Der 39-Jährige hat beste Chancen, jüngster Präsident des Landes zu werden. Er ist Musterschüler des Systems – und nutzte das Vakuum perfekt aus.
Als Ende der 1990er-Jahre der „dritte Weg“ en vogue war, die Melange zwischen einem sozialdemokratischen und einem (neo-)liberalen Konzept, propagiert vor allem von Tony Blair und Gerhard Schröder, aber auch von Bill Clinton, hat der Arztsohn Emmanuel Macron gerade sein Philosophiestudium an der Elitehochschule Sciences Po begonnen. Rund 20 Jahre später führt der 39-Jährige, der in knapp zwei Wochen zum jüngsten Präsidenten Frankreichs avancieren könnte, deren Erbe fort – als Sozialliberaler, der allerdings mit den Sozialdemokraten gebrochen und vor einem Jahr eine eigene Bewegung, En Marche!, gegründet hat. Er etablierte eine politische Marke, benannt nach seinen Initialen, E. M., die umgehend ein großes Echo auslöste.
Dass Macron gleich bei seiner überhaupt ersten Wahl, zu der er sich stellt, der Aufstieg an die Staatsspitze gelingen könnte, wäre eine kleine Sensation. Seine Chancen sind indes hervorragend: Er gilt in der Stichwahl als klarer Favorit gegen Marine Le Pen, zumal er als bürgerlicher Anti-Le-Pen und deklarierter Pro-Europäer eine breite republikanische Front von links bis rechts mobilisiert.
Schon in der ersten Runde waren viele Sozialdemokraten – darunter Ex-Premier Manuel Valls, mit dem er als Minister der Regierung Hollande aneinandergeraten war – in sein Lager übergelaufen. Jetzt haben auch Konservative, allen voran François Fillon, zu seiner Wahl aufgerufen. In den Umfragen für einen zweiten Wahlgang gegen Le Pen liegt Macron stabil bei mehr als 60 Prozent, und es müsste schon ein Megaskandal ausbrechen oder sich ein horrender Anschlag ereignen, um seinen Triumph am Abend des 7. Mai noch in Gefahr zu bringen.
Schöngeist, Philosoph und Freizeitpoet
Dabei ist Macron ein Musterschüler jenes Systems, gegen das er im Wahlkampf so fulminant aufgetreten ist. Als „Enarch“, als Absolvent der elitären Verwaltungsakademie, durchlief er in jungen Jahren die Stationen einer klassischen Politkarriere in Frankreich. Innerhalb von 15Jahren vollzog sich Macrons rasanter Aufstieg. Der frühreife Schöngeist und Hobbypoet, der als Schüler seine Lehrerin und spätere Frau bezirzt hatte, fing als Uni-Assistent an, ging als hochrangiger Beamter ins Finanzministerium, ehe er als Investmentbanker zur Rothschild-Bank wechselte, wo er sich bei einem Pharmadeal seine ersten Meriten verdiente – und gleich auch seine erste Million. Jacques Attali, ein Mitterrand-Intimus vermittelte ihn als Wirtschaftsberater an François Hollande. Im Élysée-Palast bezog er ein Dachstübchen und empfahl sich bald als Wirtschaftsminister.
In der Regierung setzte sich Macron für eine Liberalisierung des Arbeitsmarkts und der Ladenöffnungszeiten ein, scheiterte dabei jedoch an Premier Valls. Zermürbt vom Widerstand und angetrieben von hochfliegenden Ambitionen studierte er vor der Gründung von En Marche! vor einem Jahr die Bürgerbewegung Ciudadanos in Spanien, insbesondere aber die US-Präsidentschaftskampagne Barack Obamas im Jahr 2008. Als Macron vor neun Monaten schließlich die Regierung verließ, galt er vielen Sozialisten als „Brutus“, als Verräter.
Seine Frau, Brigitte, 24 Jähre älter als er, stachelte ihn scherzhaft zur Kandidatur an: „Stell dir vor, wie ich in 15 Jahren aussehen würde.“ Alles fügte sich zu Macrons Gunsten: der Verzicht Hollandes, die Schwäche des Sozialisten Hamon, die Vorwahlschlappe Nicolas Sarkozys und Alain Juppés bei den Republikanern, der Skandal Francois Fillons.
Macron nutzte das Vakuum perfekt aus und steht nun an der Schwelle der Macht – wie zuvor Matteo Renzi in Italien oder Justin Trudeau in Kanada (oder auch Christian Kern), Protagonisten einer neuen Generation, die mit gewisser Lässigkeit und modischem Habitus einen Sinn fürs Marketing via soziale Medien mit ideologischer Flexibilität verquicken. Den Franzosen muss Macron beweisen, dass er keine leere Hülle ist, wie das Hologramm, das im Wahlkampf Furore gemacht hat. Wie einst Obama muss der Politnovize mit enormen Erwartungen zurechtkommen, und womöglich hat er den Ex-Präsidenten neulich bereits wegen Tipps kontaktiert.
ZUR PERSON
Emmanuel Macron. Geboren 1977 im nordfranzösischen Amiens durchlief der Arztsohn die klassischen Stationen einer Politkarriere: die Elitehochschulen Sciences Po und ENA. Er heuerte im Finanzministerium und bei der Rothschild-Bank an, ehe er als Berater François Hollandes und als Wirtschaftsminister in die Politik wechselte. Im Vorjahr gründete er die Bewegung En Marche!.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2017)