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Nachwahlbefragungen sehen Wahlschlappe für Theresa May

Für Theresa Mays konservative Partei ist es doch noch ein knappes Rennen geworden.
Für Theresa Mays konservative Partei ist es doch noch ein knappes Rennen geworden.imago/PA Images
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Erste Umfragen prognostizieren den Verlust der absoluten Mehrheit, aber erste Wahlkreis-Ergebnisse geben den Konservativen wieder ein wenig Hoffnung. Eine Regierungsbildung wäre schwierig.

Stimmen diese Zahlen, stehen Großbritannien spannende politische Zeiten bevor. Die Datenlage ändert sich laufend, doch die Hochrechnung der Nachwahlbefragung bedeutet keine entspannte Nacht für die britische Premierministerin Theresa May. Denn die absolute Mehrheit im Unterhaus der Tories ist in Gefahr. Bei der vorgezogenen Parlamentswahl am Donnerstag kamen die Konservativen nach Umfragen der BBC unter mehr als 30.000 Wählern auf 314 Mandate, 16 weniger als noch 2015. Für May, die die Neuwahlen ausgerufen hatte, um ihre Verhandlungsposition im Brexit zu stärken, droht also eine Ohrfeige - selbst wenn sich die absolute Mehrheit mit 326 Mandaten noch ausgehen sollte. Statt einer Absicherung der Macht, stünde May dann geschwächt da.

Dank eines deutlich über den Erwartungen geführten Wahlkampfs wird die oppositionelle Labour Party nach den ersten Prognosen deutlich zulegen, prognostiziert wird ein Zuwachs von 37 Mandaten auf 266. 2015 erhielt Labour 229 Mandate und kam auf 30,4 Prozent der Stimmen.

Konservative hoffen noch

Mehr und mehr Wahlkreise verkünden Ergebnisse und lassen die Konservativen ein wenig hoffen. In den ausgezählten Wahlkreisen Nordenglands schnitten die konservativen Kandidaten großteils besser ab, als in den Nachwahlbefragungen vorhergesagt. Im Laufe der Nacht wird das Bild klarer werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Tories der absoluten Mehrheit im Unterhaus noch nähern. Jedes Ergebnis, das eintrifft, wird mit dem prognostizierten Ergebnis verglichen, um abschätzen zu können, in welche Richtung sich der Wahlabend noch entwickeln wird.

Newcastle Central war der erste Wahlkreis, der kurz nach Mitternacht erste Zahlen lieferte. Mit Sunderland hatte man sich ein spannendes Match um die ersten Wahlergebnisse geliefert. Auf TV-Bildern waren laufende Helfer mit Wahlurnen zu sehen, ein sportlicher Abend für viele.

Der frühere Finanzminister George Osborne sagte am Donnerstagabend in einer ersten Reaktion, die Prognose sei für seine konservative Parteikollegin May "komplett katastrophal". Das britische Pfund gab im Vergleich zum Euro ungewöhnlich deutlich um 1,5 Prozent nach.

„The Winner Takes It All“

Wegen des britischen Mehrheitswahlrechts sind genauere Detailprognosen vorerst nicht möglich. Kleine Prozentschwankungen können zu gewaltigen Sitzumverteilungen führen. Für die Kleinparteien war es im Zweikampf May gegen Corbyn kein einfacher Wahlkampf. Die EU-freundlichen Liberaldemokraten könnten um sechs Mandate auf 16 zulegen, die rechtspopulistische United Kingdom Independence Party (Ukip), deren Existenzzweck der Brexit war, wurde ohne ihren Führer Nigel Farage ausgelöscht.

Das Wahlsystem ist nach dem „The Winner Takes It All“-Prinzip ausgerichtet. Eine Stimme Mehrheit reicht, um im Alleingang alles bestimmen zu können. Theoretisch. In der Praxis sind knappe Mehrheiten stets fragil und erlauben der Opposition wesentlich größeren Einfluss. Zudem sind die britischen Konservativen für ihre internen Kämpfe berüchtigt. Nach dem enttäuschenden Ergebnis ist es daher nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Messer gegen May gewetzt werden.

Ohne absolute Mehrheit wird es für Theresa May schwer, eine stabile Regierung zu bilden. Ihr bleibt als einzige Option eine Minderheitsregierung. Als Partner der Konservatien boten sich in früheren Zeiten stets die Liberaldemokraten an, doch deren EU-freundlicher Kurs lässt eine Koalition mit den Brexit-Verhandlern der Tories nicht zu. Auch mit Labour scheint eine Zusammenarbeit der LibDems aber ausgeschlossen. Die Partei würde es "sehr schwierig finden", erneut einer Koalition beizutreten, sagte der frühere Parteichef der Liberal Democrats, Menzies Campbell, am Donnerstagabend.

Schaffen die Konservativen doch noch eine absolute Mehrheit, wird May noch vor dem Start der Brexit-Verhandlungen eine neue Regierung bilden. Dann könnte schon am Freitag Klarheit darüber herrschen, ob Schwergewichte wie Schatzkanzler Philip Hammond oder Außenminister Boris Johnson im Kabinett bleiben würden. Die Premierministerin, die sich im Wahlkampf als „Nigel Farage ohne Charisma“ entpuppt hatte, hört nur auf einen kleinen Kreis von Beratern und liebt einsame und überraschende Entscheidungen.

Mehr als Brexit

Auf die neue Regierung kommt aber nicht nur der Brexit als alles entscheidende Aufgabe zu. Die schottischen Nationalisten pochen auf eine neuerliche Volksabstimmung über die Unabhängigkeit. In Nordirland könnte die unvermeidliche Errichtung einer EU-Außengrenze zur Republik Irland zu unabsehbaren Verwerfungen führen. Schon jetzt ist die Provinz Ulster wegen der Spaltung der Gesellschaft praktisch unregierbar.

Der jüngste Terror hat die Briten zudem daran erinnert, dass ein schwerwiegendes Sicherheits- und Integrationsproblem ungelöst schwelt. Was Klagen über die wachsende soziale Kluft im Land in zehn Jahren nicht vermocht haben, wurde in den letzten Tagen angesichts der schwerwiegenden Folgen der Kürzungen bei den Sicherheitskräften allgemeiner Konsens: Der rigorose Sparkurs der Konservativen seit 2010 wird sich nicht fortsetzen lassen. Nicht nur bei der Sicherheit, auch im Verkehr, dem Hausbau, im Schulwesen und bei der Gesundheitsversorgung müssen Milliarden investiert werden. Wo diese herkommen sollen, weiß niemand.

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