufigen Ergebnis mit 51,4 Prozent knapp gewonnen. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten dem Prozess zahlreiche Mängel attestiert. Die Opposition hat eine Annullierung des Referendums beantragt. Die Wahlkommission wollte sich am Mittwoch mit Einsprüchen befassen, denen aber kaum Aussicht auf Erfolg eingeräumt wurde.

(APA/Reuters/dpa/AFP)

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