Zwei Wochen haben sich Emmanuel Macron und Marine Le Pen als Alternativen angepriesen, um das Land aus dem Stillstand zu führen. Der Sozialliberale geht als klarer Favorit in die Präsidentenstichwahl am Sonntag.
Im Mai 2012, bei der letzten Präsidentenwahl in Frankreich, war Emmanuel Macron als Wirtschaftsberater Francois Hollandes, weithin unbekannt und allenfalls Insidern ein Begriff. Bei der Stichwahl könnte am Sonntagabend die große Stunde des 39-Jährigen schlagen, der zum jüngsten Staatschef in der Geschichte des Landes avancieren könnte – ein kometenhafter Aufstieg. Einen Kandidaten für das Amt des Premiers habe er bereits im Kopf, ließ er wissen. Den Namen wollte er allerdings nicht preisgeben.
Eine jüngste Umfrage attestiert dem sozialliberalen Politiker, der erst vor einem Jahr mit den Sozialisten brach und vor neun Monaten als Minister aus der Regierung ausschied, einen deutlichen Vorsprung vor Marine Le Pen, seiner rechtspopulitischen Kontrahentin vom Front National. Wohlgemerkt fanden die Erhebungen vor der dubiosen Hackerattacke auf das Wahlkampfteams Macrons statt: Es handle sich um einen "beispiellosen Vorgang" und gezielten "Versuch, die französische Präsidentschaftswahl zu destabilisieren", sagte sein Team am Freitagabend - kurz bevor der Wahlkampf offiziell zu Ende ging.
Trotz zahlreicher Aufrufe für einen Wahlboykott oder ungültig zu votieren, trotz des fundamentalen Misstrauens gegen die Institutionen und das „System“ wollten am Sonntag drei Viertel der Franzosen zur Wahl gehen – geleitet von der Überzeugung, dass sehr viel auf dem Spiel steht. Und vielfach auch vom Kalkül, Le Pen zu verhindern. Auch schon in der ersten Runde war die Wahlbeteiligung mit 78 Prozent hoch.
Am Montag wird Staatschef Hollande zu einem Abschiedsbesuch nach Berlin reisen, für den 15. Mai ist die Angelobung des neuen Präsidenten im Élysée-Palast geplant. Macrons Bewegung „En marche!“ könnte sich den Liberaldemokraten im EU-Parlament anschließen. Doch erst muss sie bei der Parlamentswahl reüssieren.
Warum Macron als Favorit in die Wahl geht
Schon nach der ersten Wahlrunde (24%) ließ sich Emmanuel Macron (39) mit Austern und Champagner in einem schicken Pariser Bistro feiern. Damals redete er so, als hätte er den Sieg bereits in der Tasche. Viele nahmen ihm das übel. Nach dem Fernsehduell gegen Marine Le Pen kann sich der Ex-Wirtschaftsminister vermutlich wirklich zurücklehnen, kommt ihm die Veröffentlichung Zehntausender teils gefälschter Dokumente durch Hacker nicht in die Quere: Umfragen prognostizieren ihm einen klaren Sieg am Sonntag. Mit ihren rabiaten Angriffen gegen Macron in der letzten TV-Debatte am Mittwochabend hat Le Pen offenkundig viele Unentschlossene verschreckt. Bei einem Besuch in der Kathedrale von Reims, der Krönungskathedrale, wurde sie ausgebuht.
Der Spitzenkandidat der Konservativen, François Fillon (20%), hat sich ebenso für ihn ausgesprochen wie der schwer geschlagene sozialistische Anwärter Benoît Hamon (6,4%). Die Zentristen sind ohnehin auf seiner Seite. Nur der linksextreme Jean-Luc Mélenchon (19,6%) gab keine Empfehlung ab, warnte aber vor Le Pen. Offen bleibt nur, wie viele Unentschlossene der Wahl fernbleiben.
Was ist das Erfolgsgeheimnis dieses Mannes der politischen Mitte, der in Rekordzeit aus dem Nichts seine En-Marche!-Bewegung aus dem Boden gestampft hat und kurz davor steht, als jüngster Präsident in den Élysée-Palast einzuziehen? Der Exsozialist antwortete auf Frust, Wut und Niedergangsängste seiner Landsleute mit dem Versprechen ambitionierter Reformen. Im Gegensatz zum radikalen Nationalismus und der Antisystemhaltung seiner Gegnerin gab er den weltoffenen Systemreformer, der Frankreich wieder auf die Beine bringen will: Er warb mit optimistischen Parolen à la Barack Obama und Justin Trudeau – und bekannte sich so deutlich wie kaum ein anderer führender europäischer Politiker zur EU.
Das alles mag zwar Wähler überzeugt und angezogen haben. Aber wegen seines Optimismus, seiner Reform- und EU-Freudigkeit wird Macron vermutlich nicht die Wahl gewinnen: Aussagekräftig ist da eine Umfrage, die nach der ersten Wahlrunde durchgeführt wurde. 41 Prozent der Macron-Anhänger stimmten demnach für ihn, um Marine Le Pen zu verhindern – und nicht wegen seines Programms. Bei keinem anderen Bewerber war das Vertrauen in den Kandidaten so niedrig wie bei Macron. 84 Prozent der Le-Pen-Wähler etwa stimmten aus Überzeugung für sie.
Warum Le Pen nur geringe Chancen hat
Selbst im Lager des Front National (FN) rechneten nach dem TV-Duell nur noch unverbesserliche Optimisten mit einer Sensation am Abend des ersten Wahldurchgangs am 23. April. Höhnisch kritisierte FN-Gründer Jean-Marie Le Pen seine Tochter, die ihn aus der Partei verstoßen hatte. Am Ende baumelte dann auch noch ein unverhohlenes Anti-Le-Pen-Transparent vom Eiffelturm.
Dabei war Marine Le Pen nach der ersten Abstimmung (21,3 Prozent) dynamisch gestartet: Erst brachte sie Emmanuel Macron bei einer überraschenden Fabrikvisite in seiner Heimatstadt Amiens in Bedrängnis. Sie porträtierte ihn als Protegé des unpopulären Präsidenten Hollande, als abgehobenes Schoßkind der Eliten und des Großkapitals. Und mit dem Gaullisten Nicolas Dupont-Aignan präsentierte sie einen Alliierten aus dem rechtskonservativen Eck.
Für einen Wahlsieg müsste Le Pen auf eine geringe Wahlbeteiligung hoffen – und auf den Unmut jener, die in der ersten Runde für den Republikaner Fillon und den linksextremen Mélenchon gestimmt hatten. Immerhin ein Drittel der Wähler Fillons tendiert zu Le Pen, aber nur neun Prozent der Mélenchon-Anhänger. Dass sie doppelt so viele Stimmen wie anno 2002 ihr Vater in der Stichwahl erzielen wird, kann ihr nur ein schwacher Trost sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2017)