Iran: Blutjustiz von 1988 überschattet Wahlkampf

Präsidentschaftskandidat Raissi.
Präsidentschaftskandidat Raissi.(c)
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Präsidentschaftskandidat Raissi verhängte Urteile, die zur Hinrichtung von 4000 Regimegegnern führten.

Teheran. Das Massaker gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Islamischen Republik. „Die Geschichte wird uns dafür verurteilen, eure Namen werden in die Annalen der Menschheit eingeätzt werden als Verbrecher“, ist auf dem Tonband die erregte Stimme von Ayatollah Hossein Ali Montazeri zu hören. „Das ist das größte Verbrechen in der Islamischen Republik“, rief er aus, was die Zuhörer in dem Raum teils mit Gelächter, teils mit eisigem Schweigen quittierten.

Mit diesem spektakulären Auftritt war der hohe Geistliche 1988 der einzige führende Politiker, der gegen die Massenhinrichtung von etwa 4000 Regimegegnern protestierte, die Staatsgründer Ayatollah Ruhollah Khomeini durch zwei Fatwas angeordnet hatte. Montazeri sollte dafür teuer bezahlen. Die mutige Philippika kostete ihm die bereits offiziell vereinbarte Nachfolge von Khomeini als Revolutionsführer und damit das höchste Amt im Staat. Er fiel in Ungnade und stand fortan bis zu seinem Tod im Dezember 2009 unter Hausarrest.

Sein Sohn Ahmad wurde „wegen falscher Propaganda gegen die Regierung“ zu 21 Jahren Haft verurteilt, nachdem er im August 2016 das brisante 40-minütige Tonband mit der Protestrede seines Vaters ins Internet gestellt hatte. Doch bereits einen Tag nach seinem Gefängnisantritt am 22. Februar 2017 erhielt er Haftverschonung.

Mit der Präsidentschaftskandidatur von Ebrahim Raissi wurde diese barbarische Blutjustiz vor knapp dreißig Jahren erstmals zu einem öffentlichen Thema im Iran. Denn der 56-jährige Kleriker gehörte als junger Staatsanwalt zu der vierköpfigen Kommission, welche damals die Todesurteile verhängte und welche Montazeri am 15. August 1988 mit seiner scharfen Kritik zur Vernunft bringen wollte. Raissi, der als härtester Konkurrent von Amtsinhaber Hassan Rohani gilt, ist heute Chef der größten religiösen Stiftung und damit einer der mächtigsten Männer des Landes. Das Milliarden-Budget seines frommen „Astan Quds Razavi“-Imperiums, das die Gelder des Imam-Reza Mausoleums in der Pilgermetropole Mashad kontrolliert, hat Dimensionen eines Schattenhaushaltes.

„Gleiche Mentalität wie damals“

„Das iranische Volk wird solche Leute ablehnen, die in den letzten 38 Jahren hauptsächlich über Gefängnisse und Exekutionen entschieden haben“, geißelte Rohani seinen Gegenspieler auf einer Wahlkampfveranstaltung im Stadion von Hamedan, ohne Ebrahim Raissi beim Namen zu nennen. Doch jeder im Iran weiß, auf wen diese Sätze des Präsidenten gemünzt sind. Zumal der 77-jährige Revolutionsführer Ali Khamenei offenbar plant, Raissi als seinen Nachfolger an der Staatsspitze aufzubauen. „Die Zeiten von Gewalt und Extremismus sind vorbei“, konterte Rohani.

Doch nicht nur Raissi, auch die anderen drei Mitglieder der so genannten „Todeskommission“ wurden niemals belangt – darunter Justizminister Mostafa Pour Mohammadi aus Rohanis eigenem Kabinett und der Vizepräsident des Verfassungsgerichtes, Hussein Ali Nayeri. „Das Ganze ist ein Teil der Geschichte, den das iranische Volk bisher noch nie hören durfte“, urteilt der Menschenrechtler Madyar Samienejad, der in Norwegen lebt. Alle Beteiligten an dem Massaker an politischen Gefangenen von 1988 seien nach wie vor an der Macht. „Und die hohe Zahl von Exekutionen im heutigen Iran entspringt der gleichen Mentalität wie damals.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2017)

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