Studie: Hartz-Reformen ließen die Ungleichheit sinken

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Ökonomen sehen in Deutschland eine Trendumkehr: Die Ungleichheit in der Gesamtbevölkerung geht seit 2005 zurück. Dies sei unter anderem auch auf die strenge Hartz IV-Regelung zurückzuführen.

Wien/München. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auf, die Ungleichheit nimmt zu. Das liest und hört man immer öfter – nicht nur in Wahlkampfzeiten. Experten des Münchner ifo-Instituts haben sich die Daten in Deutschland nun genauer angesehen – und kommen zum Schluss, dass die von Politikern oft verwendete Phrase schlichtweg falsch ist. Seit dem Jahr 2005 zeige sich „ein deutlicher Rückgang der Ungleichheit“, heißt es in einem 2016 veröffentlichten Forschungsbericht. Das Jahr 2005 markiert also eine Trendumkehr. Es ist jenes Jahr, in dem die Hartz IV-Reform in der Realwirtschaft gegriffen hat. „Die Reformen haben seit 2005 zu einem Beschäftigungszuwachs von mehr als zehn Prozent geführt“, heißt es.

Selbst der wirtschaftsliberale Ökonom und Präsident des Fiskalrats Bernhard Felderer betont, dass steigende Frauenbeschäftigung, höhere Akademikerrate und längere Lebenserwartung zwar zu mehr Wohlstand, aber auch zu mehr Ungleichheit unter den Beschäftigten geführt hat. Bei Frauen gibt es aufgrund von Teilzeit und Karenz größere Einkommensunterschiede als bei Männern. In Deutschland stieg die Zahl der berufstätigen Frauen in den vergangenen 20 Jahren um sieben Prozent.

Auch die stark steigende Akademikerquote ließ die Einkommensschere aufgehen. Und nicht zuletzt sorgt der demografische Wandel für eine immer größere Einkommenskluft zwischen Jung und Alt. Seit 1997 ist der Anteil der Beschäftigten, die über 60 Jahre alt sind, von 23 auf 34 Prozent gestiegen, heißt es auch in der ifo-Studie. Fazit: In Deutschland – und wohl auch in Österreich - steigt der Anteil der Besserverdiener dank der Alterung.

Deutlich mehr Erwerbstätige

Wie kommt es also dennoch zu einem Rückgang der Ungleichheit? Die Ungleichheit der Beschäftigten mag sich leicht erhöht haben, die Ungleichheit der Gesamtbevölkerung habe sich allerdings verringert, schreiben die Ökonomen aus München. Wenn jemand aus Hartz IV kommt und einen schlecht bezahlten Job annimmt, trübt das zwar die Lohnstatistik, wirkt sich aber positiv auf die Gesamtbilanz aus.

Im Gegensatz zu Österreich können Ökonomen in Deutschland nicht nur auf die Daten der Sozialversicherung zurückgreifen, sondern auch auf ein sozial-ökonomisches Panel (SOEP). Es handelt sich um einen umfassende Datensatz über deutsche Haushalte, der nicht nur die erwerbstätige, sondern auch die erwerbsfähige Bevölkerung abbildet. Dank Hartz IV sank die Ungleichheit unter der erwerbsfähigen Bevölkerung noch viel deutlicher als unter den erwerbstätigen Menschen. „Der Anteil der Personen, die gar kein Arbeitseinkommen erzielen und damit zu den wirtschaftlich Schwächsten in der Gesellschaft zählen, ist zurückgegangen. Dies hat zu einer Abnahme der Ungleichheit geführt“, schreiben die Autoren.

„Auch die Lohnquote ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich in den vergangenen Jahren nicht mehr gesunken“, betont Felderer. Sosehr eine sinkende Ungleichheit zu begrüßen sei, dürfe man diese aber nicht völlig reduzieren. „Ohne einer gewissen Ungleichheit fehlen die Anreize, die ein gesundes Wirtschaftssystem braucht“, sagt Felderer. (gh)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2017)

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